Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL II. Truppen und Reiter, gewannen, während die römischen Legio-nen sich niedermachen liessen, so viel Vorsprung um mit Noth Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Consul selbst, der in Karthago starb; seine Familie, in der Mei- nung dass er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch be- handelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefange- nen die empörendste Rache, bis es selbst die Sclaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribunen der Schändlichkeit steuer- ten *. -- Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natürlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine römische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus und nach einem schönen Sieg am her- maeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbüssten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit um die dort verschanzten Trümmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedrängniss zu befreien. Wäre sie gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so hätte sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln mögen, der wahrscheinlich den puni- schen Kriegen ein Ende gemacht haben würde. So vollständig aber hatten jetzt die Römer den Kopf verloren, dass sie nach einem glücklichen Gefecht vor Clupea sämmtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wich- tigen und leicht zu vertheidigenden Platz räumend, der ihnen die Möglichkeit der Landung in Africa sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen africanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versäumten die Gelegen- heit nicht ihre leeren Kassen zu füllen und den Unterthanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine ausser- ordentliche Contribution von 1000 Talenten Silber (11/2 Mill. Thlr.) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in sämmt- lichen abgefallenen Gemeinden die Scheiks ans Kreuz geschla- gen -- es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wüthen der karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der einige Jahre später in Africa aus- * Weiter ist über Regulus Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
seine Sendung nach Rom, die bald 503, bald 513 gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt. Die spätere Zeit, die in dem Glück und Unglück der Vorfahren nur nach Stoffen suchte für Schulacte, hat aus Regulus das Pro- totyp des unglücklichen, wie aus Fabricius das des dürftigen Helden ge- macht und eine Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwärtige Flitter, die übel contrastiren mit der ernsten und schlichten Geschichte. DRITTES BUCH. KAPITEL II. Truppen und Reiter, gewannen, während die römischen Legio-nen sich niedermachen lieſsen, so viel Vorsprung um mit Noth Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Consul selbst, der in Karthago starb; seine Familie, in der Mei- nung daſs er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch be- handelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefange- nen die empörendste Rache, bis es selbst die Sclaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribunen der Schändlichkeit steuer- ten *. — Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natürlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine römische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus und nach einem schönen Sieg am her- maeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbüſsten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit um die dort verschanzten Trümmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedrängniſs zu befreien. Wäre sie gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so hätte sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln mögen, der wahrscheinlich den puni- schen Kriegen ein Ende gemacht haben würde. So vollständig aber hatten jetzt die Römer den Kopf verloren, daſs sie nach einem glücklichen Gefecht vor Clupea sämmtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wich- tigen und leicht zu vertheidigenden Platz räumend, der ihnen die Möglichkeit der Landung in Africa sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen africanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versäumten die Gelegen- heit nicht ihre leeren Kassen zu füllen und den Unterthanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine auſser- ordentliche Contribution von 1000 Talenten Silber (1½ Mill. Thlr.) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in sämmt- lichen abgefallenen Gemeinden die Scheiks ans Kreuz geschla- gen — es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wüthen der karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der einige Jahre später in Africa aus- * Weiter ist über Regulus Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
