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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN.
Man bereute den Friedensschluss von 513, der wenn er
nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig
schien; man hatte vergessen, wie erschöpft damals der eigene
Staat gewesen war, wie mächtig der karthagische dagestan-
den hatte; man sah den gehassten und immer noch gefürch-
teten Feind in grösserer Gefahr schweben als je die römischen
Kriege ihm gebracht hatten; und so dachte man eben das Ver-
säumte nachholen zu können. Die Scham hatte verboten mit den
karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man
hatte den Karthagern ausnahmsweise zu diesem Krieg in Ita-
lien Werbungen zu veranstalten gestattet und den italischen
Schiffern mit den Libyern zu verkehren untersagt; für die rö-
mischen Capitäne indess, die den Aufständischen ihre Bedürf-
nisse zugeführt hatten und die von Hamilkar waren aufge-
griffen und eingesteckt worden, hatte sich der römische Senat
verwandt und ihre Freigebung erlangt. Auch die Anträge, die
Utica machte sich gleich Sardinien den Römern zu ergeben,
wies man zurück, weil sie weiter geführt hätten als man zu
gehen gedacht und hinaus über die natürlichen Grenzen Ita-
liens. Aber Sardinien, das besetzt worden war in der Zeit
der höchsten Bedrängniss Karthagos, war man nicht gesonnen
wieder herauszugeben, als diese Gefahr wider Erwarten und
wahrscheinlich wider Verhoffen der Römer abgewendet war; der
Satz, dass in der Politik jeder darf was er kann, trat hervor
in seiner unverhüllten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitte-
rung hiess die Karthager den gebotenen Krieg annehmen;
hätte Catulus fünf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung be-
standen, der Krieg würde wahrscheinlich seinen Fortgang ge-
habt haben. Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in
Gährung, der Staat durch den vierundzwanzigjährigen Krieg mit
Rom und den fast fünfjährigen entsetzlichen Bürgerkrieg aufs
Aeusserste geschwächt war, musste man sich wohl fügen und
da es die Römer einmal nicht anders wollten und nur auf
wiederholte flehentliche Bitten widerwillig vom Kriege abstan-
den, ihnen auch noch als Entschädigung für die muthwillig
veranlassten Kriegsrüstungen 1200 Talente (1 4/5 Mill. Thlr.)
zahlen. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu
man Corsica fügte, die alte etruskische Besitzung, in der
vielleicht noch vom letzten Kriege her einzelne römische Be-
satzungen standen. Man bildete aus ihnen beiden das zweite
römische ,Amt', das sich indess hauptsächlich, namentlich in
dem rauhen Corsica nur auf den Besitz der Küsten be-

ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN.
Man bereute den Friedensschluſs von 513, der wenn er
nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig
schien; man hatte vergessen, wie erschöpft damals der eigene
Staat gewesen war, wie mächtig der karthagische dagestan-
den hatte; man sah den gehaſsten und immer noch gefürch-
teten Feind in gröſserer Gefahr schweben als je die römischen
Kriege ihm gebracht hatten; und so dachte man eben das Ver-
säumte nachholen zu können. Die Scham hatte verboten mit den
karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man
hatte den Karthagern ausnahmsweise zu diesem Krieg in Ita-
lien Werbungen zu veranstalten gestattet und den italischen
Schiffern mit den Libyern zu verkehren untersagt; für die rö-
mischen Capitäne indeſs, die den Aufständischen ihre Bedürf-
nisse zugeführt hatten und die von Hamilkar waren aufge-
griffen und eingesteckt worden, hatte sich der römische Senat
verwandt und ihre Freigebung erlangt. Auch die Anträge, die
Utica machte sich gleich Sardinien den Römern zu ergeben,
wies man zurück, weil sie weiter geführt hätten als man zu
gehen gedacht und hinaus über die natürlichen Grenzen Ita-
liens. Aber Sardinien, das besetzt worden war in der Zeit
der höchsten Bedrängniſs Karthagos, war man nicht gesonnen
wieder herauszugeben, als diese Gefahr wider Erwarten und
wahrscheinlich wider Verhoffen der Römer abgewendet war; der
Satz, daſs in der Politik jeder darf was er kann, trat hervor
in seiner unverhüllten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitte-
rung hieſs die Karthager den gebotenen Krieg annehmen;
hätte Catulus fünf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung be-
standen, der Krieg würde wahrscheinlich seinen Fortgang ge-
habt haben. Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in
Gährung, der Staat durch den vierundzwanzigjährigen Krieg mit
Rom und den fast fünfjährigen entsetzlichen Bürgerkrieg aufs
Aeuſserste geschwächt war, muſste man sich wohl fügen und
da es die Römer einmal nicht anders wollten und nur auf
wiederholte flehentliche Bitten widerwillig vom Kriege abstan-
den, ihnen auch noch als Entschädigung für die muthwillig
veranlaſsten Kriegsrüstungen 1200 Talente (1⅘ Mill. Thlr.)
