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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so hätte es miss-
lich ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glück für
ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, und
störten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie
so sehr bedurften *. -- Das Ziel war erreicht, aber mit schwe-
ren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den 9000 zu Ross
dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem Pyre-
näenübergang zählte, waren mehr als die Hälfte das Opfer
der Gefechte, der Märsche und der Flussübergänge geworden;
Hannibal zählte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr
als 20000 zu Fuss -- davon drei Fünftel Libyer, zwei Fünf-
tel Spanier -- und 6000 zum Theil wohl demontirte Reiter,
deren verhältnissmässig geringer Verlust nicht minder für die
Trefflichkeit der numidischen Cavallerie spricht als für die
wohlüberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausge-
suchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 525 Miglien oder
etwa 35 mässigen Tagemärschen, dessen Fortsetzung und Been-

* Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese berühmte
Expedition sich knüpfen, können als erledigt und im Wesentlichen als ge-
löst gelten durch die musterhaft geführte Untersuchung der Herren Wickham
und Cramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten
darbieten, mögen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen. -- Als
Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, ,fingen die Spitzen schon an
sich dicht mit Schnee zu bedecken' (Pol. 3, 54); auf dem Wege lag schon
Schnee (Pol. 3, 55), aber vielleicht grösstentheils nicht frisch gefallener, sondern
Schnee von herabgestürzten Lawinen. Auf dem Bernhard beginnt der Winter
um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August die genannten
Engländer den Berg überstiegen, fanden sie fast gar keinen Schnee auf
ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Berghänge davon bedeckt. Hiernach
scheint Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein; womit
auch wohl vereinbar ist, dass er dort eintraf ,als schon der Winter heran-
nahte' -- denn mehr ist sunaptein ten tes pleiados dusin Pol. 3, 54
nicht, am wenigsten der Tag des Frühuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oc-
tober); vgl. Ideler Chronol. I, 241. -- Kam Hannibal neun Tage später,
also Mitte September in Italien an, so ist auch Platz für die von da bis
zur Schlacht an der Trebia gegen Ende December (Pol. 3, 72) eingetretenen
Ereignisse, namentlich die Translocation des nach Africa bestimmten Heeres
von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer Heerver-
sammlung upo ten earinen oran (Pol. 3, 34), also gegen Ende März, der
Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch fünf (oder nach
App. 7, 4 sechs) Monate währte. Wenn also Hannibal Anfang September
auf dem Bernhard war, so war er, da er von der Rhone bis dahin 30 Tage
gebraucht, an der Rhone Anfang August eingetroffen, wo denn freilich Scipio,
der Anfang Sommer (Pol. 3, 41), also spätestens Anfang Juni sich einschiffte,
unterwegs sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Unthätigkeit längere
Zeit gesessen haben muss.

DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so hätte es miſs-
lich ausgesehen um Hannibals groſsen Plan; zum Glück für
ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, und
störten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie
so sehr bedurften *. — Das Ziel war erreicht, aber mit schwe-
ren Opfern. Von den 50000 zu Fuſs, den 9000 zu Roſs
dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem Pyre-
näenübergang zählte, waren mehr als die Hälfte das Opfer
der Gefechte, der Märsche und der Fluſsübergänge geworden;
Hannibal zählte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr
als 20000 zu Fuſs — davon drei Fünftel Libyer, zwei Fünf-
tel Spanier — und 6000 zum Theil wohl demontirte Reiter,
deren verhältniſsmäſsig geringer Verlust nicht minder für die
Trefflichkeit der numidischen Cavallerie spricht als für die
wohlüberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausge-
suchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 525 Miglien oder
etwa 35 mäſsigen Tagemärschen, dessen Fortsetzung und Been-

* Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese berühmte
Expedition sich knüpfen, können als erledigt und im Wesentlichen als ge-
löst gelten durch die musterhaft geführte Untersuchung der Herren Wickham
und Cramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten
darbieten, mögen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen. — Als
Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, ‚fingen die Spitzen schon an
sich dicht mit Schnee zu bedecken‘ (Pol. 3, 54); auf dem Wege lag schon
Schnee (Pol. 3, 55), aber vielleicht gröſstentheils nicht frisch gefallener, sondern
Schnee von herabgestürzten Lawinen. Auf dem Bernhard beginnt der Winter
um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August die genannten
Engländer den Berg überstiegen, fanden sie fast gar keinen Schnee auf
ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Berghänge davon bedeckt. Hiernach
scheint Hannibal Anfang September auf dem Paſs angelangt zu sein; womit
auch wohl vereinbar ist, daſs er dort eintraf ‚als schon der Winter heran-
nahte‘ — denn mehr ist συνάπτειν τὴν τῆς πλειάδος δύσιν Pol. 3, 54
nicht, am wenigsten der Tag des Frühuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oc-
tober); vgl. Ideler Chronol. I, 241. — Kam Hannibal neun Tage später,
also Mitte September in Italien an, so ist auch Platz für die von da bis
zur Schlacht an der Trebia gegen Ende December (Pol. 3, 72) eingetretenen
Ereignisse, namentlich die Translocation des nach Africa bestimmten Heeres
von Lilybaeon nach Placentia. Es paſst dazu ferner, daſs in einer Heerver-
sammlung ὑπὸ τὴν ἐαϱινὴν ὥϱαν (Pol. 3, 34), also gegen Ende März, der
Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch fünf (oder nach
App. 7, 4 sechs) Monate währte. Wenn also Hannibal Anfang September
auf dem Bernhard war, so war er, da er von der Rhone bis dahin 30 Tage
gebraucht, an der Rhone Anfang August eingetroffen, wo denn freilich Scipio,
der Anfang Sommer (Pol. 3, 41), also spätestens Anfang Juni sich einschiffte,
unterwegs sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Unthätigkeit längere
Zeit gesessen haben muſs.
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[404/0418] DRITTES BUCH. KAPITEL IV. gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so hätte es miſs- lich ausgesehen um Hannibals groſsen Plan; zum Glück für ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, und störten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften *. — Das Ziel war erreicht, aber mit schwe- ren Opfern. Von den 50000 zu Fuſs, den 9000 zu Roſs dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem Pyre- näenübergang zählte, waren mehr als die Hälfte das Opfer der Gefechte, der Märsche und der Fluſsübergänge geworden; Hannibal zählte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuſs — davon drei Fünftel Libyer, zwei Fünf- tel Spanier — und 6000 zum Theil wohl demontirte Reiter, deren verhältniſsmäſsig geringer Verlust nicht minder für die Trefflichkeit der numidischen Cavallerie spricht als für die wohlüberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausge- suchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 525 Miglien oder etwa 35 mäſsigen Tagemärschen, dessen Fortsetzung und Been- * Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese berühmte Expedition sich knüpfen, können als erledigt und im Wesentlichen als ge- löst gelten durch die musterhaft geführte Untersuchung der Herren Wickham und Cramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten, mögen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen. — Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, ‚fingen die Spitzen schon an sich dicht mit Schnee zu bedecken‘ (Pol. 3, 54); auf dem Wege lag schon Schnee (Pol. 3, 55), aber vielleicht gröſstentheils nicht frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestürzten Lawinen. Auf dem Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August die genannten Engländer den Berg überstiegen, fanden sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Berghänge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September auf dem Paſs angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, daſs er dort eintraf ‚als schon der Winter heran- nahte‘ — denn mehr ist συνάπτειν τὴν τῆς πλειάδος δύσιν Pol. 3, 54 nicht, am wenigsten der Tag des Frühuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oc- tober); vgl. Ideler Chronol. I, 241. — Kam Hannibal neun Tage später, also Mitte September in Italien an, so ist auch Platz für die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende December (Pol. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die Translocation des nach Africa bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es paſst dazu ferner, daſs in einer Heerver- sammlung ὑπὸ τὴν ἐαϱινὴν ὥϱαν (Pol. 3, 34), also gegen Ende März, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch fünf (oder nach App. 7, 4 sechs) Monate währte. Wenn also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der Anfang Sommer (Pol. 3, 41), also spätestens Anfang Juni sich einschiffte, unterwegs sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Unthätigkeit längere Zeit gesessen haben muſs.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/418>, abgerufen am 24.11.2024.