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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
zuwirken, dass die Bürgerschaft sich auflöse in Aristokratie
und Proletariat, wovon die unvermeidliche Folge die Despotie
in dieser oder jener Form gewesen sein würde. In der That
wurde von den Behörden in der Epoche nach dem licinisch-
sextischen Gesetz mit grösserer Energie als zu irgend einer ande-
ren Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet den ansässigen
Mittelstand zu schützen. Die Vorschriften in Betreff der Domä-
nenoccupation wurden mit Strenge gehandhabt; es ist charak-
teristisch für die Stellung der plebejischen Aristokratie, dass
einer der Urheber des neuen Ackergesetzes, Gaius Licinius,
selbst unter den ersten wegen Ueberschreitung des Acker-
maximum Verurtheilten sich befand. Ebenso suchte man dem
Creditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die
zwölf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmäh-
lich geschärft, so dass das Zinsmaximum successiv von 12
(im Jahre 397) auf 6 von Hundert (im Jahre 407) ermässigt
und endlich (Jahr 412) das Zinsnehmen ganz verboten ward.
Die letztere Thorheit scheint sich bald von selbst aufgehoben
zu haben; factisch blieb es wohl bei dem Maximum von 12
vom Hundert, das nach den Geldverhältnissen des Alterthums
überhaupt ungefähr sein mochte was heute die Maxima von
fünf oder sechs vom Hundert. Strafklagen gegen notorische
Wucherer wurden häufig vor das Volk gebracht und fanden
bereitwilliges Gehör; im Jahre 402 wurde eine Schuldentil-
gungscommission niedergesetzt und 407 gesetzliche Terminzah-
lungen angeordnet. Wichtiger noch war die Aenderung des
Schuldprozesses durch das poetelische Gesetz (428 oder 441),
nach welchem theils jeder Schuldner, der seine Zahlungsfähig-
keit eidlich erhärtete, durch Abtretung seines Vermögens seine
persönliche Freiheit sich rettete, theils das bisherige kurze
Executivverfahren bei der Darlehnsschuld abgeschafft ward. --
Dass alle diese Mittel nicht genügen konnten, leuchtet ein;
wie gross in der That noch die Schuldenlast blieb, zeigt die
Emeute vom Jahre 467, wo das Volk, nachdem es über neue
Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte mit der Ge-
genpartei sich einigen können, hinauszog auf das Ianiculum
und erst ein rechtzeitiger Angriff der äusseren Feinde der
Gemeinde den Frieden wiedergab. Indess ist es sehr unge-
recht, wenn man diesen ernstlichen Versuchen der Verarmung
des Mittelstandes zu steuern ihre Unzulänglichkeit entgegen-
hält; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen
radicale Leiden für nutzlos zu erklären, weil sie nur zum

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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
zuwirken, daſs die Bürgerschaft sich auflöse in Aristokratie
und Proletariat, wovon die unvermeidliche Folge die Despotie
in dieser oder jener Form gewesen sein würde. In der That
wurde von den Behörden in der Epoche nach dem licinisch-
sextischen Gesetz mit gröſserer Energie als zu irgend einer ande-
ren Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet den ansässigen
Mittelstand zu schützen. Die Vorschriften in Betreff der Domä-
nenoccupation wurden mit Strenge gehandhabt; es ist charak-
teristisch für die Stellung der plebejischen Aristokratie, daſs
einer der Urheber des neuen Ackergesetzes, Gaius Licinius,
selbst unter den ersten wegen Ueberschreitung des Acker-
maximum Verurtheilten sich befand. Ebenso suchte man dem
Creditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die
zwölf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmäh-
lich geschärft, so daſs das Zinsmaximum successiv von 12
(im Jahre 397) auf 6 von Hundert (im Jahre 407) ermäſsigt
und endlich (Jahr 412) das Zinsnehmen ganz verboten ward.
