Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
KAPITEL I.


Karthago.

Der Völker- und Culturkreis des semitischen Stammes
ist ein wesentlich anderer als derjenige, dem die Römer und
Griechen angehören. Der Schwerpunct liegt für jene im Osten,
für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wande-
rung die Grenze verschoben und die Stämme durch einander
warfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der
Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den aramaei-
schen, arabischen, israelitischen Nationen. Dies gilt auch von
demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgend ein anderes
gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikiern oder
Puniern. Ihre Heimath ist der schmale Küstenstreif zwischen
Kleinasien, dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene
genannt, das heisst Chanaan, oder das Dattelpalmenland, das
heisst Phoenike. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau;
aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der
Reichthum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der
hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die
weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche mittellän-
dische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit
dem Menschen aufgegangen ist. Was Muth, Scharfsinn und
Begeisterung vermögen, haben die Phoenikier aufgeboten um
dem Handel und was daraus folgt, der Schifffahrt, Fabrica-
tion, Colonisirung die volle Entwicklung zu geben und Osten
und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden
wir sie in Cypern und Aegypten, in Griechenland und Sicilien,

KAPITEL I.


Karthago.

Der Völker- und Culturkreis des semitischen Stammes
ist ein wesentlich anderer als derjenige, dem die Römer und
Griechen angehören. Der Schwerpunct liegt für jene im Osten,
für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wande-
rung die Grenze verschoben und die Stämme durch einander
warfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der
Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den aramaei-
schen, arabischen, israelitischen Nationen. Dies gilt auch von
demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgend ein anderes
gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikiern oder
Puniern. Ihre Heimath ist der schmale Küstenstreif zwischen
Kleinasien, dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene
genannt, das heiſst Chanaan, oder das Dattelpalmenland, das
heiſst Phoenike. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau;
aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der
Reichthum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der
hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die
weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche mittellän-
dische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Groſsartigkeit
dem Menschen aufgegangen ist. Was Muth, Scharfsinn und
Begeisterung vermögen, haben die Phoenikier aufgeboten um
dem Handel und was daraus folgt, der Schifffahrt, Fabrica-
tion, Colonisirung die volle Entwicklung zu geben und Osten
und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden
wir sie in Cypern und Aegypten, in Griechenland und Sicilien,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0323" n="[309]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">KAPITEL</hi> I.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <argument>
            <p><hi rendition="#g">Karthago</hi>.</p>
          </argument><lb/>
          <p>Der Völker- und Culturkreis des semitischen Stammes<lb/>
ist ein wesentlich anderer als derjenige, dem die Römer und<lb/>
Griechen angehören. Der Schwerpunct liegt für jene im Osten,<lb/>
für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wande-<lb/>
rung die Grenze verschoben und die Stämme durch einander<lb/>
warfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der<lb/>
Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den aramaei-<lb/>
schen, arabischen, israelitischen Nationen. Dies gilt auch von<lb/>
demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgend ein anderes<lb/>
gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikiern oder<lb/>
Puniern. Ihre Heimath ist der schmale Küstenstreif zwischen<lb/>
Kleinasien, dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene<lb/>
genannt, das hei&#x017F;st Chanaan, oder das Dattelpalmenland, das<lb/>
hei&#x017F;st Phoenike. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau;<lb/>
aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der<lb/>
Reichthum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der<lb/>
hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die<lb/>
weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche mittellän-<lb/>
dische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Gro&#x017F;sartigkeit<lb/>
dem Menschen aufgegangen ist. Was Muth, Scharfsinn und<lb/>
Begeisterung vermögen, haben die Phoenikier aufgeboten um<lb/>
dem Handel und was daraus folgt, der Schifffahrt, Fabrica-<lb/>
tion, Colonisirung die volle Entwicklung zu geben und Osten<lb/>
und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden<lb/>
wir sie in Cypern und Aegypten, in Griechenland und Sicilien,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[309]/0323] KAPITEL I. Karthago. Der Völker- und Culturkreis des semitischen Stammes ist ein wesentlich anderer als derjenige, dem die Römer und Griechen angehören. Der Schwerpunct liegt für jene im Osten, für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wande- rung die Grenze verschoben und die Stämme durch einander warfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den aramaei- schen, arabischen, israelitischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgend ein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikiern oder Puniern. Ihre Heimath ist der schmale Küstenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heiſst Chanaan, oder das Dattelpalmenland, das heiſst Phoenike. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der Reichthum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche mittellän- dische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Groſsartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Muth, Scharfsinn und Begeisterung vermögen, haben die Phoenikier aufgeboten um dem Handel und was daraus folgt, der Schifffahrt, Fabrica- tion, Colonisirung die volle Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden wir sie in Cypern und Aegypten, in Griechenland und Sicilien,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/323
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [309]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/323>, abgerufen am 25.11.2024.