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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
nischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit
kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder
schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass so-
gar, als um 446 Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Kar-
thago rüstete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen.
Die Etrusker mochten für Corsica fürchten, das sie wahrschein-
lich behaupteten; die alte tuskisch-punische Symmachie, die
noch zu Aristoteles Zeit (370-432) bestand, war jedenfalls
gesprengt, aber auch die etruskische Seeherrschaft zu Ende.

Dieser rasche und verhängnissvolle Glückswechsel würde
unerklärlich sein, wenn nicht die Etrusker zu eben der Zeit,
wo die sicilischen Griechen sie zur See angriffen, sich zu
Lande von allen Seiten her schwer bedrängt gesehen hätten.
Kaum war ihre campanische Niederlassung durch die Folgen
des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden,
als sie auch sich nicht mehr im Stande sah den Angriffen
der sabellischen Bergvölker zu widerstehen. Ihre Hauptstadt
Capua fiel 331 und die tuskische Bevölkerung ward hier bald
nach der Eroberung von den Samniten verjagt oder ausge-
rottet. Auch die campanischen Griechen, vereinzelt und ge-
schwächt, hatten schwer zu leiden; Kyme selbst ward 335
von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten sich diese,
namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hülfe der Syrakusaner,
während der etruskische Name in Campanien ausgelöscht ward
und aus der Geschichte spurlos verschwindet; kaum dass ein-
zelne etruskische Gemeinden eine kümmerliche und verlorene
Existenz sich dort fristeten. -- Noch folgenreichere Ereignisse
traten um dieselbe Zeit im nördlichen Italien ein und be-
schränkten das etruskische Gebiet auf diejenigen engen Gren-
zen, die seitdem die Grenzen Etruriens blieben. Eine neue
Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten;
und der erste Andrang traf die Etrusker.

Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat
von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung
empfangen als die italischen, germanischen und hellenischen
Schwestern. Es fehlt ihr bei manchen tüchtigen und noch
mehr glänzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staat-
liche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der mensch-
lichen Entwicklung sich gründet. Es galt, sagt Cicero, als
schimpflich für den freien Kelten das Feld mit eigenen Hän-
den zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben
vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugs-

STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
nischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit
kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder
schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so daſs so-
gar, als um 446 Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Kar-
thago rüstete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stieſsen.
Die Etrusker mochten für Corsica fürchten, das sie wahrschein-
lich behaupteten; die alte tuskisch-punische Symmachie, die
noch zu Aristoteles Zeit (370-432) bestand, war jedenfalls
gesprengt, aber auch die etruskische Seeherrschaft zu Ende.

Dieser rasche und verhängniſsvolle Glückswechsel würde
unerklärlich sein, wenn nicht die Etrusker zu eben der Zeit,
wo die sicilischen Griechen sie zur See angriffen, sich zu
Lande von allen Seiten her schwer bedrängt gesehen hätten.
Kaum war ihre campanische Niederlassung durch die Folgen
des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden,
als sie auch sich nicht mehr im Stande sah den Angriffen
der sabellischen Bergvölker zu widerstehen. Ihre Hauptstadt
Capua fiel 331 und die tuskische Bevölkerung ward hier bald
nach der Eroberung von den Samniten verjagt oder ausge-
rottet. Auch die campanischen Griechen, vereinzelt und ge-
schwächt, hatten schwer zu leiden; Kyme selbst ward 335
von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten sich diese,
namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hülfe der Syrakusaner,
während der etruskische Name in Campanien ausgelöscht ward
und aus der Geschichte spurlos verschwindet; kaum daſs ein-
zelne etruskische Gemeinden eine kümmerliche und verlorene
Existenz sich dort fristeten. — Noch folgenreichere Ereignisse
traten um dieselbe Zeit im nördlichen Italien ein und be-
schränkten das etruskische Gebiet auf diejenigen engen Gren-
zen, die seitdem die Grenzen Etruriens blieben. Eine neue
Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten;
und der erste Andrang traf die Etrusker.

Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat
von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung
empfangen als die italischen, germanischen und hellenischen
Schwestern. Es fehlt ihr bei manchen tüchtigen und noch
mehr glänzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staat-
liche Anlage, auf welche alles Gute und Groſse in der mensch-
lichen Entwicklung sich gründet. Es galt, sagt Cicero, als
schimpflich für den freien Kelten das Feld mit eigenen Hän-
den zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben
vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugs-

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[207/0221] STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. nischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so daſs so- gar, als um 446 Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Kar- thago rüstete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stieſsen. Die Etrusker mochten für Corsica fürchten, das sie wahrschein- lich behaupteten; die alte tuskisch-punische Symmachie, die noch zu Aristoteles Zeit (370-432) bestand, war jedenfalls gesprengt, aber auch die etruskische Seeherrschaft zu Ende. Dieser rasche und verhängniſsvolle Glückswechsel würde unerklärlich sein, wenn nicht die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sicilischen Griechen sie zur See angriffen, sich zu Lande von allen Seiten her schwer bedrängt gesehen hätten. Kaum war ihre campanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch sich nicht mehr im Stande sah den Angriffen der sabellischen Bergvölker zu widerstehen. Ihre Hauptstadt Capua fiel 331 und die tuskische Bevölkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten verjagt oder ausge- rottet. Auch die campanischen Griechen, vereinzelt und ge- schwächt, hatten schwer zu leiden; Kyme selbst ward 335 von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten sich diese, namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hülfe der Syrakusaner, während der etruskische Name in Campanien ausgelöscht ward und aus der Geschichte spurlos verschwindet; kaum daſs ein- zelne etruskische Gemeinden eine kümmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten. — Noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im nördlichen Italien ein und be- schränkten das etruskische Gebiet auf diejenigen engen Gren- zen, die seitdem die Grenzen Etruriens blieben. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten; und der erste Andrang traf die Etrusker. Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italischen, germanischen und hellenischen Schwestern. Es fehlt ihr bei manchen tüchtigen und noch mehr glänzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staat- liche Anlage, auf welche alles Gute und Groſse in der mensch- lichen Entwicklung sich gründet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich für den freien Kelten das Feld mit eigenen Hän- den zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugs-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/221>, abgerufen am 22.11.2024.