Die letztere Thorheit scheint sich bald von selbst aufgehoben
zu haben; factisch blieb es wohl bei dem Maximum von 12
vom Hundert, das nach den Geldverhältnissen des Alterthums
überhaupt ungefähr sein mochte was heute die Maxima von
fünf oder sechs vom Hundert. Strafklagen gegen notorische
Wucherer wurden häufig vor das Volk gebracht und fanden
bereitwilliges Gehör; im Jahre 402 wurde eine Schuldentil-
gungscommission niedergesetzt und 407 gesetzliche Terminzah-
lungen angeordnet. Wichtiger noch war die Aenderung des
Schuldprozesses durch das poetelische Gesetz (428 oder 441),
nach welchem theils jeder Schuldner, der seine Zahlungsfähig-
keit eidlich erhärtete, durch Abtretung seines Vermögens seine
persönliche Freiheit sich rettete, theils das bisherige kurze
Executivverfahren bei der Darlehnsschuld abgeschafft ward. —
Daſs alle diese Mittel nicht genügen konnten, leuchtet ein;
wie groſs in der That noch die Schuldenlast blieb, zeigt die
Emeute vom Jahre 467, wo das Volk, nachdem es über neue
Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte mit der Ge-
genpartei sich einigen können, hinauszog auf das Ianiculum
und erst ein rechtzeitiger Angriff der äuſseren Feinde der
Gemeinde den Frieden wiedergab. Indeſs ist es sehr unge-
recht, wenn man diesen ernstlichen Versuchen der Verarmung
des Mittelstandes zu steuern ihre Unzulänglichkeit entgegen-
hält; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen
radicale Leiden für nutzlos zu erklären, weil sie nur zum

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[195/0209] AUSGLEICHUNG DER STAENDE. zuwirken, daſs die Bürgerschaft sich auflöse in Aristokratie und Proletariat, wovon die unvermeidliche Folge die Despotie in dieser oder jener Form gewesen sein würde. In der That wurde von den Behörden in der Epoche nach dem licinisch- sextischen Gesetz mit gröſserer Energie als zu irgend einer ande- ren Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet den ansässigen Mittelstand zu schützen. Die Vorschriften in Betreff der Domä- nenoccupation wurden mit Strenge gehandhabt; es ist charak- teristisch für die Stellung der plebejischen Aristokratie, daſs einer der Urheber des neuen Ackergesetzes, Gaius Licinius, selbst unter den ersten wegen Ueberschreitung des Acker- maximum Verurtheilten sich befand. Ebenso suchte man dem Creditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die zwölf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmäh- lich geschärft, so daſs das Zinsmaximum successiv von 12 (im Jahre 397) auf 6 von Hundert (im Jahre 407) ermäſsigt und endlich (Jahr 412) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Die letztere Thorheit scheint sich bald von selbst aufgehoben zu haben; factisch blieb es wohl bei dem Maximum von 12 vom Hundert, das nach den Geldverhältnissen des Alterthums überhaupt ungefähr sein mochte was heute die Maxima von fünf oder sechs vom Hundert. Strafklagen gegen notorische Wucherer wurden häufig vor das Volk gebracht und fanden bereitwilliges Gehör; im Jahre 402 wurde eine Schuldentil- gungscommission niedergesetzt und 407 gesetzliche Terminzah- lungen angeordnet. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das poetelische Gesetz (428 oder 441), nach welchem theils jeder Schuldner, der seine Zahlungsfähig- keit eidlich erhärtete, durch Abtretung seines Vermögens seine persönliche Freiheit sich rettete, theils das bisherige kurze Executivverfahren bei der Darlehnsschuld abgeschafft ward. — Daſs alle diese Mittel nicht genügen konnten, leuchtet ein; wie groſs in der That noch die Schuldenlast blieb, zeigt die Emeute vom Jahre 467, wo das Volk, nachdem es über neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte mit der Ge- genpartei sich einigen können, hinauszog auf das Ianiculum und erst ein rechtzeitiger Angriff der äuſseren Feinde der Gemeinde den Frieden wiedergab. Indeſs ist es sehr unge- recht, wenn man diesen ernstlichen Versuchen der Verarmung des Mittelstandes zu steuern ihre Unzulänglichkeit entgegen- hält; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radicale Leiden für nutzlos zu erklären, weil sie nur zum 13*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/209>, abgerufen am 22.11.2024.