Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.KOENIG PYRRHOS. gerwehr vor den Römern nur wegzulaufen verstand, davonhatte man sich sattsam überzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem König gutdünkende Bedingung, das heisst die Wahl zwi- schen Unterwerfung unter die römische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten sich fast in der Stadt die Wage; endlich setzte die demago- gische, die trotz Roms anscheinender Mässigung die Rache für die den Römern zugefügten Schändlichkeiten fürchtete, es durch, dass man mit Pyrrhos abschloss. Er erhielt den Ober- befehl über die Truppen der Tarentiner und der übrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht Besatzung in Tarent zu halten. Dass Tarent die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen in Italien nicht länger als nöthig zu bleiben, vermuthlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt über diese Nothwendigkeit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Während die taren- tinischen Gesandten -- ohne Zweifel die Häupter der Kriegs- partei -- in Epeiros abwesend waren, schlug indess in der von den Römern bedrängten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem römisch Gesinnten über- tragen, als die Rückkehr der Gesandten mit dem abgeschlos- senen Tractat in Begleitung von Pyrrhos vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Endlich ward dem kläglichen Schwanken ein Ende gemacht, indem eine festere Hand die Zügel fasste. Noch im Herbst 473 lan- dete Pyrrhos General Milon mit 3000 Epeiroten, besetzte die Citadelle der Stadt und erlöste die Bürger von dem lästigen Postendienst; Aemilius räumte darauf das Gebiet von Tarent und nahm Winterquartiere in Apulien. Mit der Hauptmacht erschien der König selbst in Tarent zu Anfang des Jahres 474 nach einer stürmischen Ueberfahrt, die zahlreiche Opfer kostete. Ihm folgte ein buntgemischtes Heer, theils bestehend aus den Haustruppen, den Molottern, Thesprotiern, Chao- nern, Ambrakioten, theils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die König Ptolemaeos von Ma- kedonien vertragsmässig ihm überlassen, theils aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Söldnern; im Ganzen zählte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschützen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elephanten, also nicht viel weniger als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander funfzig Jahre zuvor den Hellespont überschritt. In Italien indess standen KOENIG PYRRHOS. gerwehr vor den Römern nur wegzulaufen verstand, davonhatte man sich sattsam überzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem König gutdünkende Bedingung, das heiſst die Wahl zwi- schen Unterwerfung unter die römische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten sich fast in der Stadt die Wage; endlich setzte die demago- gische, die trotz Roms anscheinender Mäſsigung die Rache für die den Römern zugefügten Schändlichkeiten fürchtete, es durch, daſs man mit Pyrrhos abschloſs. Er erhielt den Ober- befehl über die Truppen der Tarentiner und der übrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht Besatzung in Tarent zu halten. Daſs Tarent die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen in Italien nicht länger als nöthig zu bleiben, vermuthlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt über diese Nothwendigkeit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Während die taren- tinischen Gesandten — ohne Zweifel die Häupter der Kriegs- partei — in Epeiros abwesend waren, schlug indeſs in der von den Römern bedrängten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem römisch Gesinnten über- tragen, als die Rückkehr der Gesandten mit dem abgeschlos- senen Tractat in Begleitung von Pyrrhos vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Endlich ward dem kläglichen Schwanken ein Ende gemacht, indem eine festere Hand die Zügel faſste. Noch im Herbst 473 lan- dete Pyrrhos General Milon mit 3000 Epeiroten, besetzte die Citadelle der Stadt und erlöste die Bürger von dem lästigen Postendienst; Aemilius räumte darauf das Gebiet von Tarent und nahm Winterquartiere in Apulien. Mit der Hauptmacht erschien der König selbst in Tarent zu Anfang des Jahres 474 nach einer stürmischen Ueberfahrt, die zahlreiche Opfer kostete. Ihm folgte ein buntgemischtes Heer, theils bestehend aus den Haustruppen, den Molottern, Thesprotiern, Chao- nern, Ambrakioten, theils aus dem makedonischen Fuſsvolk und der thessalischen Reiterei, die König Ptolemaeos von Ma- kedonien vertragsmäſsig ihm überlassen, theils aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Söldnern; im Ganzen zählte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschützen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elephanten, also nicht viel weniger als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander funfzig Jahre zuvor den Hellespont überschritt. 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KOENIG PYRRHOS.
gerwehr vor den Römern nur wegzulaufen verstand, davon
hatte man sich sattsam überzeugt; es blieb nur die Wahl
zwischen Frieden mit Rom und Vertrag mit Pyrrhos auf jede
dem König gutdünkende Bedingung, das heiſst die Wahl zwi-
schen Unterwerfung unter die römische Obermacht oder unter
die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten
sich fast in der Stadt die Wage; endlich setzte die demago-
gische, die trotz Roms anscheinender Mäſsigung die Rache
für die den Römern zugefügten Schändlichkeiten fürchtete, es
durch, daſs man mit Pyrrhos abschloſs. Er erhielt den Ober-
befehl über die Truppen der Tarentiner und der übrigen
gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht
Besatzung in Tarent zu halten. Daſs Tarent die Kriegskosten
trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen in
Italien nicht länger als nöthig zu bleiben, vermuthlich unter
dem stillschweigenden Vorbehalt über diese Nothwendigkeit
nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Während die taren-
tinischen Gesandten — ohne Zweifel die Häupter der Kriegs-
partei — in Epeiros abwesend waren, schlug indeſs in der
von den Römern bedrängten Stadt die Stimmung um; schon
war der Oberbefehl dem Agis, einem römisch Gesinnten über-
tragen, als die Rückkehr der Gesandten mit dem abgeschlos-
senen Tractat in Begleitung von Pyrrhos vertrautem Minister
Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Endlich
ward dem kläglichen Schwanken ein Ende gemacht, indem
eine festere Hand die Zügel faſste. Noch im Herbst 473 lan-
dete Pyrrhos General Milon mit 3000 Epeiroten, besetzte die
Citadelle der Stadt und erlöste die Bürger von dem lästigen
Postendienst; Aemilius räumte darauf das Gebiet von Tarent
und nahm Winterquartiere in Apulien. Mit der Hauptmacht
erschien der König selbst in Tarent zu Anfang des Jahres
474 nach einer stürmischen Ueberfahrt, die zahlreiche Opfer
kostete. Ihm folgte ein buntgemischtes Heer, theils bestehend
aus den Haustruppen, den Molottern, Thesprotiern, Chao-
nern, Ambrakioten, theils aus dem makedonischen Fuſsvolk
und der thessalischen Reiterei, die König Ptolemaeos von Ma-
kedonien vertragsmäſsig ihm überlassen, theils aus aetolischen,
akarnanischen, athamanischen Söldnern; im Ganzen zählte
man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschützen, 500 Schleuderer,
3000 Reiter und 20 Elephanten, also nicht viel weniger als
dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander funfzig Jahre
zuvor den Hellespont überschritt. In Italien indeſs standen
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