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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KOENIG PYRRHOS.
zung des Diadochensystems nach Syrakus; sehr bald schien das
karthagische Joch dem thörichten Volk erträglicher als das
neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Städte knüpften
mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen
an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder sich auf der
Insel zu zeigen und überall von den Griechen unterstützt,
machte es reissende Fortschritte. Zwar war in der Schlacht,
die Pyrrhos ihm lieferte, das Glück wie immer mit dem ,Adler';
allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die
Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte, wenn
der König sich entfernte. -- Zu diesem ersten und wesent-
lichsten Fehler beging Pyrrhos einen zweiten; er ging mit der
Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste
er, eben bei der Gährung in den Gemüthern der Sikelioten,
vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz
verdrängt und damit den Unzufriedenen den Rückhalt abge-
schnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden konnte;
hier war nichts zu versäumen, denn Tarent war ihm sicher
genug und an den übrigen Bundesgenossen, nachdem sie ein-
mal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich,
dass sein Soldatensinn ihn trieb den nicht sehr ehrenvollen
Abzug vom Jahre 476 durch eine glänzende Wiederkehr aus-
zutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen
der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie
sie Pyrrhos sich gestellt hatte, können nur gelöst werden von
eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefühl
zu beherrschen vermögen; und eine solche war Pyrrhos nicht.

Die verhängnissvolle Einschiffung fand statt gegen das
Ende des Jahres 478. Unterwegs hatte die neue syrakusani-
sche Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu be-
stehen, worin jene eine beträchtliche Anzahl Schiffe einbüsste.
Die Kunde von diesem ersten Unfall genügte zum Sturz des
sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Städte dem
König Geld und Truppen und der glänzende Staat brach
zusammen so schnell wie er entstanden war, theils weil
der König selbst die Treue und Liebe, auf der jeder Staat
ruht, in den Herzen seiner Unterthanen untergraben hatte,
theils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte zur Rettung
der Nationalität auf kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Da-
mit war Pyrrhos Unternehmen gescheitert, der Plan seines
Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der
es fühlt was er gewesen und was er jetzt ist, der den Krieg

KOENIG PYRRHOS.
zung des Diadochensystems nach Syrakus; sehr bald schien das
karthagische Joch dem thörichten Volk erträglicher als das
neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Städte knüpften
mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen
an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder sich auf der
Insel zu zeigen und überall von den Griechen unterstützt,
machte es reiſsende Fortschritte. Zwar war in der Schlacht,
die Pyrrhos ihm lieferte, das Glück wie immer mit dem ‚Adler‘;
allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die
Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte, wenn
der König sich entfernte. — Zu diesem ersten und wesent-
lichsten Fehler beging Pyrrhos einen zweiten; er ging mit der
Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich muſste
er, eben bei der Gährung in den Gemüthern der Sikelioten,
vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz
verdrängt und damit den Unzufriedenen den Rückhalt abge-
schnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden konnte;
hier war nichts zu versäumen, denn Tarent war ihm sicher
genug und an den übrigen Bundesgenossen, nachdem sie ein-
mal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich,
daſs sein Soldatensinn ihn trieb den nicht sehr ehrenvollen
Abzug vom Jahre 476 durch eine glänzende Wiederkehr aus-
zutilgen und daſs ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen
der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie
sie Pyrrhos sich gestellt hatte, können nur gelöst werden von
eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefühl
zu beherrschen vermögen; und eine solche war Pyrrhos nicht.

Die verhängniſsvolle Einschiffung fand statt gegen das
Ende des Jahres 478. Unterwegs hatte die neue syrakusani-
sche Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu be-
stehen, worin jene eine beträchtliche Anzahl Schiffe einbüſste.
Die Kunde von diesem ersten Unfall genügte zum Sturz des
sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Städte dem
König Geld und Truppen und der glänzende Staat brach
zusammen so schnell wie er entstanden war, theils weil
der König selbst die Treue und Liebe, auf der jeder Staat
ruht, in den Herzen seiner Unterthanen untergraben hatte,
theils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte zur Rettung
der Nationalität auf kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Da-
mit war Pyrrhos Unternehmen gescheitert, der Plan seines
Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der
es fühlt was er gewesen und was er jetzt ist, der den Krieg

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[277/0291] KOENIG PYRRHOS. zung des Diadochensystems nach Syrakus; sehr bald schien das karthagische Joch dem thörichten Volk erträglicher als das neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Städte knüpften mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder sich auf der Insel zu zeigen und überall von den Griechen unterstützt, machte es reiſsende Fortschritte. Zwar war in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, das Glück wie immer mit dem ‚Adler‘; allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte, wenn der König sich entfernte. — Zu diesem ersten und wesent- lichsten Fehler beging Pyrrhos einen zweiten; er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich muſste er, eben bei der Gährung in den Gemüthern der Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz verdrängt und damit den Unzufriedenen den Rückhalt abge- schnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden konnte; hier war nichts zu versäumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den übrigen Bundesgenossen, nachdem sie ein- mal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich, daſs sein Soldatensinn ihn trieb den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 durch eine glänzende Wiederkehr aus- zutilgen und daſs ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, können nur gelöst werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefühl zu beherrschen vermögen; und eine solche war Pyrrhos nicht. Die verhängniſsvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478. Unterwegs hatte die neue syrakusani- sche Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu be- stehen, worin jene eine beträchtliche Anzahl Schiffe einbüſste. Die Kunde von diesem ersten Unfall genügte zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Städte dem König Geld und Truppen und der glänzende Staat brach zusammen so schnell wie er entstanden war, theils weil der König selbst die Treue und Liebe, auf der jeder Staat ruht, in den Herzen seiner Unterthanen untergraben hatte, theils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte zur Rettung der Nationalität auf kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Da- mit war Pyrrhos Unternehmen gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es fühlt was er gewesen und was er jetzt ist, der den Krieg

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/291>, abgerufen am 22.11.2024.