seine Sendung nach Rom, die bald 503, bald 513 gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt. Die spätere Zeit, die in dem Glück und Unglück der Vorfahren nur nach Stoffen suchte für Schulacte, hat aus Regulus das Pro- totyp des unglücklichen, wie aus Fabricius das des dürftigen Helden ge- macht und eine Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwärtige Flitter, die übel contrastiren mit der ernsten und schlichten Geschichte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0362" n="348"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/> Truppen und Reiter, gewannen, während die römischen Legio-<lb/> nen sich niedermachen lieſsen, so viel Vorsprung um mit Noth<lb/> Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der<lb/> Consul selbst, der in Karthago starb; seine Familie, in der Mei-<lb/> nung daſs er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch be-<lb/> handelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefange-<lb/> nen die empörendste Rache, bis es selbst die Sclaven erbarmte<lb/> und auf deren Anzeige die Tribunen der Schändlichkeit steuer-<lb/> ten <note place="foot" n="*">Weiter ist über Regulus Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst<lb/> seine Sendung nach Rom, die bald 503, bald 513 gesetzt wird, ist sehr<lb/> schlecht beglaubigt. Die spätere Zeit, die in dem Glück und Unglück der<lb/> Vorfahren nur nach Stoffen suchte für Schulacte, hat aus Regulus das Pro-<lb/> totyp des unglücklichen, wie aus Fabricius das des dürftigen Helden ge-<lb/> macht und eine Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in<lb/> Umlauf gesetzt; widerwärtige Flitter, die übel contrastiren mit der ernsten<lb/> und schlichten Geschichte.</note>. — Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die<lb/> erste Sorge natürlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea<lb/> eingeschlossenen Mannschaft. Eine römische Flotte von 350<lb/> Segeln lief sofort aus und nach einem schönen Sieg am her-<lb/> maeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe<lb/> einbüſsten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit<lb/> um die dort verschanzten Trümmer der geschlagenen Armee<lb/> aus ihrer Bedrängniſs zu befreien. Wäre sie gesandt worden,<lb/> ehe die Katastrophe eintrat, so hätte sie die Niederlage in<lb/> einen Sieg verwandeln mögen, der wahrscheinlich den puni-<lb/> schen Kriegen ein Ende gemacht haben würde. So vollständig<lb/> aber hatten jetzt die Römer den Kopf verloren, daſs sie nach<lb/> einem glücklichen Gefecht vor Clupea sämmtliche Truppen<lb/> auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wich-<lb/> tigen und leicht zu vertheidigenden Platz räumend, der ihnen<lb/> die Möglichkeit der Landung in Africa sicherte, und der Rache<lb/> der Karthager ihre zahlreichen africanischen Bundesgenossen<lb/> schutzlos preisgebend. Die Karthager versäumten die Gelegen-<lb/> heit nicht ihre leeren Kassen zu füllen und den Unterthanen<lb/> die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine auſser-<lb/> ordentliche Contribution von 1000 Talenten Silber (1½ Mill.<lb/> Thlr.) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in sämmt-<lb/> lichen abgefallenen Gemeinden die Scheiks ans Kreuz geschla-<lb/> gen — es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses<lb/> entsetzliche Wüthen der karthagischen Beamten wesentlich den<lb/> Grund gelegt haben zu der einige Jahre später in Africa aus-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [348/0362]
DRITTES BUCH. KAPITEL II.
Truppen und Reiter, gewannen, während die römischen Legio-
nen sich niedermachen lieſsen, so viel Vorsprung um mit Noth
Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der
Consul selbst, der in Karthago starb; seine Familie, in der Mei-
nung daſs er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch be-
handelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefange-
nen die empörendste Rache, bis es selbst die Sclaven erbarmte
und auf deren Anzeige die Tribunen der Schändlichkeit steuer-
ten *. — Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die
erste Sorge natürlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea
eingeschlossenen Mannschaft. Eine römische Flotte von 350
Segeln lief sofort aus und nach einem schönen Sieg am her-
maeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe
einbüſsten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit
um die dort verschanzten Trümmer der geschlagenen Armee
aus ihrer Bedrängniſs zu befreien. Wäre sie gesandt worden,
ehe die Katastrophe eintrat, so hätte sie die Niederlage in
einen Sieg verwandeln mögen, der wahrscheinlich den puni-
schen Kriegen ein Ende gemacht haben würde. So vollständig
aber hatten jetzt die Römer den Kopf verloren, daſs sie nach
einem glücklichen Gefecht vor Clupea sämmtliche Truppen
auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wich-
tigen und leicht zu vertheidigenden Platz räumend, der ihnen
die Möglichkeit der Landung in Africa sicherte, und der Rache
der Karthager ihre zahlreichen africanischen Bundesgenossen
schutzlos preisgebend. Die Karthager versäumten die Gelegen-
heit nicht ihre leeren Kassen zu füllen und den Unterthanen
die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine auſser-
ordentliche Contribution von 1000 Talenten Silber (1½ Mill.
Thlr.) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in sämmt-
lichen abgefallenen Gemeinden die Scheiks ans Kreuz geschla-
gen — es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses
entsetzliche Wüthen der karthagischen Beamten wesentlich den
Grund gelegt haben zu der einige Jahre später in Africa aus-
* Weiter ist über Regulus Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
seine Sendung nach Rom, die bald 503, bald 513 gesetzt wird, ist sehr
schlecht beglaubigt. Die spätere Zeit, die in dem Glück und Unglück der
Vorfahren nur nach Stoffen suchte für Schulacte, hat aus Regulus das Pro-
totyp des unglücklichen, wie aus Fabricius das des dürftigen Helden ge-
macht und eine Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in
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