zahlen. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu
man Corsica fügte, die alte etruskische Besitzung, in der
vielleicht noch vom letzten Kriege her einzelne römische Be-
satzungen standen. Man bildete aus ihnen beiden das zweite
römische ‚Amt‘, das sich indeſs hauptsächlich, namentlich in
dem rauhen Corsica nur auf den Besitz der Küsten be-

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[367/0381] ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. Man bereute den Friedensschluſs von 513, der wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig schien; man hatte vergessen, wie erschöpft damals der eigene Staat gewesen war, wie mächtig der karthagische dagestan- den hatte; man sah den gehaſsten und immer noch gefürch- teten Feind in gröſserer Gefahr schweben als je die römischen Kriege ihm gebracht hatten; und so dachte man eben das Ver- säumte nachholen zu können. Die Scham hatte verboten mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man hatte den Karthagern ausnahmsweise zu diesem Krieg in Ita- lien Werbungen zu veranstalten gestattet und den italischen Schiffern mit den Libyern zu verkehren untersagt; für die rö- mischen Capitäne indeſs, die den Aufständischen ihre Bedürf- nisse zugeführt hatten und die von Hamilkar waren aufge- griffen und eingesteckt worden, hatte sich der römische Senat verwandt und ihre Freigebung erlangt. Auch die Anträge, die Utica machte sich gleich Sardinien den Römern zu ergeben, wies man zurück, weil sie weiter geführt hätten als man zu gehen gedacht und hinaus über die natürlichen Grenzen Ita- liens. Aber Sardinien, das besetzt worden war in der Zeit der höchsten Bedrängniſs Karthagos, war man nicht gesonnen wieder herauszugeben, als diese Gefahr wider Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Römer abgewendet war; der Satz, daſs in der Politik jeder darf was er kann, trat hervor in seiner unverhüllten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitte- rung hieſs die Karthager den gebotenen Krieg annehmen; hätte Catulus fünf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung be- standen, der Krieg würde wahrscheinlich seinen Fortgang ge- habt haben. Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gährung, der Staat durch den vierundzwanzigjährigen Krieg mit Rom und den fast fünfjährigen entsetzlichen Bürgerkrieg aufs Aeuſserste geschwächt war, muſste man sich wohl fügen und da es die Römer einmal nicht anders wollten und nur auf wiederholte flehentliche Bitten widerwillig vom Kriege abstan- den, ihnen auch noch als Entschädigung für die muthwillig veranlaſsten Kriegsrüstungen 1200 Talente (1⅘ Mill. Thlr.) zahlen. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man Corsica fügte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom letzten Kriege her einzelne römische Be- satzungen standen. Man bildete aus ihnen beiden das zweite römische ‚Amt‘, das sich indeſs hauptsächlich, namentlich in dem rauhen Corsica nur auf den Besitz der Küsten be-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/381>, abgerufen am 24.11.2024.