Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL II. Fahneneid gebrochen und römische Bundesgenossen hinter-listig gemordet hatten, gleichstellen könne mit Fremden, die wohl auch gefrevelt hätten gegen Fremde, aber wo jenen zu Richtern, diesen zu Rächern die Römer Niemand bestellt habe. Hätte es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siciliens; schwerlich gingen beider Mächte Pläne damals weiter. Allein eben darin lag es begründet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten wünschte -- so die Karthager Tarent, die Römer Syrakus und Messana; und dass sie, als dies un- möglich geworden war, die Grenzplätze lieber sich als der andern Grossmacht gönnten. Wie Karthago in Italien ver- sucht hatte, als Rhegion und Tarent von den Römern in Be- sitz genommen werden sollten, diese Städte für sich zu ge- winnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt in Sicilien sich für Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die Stadt selbst- ständig blieb oder syrakusanisch war, sondern man warf sie den Puniern in die Arme. War es gerechtfertigt die Gelegen- heit entschlüpfen zu lassen, die sicher so nicht wieder kehrte, sich des natürlichen Brückenkopfs zwischen Italien und Sici- lien zu bemächtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten Gründen zuverlässige Besatzung zu sichern; gerecht- fertigt mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft über den letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch ernsthaftere Bedenken geltend machen als die der Gefühlspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago führen musste, war das geringste der- selben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn nicht zu fürchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueber- schreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und rein continentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die Väter Roms Grösse gegründet hatten, um ein neues zu beginnen, dessen Resultate vorherzusagen Nie- mand vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Be- rechnung aufhört und wo der Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Muth giebt die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und DRITTES BUCH. KAPITEL II. Fahneneid gebrochen und römische Bundesgenossen hinter-listig gemordet hatten, gleichstellen könne mit Fremden, die wohl auch gefrevelt hätten gegen Fremde, aber wo jenen zu Richtern, diesen zu Rächern die Römer Niemand bestellt habe. Hätte es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siciliens; schwerlich gingen beider Mächte Pläne damals weiter. Allein eben darin lag es begründet, daſs jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten wünschte — so die Karthager Tarent, die Römer Syrakus und Messana; und daſs sie, als dies un- möglich geworden war, die Grenzplätze lieber sich als der andern Groſsmacht gönnten. Wie Karthago in Italien ver- sucht hatte, als Rhegion und Tarent von den Römern in Be- sitz genommen werden sollten, diese Städte für sich zu ge- winnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt in Sicilien sich für Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, daſs die Stadt selbst- ständig blieb oder syrakusanisch war, sondern man warf sie den Puniern in die Arme. War es gerechtfertigt die Gelegen- heit entschlüpfen zu lassen, die sicher so nicht wieder kehrte, sich des natürlichen Brückenkopfs zwischen Italien und Sici- lien zu bemächtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten Gründen zuverlässige Besatzung zu sichern; gerecht- fertigt mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft über den letzten freien Paſs zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens aufzuopfern? Zwar lieſsen sich gegen die Besetzung Messanas auch ernsthaftere Bedenken geltend machen als die der Gefühlspolitik waren. Daſs sie zu einem Kriege mit Karthago führen muſste, war das geringste der- selben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn nicht zu fürchten. Aber wichtiger war es, daſs man mit dem Ueber- schreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und rein continentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die Väter Roms Gröſse gegründet hatten, um ein neues zu beginnen, dessen Resultate vorherzusagen Nie- mand vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Be- rechnung aufhört und wo der Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Muth giebt die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0348" n="334"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL II.
Fahneneid gebrochen und römische Bundesgenossen hinter-
listig gemordet hatten, gleichstellen könne mit Fremden, die
wohl auch gefrevelt hätten gegen Fremde, aber wo jenen zu
Richtern, diesen zu Rächern die Römer Niemand bestellt habe.
Hätte es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder
die Mamertiner in Messana geboten, so konnte Rom allerdings
sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach dem
Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siciliens; schwerlich
gingen beider Mächte Pläne damals weiter. Allein eben darin
lag es begründet, daſs jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht
zu haben und zu halten wünschte — so die Karthager Tarent,
die Römer Syrakus und Messana; und daſs sie, als dies un-
möglich geworden war, die Grenzplätze lieber sich als der
andern Groſsmacht gönnten. Wie Karthago in Italien ver-
sucht hatte, als Rhegion und Tarent von den Römern in Be-
sitz genommen werden sollten, diese Städte für sich zu ge-
winnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war,
so bot jetzt in Sicilien sich für Rom die Gelegenheit dar, die
Stadt Messana in seine Symmachie zu ziehen; schlug man
sie aus, so durfte man nicht erwarten, daſs die Stadt selbst-
ständig blieb oder syrakusanisch war, sondern man warf sie
den Puniern in die Arme. War es gerechtfertigt die Gelegen-
heit entschlüpfen zu lassen, die sicher so nicht wieder kehrte,
sich des natürlichen Brückenkopfs zwischen Italien und Sici-
lien zu bemächtigen und ihn durch eine tapfere und aus
guten Gründen zuverlässige Besatzung zu sichern; gerecht-
fertigt mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft über den
letzten freien Paſs zwischen der Ost- und Westsee und die
Handelsfreiheit Italiens aufzuopfern? Zwar lieſsen sich gegen
die Besetzung Messanas auch ernsthaftere Bedenken geltend
machen als die der Gefühlspolitik waren. Daſs sie zu einem
Kriege mit Karthago führen muſste, war das geringste der-
selben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn nicht zu
fürchten. Aber wichtiger war es, daſs man mit dem Ueber-
schreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen
und rein continentalen Politik; man gab das System auf,
durch welches die Väter Roms Gröſse gegründet hatten, um
ein neues zu beginnen, dessen Resultate vorherzusagen Nie-
mand vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Be-
rechnung aufhört und wo der Glaube an den eigenen Stern
und an den Stern des Vaterlandes allein den Muth giebt die
Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und
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