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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTER PUNISCHER KRIEG.
Ruderer, 50 bis 60 für jedes Deck; die des Fünfdeckers
zählte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhältniss. --
Man kam auf den glücklichen Gedanken, das was den römi-
schen Schiffen bei ihren ungeübten Schiffsoffizieren und Ruder-
mannschaften an Manövrirfähigkeit nothwendig abgehen musste,
dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht
wiederum eine bedeutendere Rolle zutheilte. Man erfand eine
fliegende Brücke, die auf dem Vordertheil des Schiffes so be-
festigt ward, dass sie nach vorne wie nach beiden Seiten hin
niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit
Brustwehren versehen und hatte Raum für zwei Mann in der
Fronte. Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das römi-
sche heransegelte oder, nachdem der Stoss vermieden war,
demselben zur Seite lag, ward die Brücke auf dessen Verdeck
niedergelassen und darin mittelst eines eisernen Stachels be-
festigt; wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert ward,
sondern die Schiffssoldaten über die Brücke auf das feindliche
Verdeck hinübergehen und dasselbe wie im Landgefecht er-
stürmen konnten. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebil-
det, sondern nach Bedürfniss die Landtruppen zu diesem
Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen
Seeschlacht, wo freilich die römische Flotte zugleich die Lan-
dungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den
einzelnen Schiffen fechten. -- So schufen sich die Römer
eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen
irren, die aus dem römischen Flottenbau ein Feenmährchen
machen, und verfehlen überdiess ihren Zweck; man muss be-
greifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Römer war
eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch
Einsicht in das Nöthige und Mögliche, durch geniale Erfind-
samkeit, durch Energie in Entschluss und Ausführung das
Vaterland aus einer Lage gerissen ward, die übler war als sie
zunächst schien.

Der Anfang indess war den Römern nicht günstig. Der
römische Admiral, der Consul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit
den ersten 17 segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See
gegangen war (494), meinte auf der Fahrt Lipara durch einen
Handstreich wegnehmen zu können. Allein eine Abtheilung
der bei Panormos stationirten karthagischen Flotte sperrte
den Hafen der Insel, in dem die römischen Schiffe vor Anker
gegangen waren, und nahm die ganze Escadre mit dem Con-
sul ohne Kampf gefangen. Indess dies schreckte die Haupt-

ERSTER PUNISCHER KRIEG.
Ruderer, 50 bis 60 für jedes Deck; die des Fünfdeckers
zählte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhältniss. —
Man kam auf den glücklichen Gedanken, das was den römi-
schen Schiffen bei ihren ungeübten Schiffsoffizieren und Ruder-
mannschaften an Manövrirfähigkeit nothwendig abgehen muſste,
dadurch zu ersetzen, daſs man den Soldaten im Seegefecht
wiederum eine bedeutendere Rolle zutheilte. Man erfand eine
fliegende Brücke, die auf dem Vordertheil des Schiffes so be-
festigt ward, daſs sie nach vorne wie nach beiden Seiten hin
niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit
Brustwehren versehen und hatte Raum für zwei Mann in der
Fronte. Wenn das feindliche Schiff zum Stoſs auf das römi-
sche heransegelte oder, nachdem der Stoſs vermieden war,
demselben zur Seite lag, ward die Brücke auf dessen Verdeck
niedergelassen und darin mittelst eines eisernen Stachels be-
festigt; wodurch nicht bloſs das Niedersegeln verhindert ward,
sondern die Schiffssoldaten über die Brücke auf das feindliche
Verdeck hinübergehen und dasselbe wie im Landgefecht er-
stürmen konnten. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebil-
det, sondern nach Bedürfniſs die Landtruppen zu diesem
Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, daſs in einer groſsen
Seeschlacht, wo freilich die römische Flotte zugleich die Lan-
dungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den
einzelnen Schiffen fechten. — So schufen sich die Römer
eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen
irren, die aus dem römischen Flottenbau ein Feenmährchen
machen, und verfehlen überdieſs ihren Zweck; man muſs be-
greifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Römer war
eben gar nichts als ein groſsartiges Nationalwerk, wo durch
Einsicht in das Nöthige und Mögliche, durch geniale Erfind-
samkeit, durch Energie in Entschluſs und Ausführung das
Vaterland aus einer Lage gerissen ward, die übler war als sie
zunächst schien.

Der Anfang indeſs war den Römern nicht günstig. Der
römische Admiral, der Consul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit
den ersten 17 segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See
gegangen war (494), meinte auf der Fahrt Lipara durch einen
Handstreich wegnehmen zu können. Allein eine Abtheilung
der bei Panormos stationirten karthagischen Flotte sperrte
den Hafen der Insel, in dem die römischen Schiffe vor Anker
gegangen waren, und nahm die ganze Escadre mit dem Con-
sul ohne Kampf gefangen. Indeſs dies schreckte die Haupt-

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[341/0355] ERSTER PUNISCHER KRIEG. Ruderer, 50 bis 60 für jedes Deck; die des Fünfdeckers zählte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhältniss. — Man kam auf den glücklichen Gedanken, das was den römi- schen Schiffen bei ihren ungeübten Schiffsoffizieren und Ruder- mannschaften an Manövrirfähigkeit nothwendig abgehen muſste, dadurch zu ersetzen, daſs man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zutheilte. Man erfand eine fliegende Brücke, die auf dem Vordertheil des Schiffes so be- festigt ward, daſs sie nach vorne wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum für zwei Mann in der Fronte. Wenn das feindliche Schiff zum Stoſs auf das römi- sche heransegelte oder, nachdem der Stoſs vermieden war, demselben zur Seite lag, ward die Brücke auf dessen Verdeck niedergelassen und darin mittelst eines eisernen Stachels be- festigt; wodurch nicht bloſs das Niedersegeln verhindert ward, sondern die Schiffssoldaten über die Brücke auf das feindliche Verdeck hinübergehen und dasselbe wie im Landgefecht er- stürmen konnten. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebil- det, sondern nach Bedürfniſs die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, daſs in einer groſsen Seeschlacht, wo freilich die römische Flotte zugleich die Lan- dungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten. — So schufen sich die Römer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem römischen Flottenbau ein Feenmährchen machen, und verfehlen überdieſs ihren Zweck; man muſs be- greifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Römer war eben gar nichts als ein groſsartiges Nationalwerk, wo durch Einsicht in das Nöthige und Mögliche, durch geniale Erfind- samkeit, durch Energie in Entschluſs und Ausführung das Vaterland aus einer Lage gerissen ward, die übler war als sie zunächst schien. Der Anfang indeſs war den Römern nicht günstig. Der römische Admiral, der Consul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten 17 segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494), meinte auf der Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu können. Allein eine Abtheilung der bei Panormos stationirten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in dem die römischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Escadre mit dem Con- sul ohne Kampf gefangen. Indeſs dies schreckte die Haupt-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/355>, abgerufen am 23.11.2024.