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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL I.
gelte Finanzwirthschaft gedeckt werden und man vierzehn Jahre
nach dem Frieden zur sofortigen Erlegung der noch übrigen
sechs und dreissig Termine sich erbieten konnte. Aber es ist
nicht bloss die Summe der Einkünfte, in der sich die Ueberle-
genheit der karthagischen Finanzwirthschaft ausspricht; auch die
ökonomischen Grundsätze einer späteren und vorgeschrittneren
Zeit finden wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten
des Alterthums: es ist von ausländischen Staatsanleihen die
Rede und im Geldsystem finden wir neben Goldmünzen ein
dem Stoff nach werthloses Zeichengeld, welches sonst dem
Alterthum völlig fremd ist. In der That, wenn der Staat eine
Speculation wäre, nie hätte einer glänzender seine Aufgabe
gelöst als Karthago.

Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Römer.
Beides waren Ackerbaustaaten; aber in Karthago herrschte der
grosse Grundbesitz, die Gutswirthschaft, das Sclavensystem,
während in Rom die Masse der Bürgerschaft selbst das Feld
baute. Die Mehrzahl der Bevölkerung war also in Rom be-
sitzend, das ist conservativ, in Karthago besitzlos und dem
Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demagogen zu-
gänglich. -- Beider Verfassung war aristokratisch; wie der
Senat in Rom regierten die Richter in Karthago. Allein wäh-
rend der römische Senat jeder Tüchtigkeit sich öffnete und
im besten Sinn die Nation vertrat, durfte er dem Volke ver-
trauen und brauchte die Beamten nicht zu fürchten. Der
karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersüchtigen
Controle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat aus-
schliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Miss-
trauen nach oben wie nach unten und so konnte er weder
sicher sein, dass das Volk ihm folgte wohin es geführt ward,
noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der
feste Gang der römischen Politik, die im Unglück keinen
Schritt zurückwich und die Gunst des Glückes nicht ver-
scherzte durch Fahrlässigkeit und Halbheit; während die Kar-
thager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung viel-
leicht alles gerettet hätte, und der grossen nationalen Aufgaben
überdrüssig oder vergessen den halb fertigen Bau einstürzen
liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Da-
her ist der tüchtige Beamte in Rom regelmässig im Einver-
ständniss mit seiner Regierung, in Karthago häufig in ent-
schiedener Fehde mit den Herren daheim und gedrängt sich
ihnen verfassungswidrig zu widersetzen oder gemeinschaftliche

DRITTES BUCH. KAPITEL I.
gelte Finanzwirthschaft gedeckt werden und man vierzehn Jahre
nach dem Frieden zur sofortigen Erlegung der noch übrigen
sechs und dreiſsig Termine sich erbieten konnte. Aber es ist
nicht bloſs die Summe der Einkünfte, in der sich die Ueberle-
genheit der karthagischen Finanzwirthschaft ausspricht; auch die
ökonomischen Grundsätze einer späteren und vorgeschrittneren
Zeit finden wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten
des Alterthums: es ist von ausländischen Staatsanleihen die
Rede und im Geldsystem finden wir neben Goldmünzen ein
dem Stoff nach werthloses Zeichengeld, welches sonst dem
Alterthum völlig fremd ist. In der That, wenn der Staat eine
Speculation wäre, nie hätte einer glänzender seine Aufgabe
gelöst als Karthago.

Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Römer.
Beides waren Ackerbaustaaten; aber in Karthago herrschte der
groſse Grundbesitz, die Gutswirthschaft, das Sclavensystem,
während in Rom die Masse der Bürgerschaft selbst das Feld
baute. Die Mehrzahl der Bevölkerung war also in Rom be-
sitzend, das ist conservativ, in Karthago besitzlos und dem
Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demagogen zu-
gänglich. — Beider Verfassung war aristokratisch; wie der
Senat in Rom regierten die Richter in Karthago. Allein wäh-
rend der römische Senat jeder Tüchtigkeit sich öffnete und
im besten Sinn die Nation vertrat, durfte er dem Volke ver-
trauen und brauchte die Beamten nicht zu fürchten. Der
karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersüchtigen
Controle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat aus-
schlieſslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Miſs-
trauen nach oben wie nach unten und so konnte er weder
sicher sein, daſs das Volk ihm folgte wohin es geführt ward,
noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der
feste Gang der römischen Politik, die im Unglück keinen
Schritt zurückwich und die Gunst des Glückes nicht ver-
scherzte durch Fahrlässigkeit und Halbheit; während die Kar-
thager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung viel-
leicht alles gerettet hätte, und der groſsen nationalen Aufgaben
überdrüssig oder vergessen den halb fertigen Bau einstürzen
lieſsen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Da-
her ist der tüchtige Beamte in Rom regelmäſsig im Einver-
ständniſs mit seiner Regierung, in Karthago häufig in ent-
schiedener Fehde mit den Herren daheim und gedrängt sich
ihnen verfassungswidrig zu widersetzen oder gemeinschaftliche

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[324/0338] DRITTES BUCH. KAPITEL I. gelte Finanzwirthschaft gedeckt werden und man vierzehn Jahre nach dem Frieden zur sofortigen Erlegung der noch übrigen sechs und dreiſsig Termine sich erbieten konnte. Aber es ist nicht bloſs die Summe der Einkünfte, in der sich die Ueberle- genheit der karthagischen Finanzwirthschaft ausspricht; auch die ökonomischen Grundsätze einer späteren und vorgeschrittneren Zeit finden wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Alterthums: es ist von ausländischen Staatsanleihen die Rede und im Geldsystem finden wir neben Goldmünzen ein dem Stoff nach werthloses Zeichengeld, welches sonst dem Alterthum völlig fremd ist. In der That, wenn der Staat eine Speculation wäre, nie hätte einer glänzender seine Aufgabe gelöst als Karthago. Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Römer. Beides waren Ackerbaustaaten; aber in Karthago herrschte der groſse Grundbesitz, die Gutswirthschaft, das Sclavensystem, während in Rom die Masse der Bürgerschaft selbst das Feld baute. Die Mehrzahl der Bevölkerung war also in Rom be- sitzend, das ist conservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demagogen zu- gänglich. — Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die Richter in Karthago. Allein wäh- rend der römische Senat jeder Tüchtigkeit sich öffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte er dem Volke ver- trauen und brauchte die Beamten nicht zu fürchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersüchtigen Controle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat aus- schlieſslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Miſs- trauen nach oben wie nach unten und so konnte er weder sicher sein, daſs das Volk ihm folgte wohin es geführt ward, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der römischen Politik, die im Unglück keinen Schritt zurückwich und die Gunst des Glückes nicht ver- scherzte durch Fahrlässigkeit und Halbheit; während die Kar- thager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung viel- leicht alles gerettet hätte, und der groſsen nationalen Aufgaben überdrüssig oder vergessen den halb fertigen Bau einstürzen lieſsen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Da- her ist der tüchtige Beamte in Rom regelmäſsig im Einver- ständniſs mit seiner Regierung, in Karthago häufig in ent- schiedener Fehde mit den Herren daheim und gedrängt sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen oder gemeinschaftliche

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/338>, abgerufen am 22.11.2024.