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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
Sein Haus ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Spei-
chern dem Volke umsonst vertheilt, und die seinen Tod zu
rächen drohten heimlich über die Seite gebracht. Dieser
schändliche Justizmord, eine Schande mehr noch für das
leichtgläubige und blinde Volk als für die tückische Junker-
partei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte
damit das Provocationsrecht zu untergraben, so hatte sie um-
sonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut ver-
gossen. -- Besser indess als alle übrigen Mittel dienten dem
Adel Wahlintriguen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein
müssen, zeigt am besten, dass schon 322 es nöthig schien
ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natür-
lich nichts half. Konnte man auf die Stimmberechtigten nicht
wirken durch Corruption oder Drohung, so thaten die Wahl-
directoren das Uebrige und liessen zum Beispiel so viele ple-
bejische Candidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich
zersplitterten, oder liessen diejenigen weg, die die Majorität
zu wählen beabsichtigte. Ward trotz alle dem eine solche
Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob nicht
eine Nichtigkeit in der Vogelschau oder den sonstigen religiö-
sen Ceremonien bei dieser Wahl vorgekommen seien; welche
diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekümmert
um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der
Ahnen liess man den Satz sich feststellen, dass den priester-
lichen Sachverständigen-Collegien das Recht zukomme jeden
Staatsact, Gesetz oder Wahl wegen Verletzung religiöser Er-
fordernisse zu cassiren. Auf diesem Wege wurde es möglich,
dass, nachdem die Wählbarkeit der Plebejer als Grundsatz
schon im Jahre 309 gesetzlich festgestellt worden war und
seitdem gesetzlich anerkannt blieb, dennoch nicht vor dem
Jahre 345 eine plebejische Wahl zur Quästur und nicht vor
dem Jahre 354 eine plebejische Wahl zum consularischen
Kriegstribunat durchgesetzt wurde. Es zeigte sich, dass die
principielle Abschaffung der Adelsprivilegien durch gesetzliche
Anordnungen der plebejischen Aristokratie noch keineswegs
wirklich gleiche Stellung gab mit dem Adel. In den Comitien
entschieden die Stimmen des Mittelstandes, der sich nicht be-
rufen fand die vornehmen Nichtadlichen vorzugsweise auf den
Schild zu heben, so lange seine eigenen Anliegen von der
plebejischen nicht minder wie von der patricischen Aristokratie
zurückgewiesen wurden.

Die socialen Fragen hatten während dieser politischen

ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
Sein Haus ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Spei-
chern dem Volke umsonst vertheilt, und die seinen Tod zu
rächen drohten heimlich über die Seite gebracht. Dieser
schändliche Justizmord, eine Schande mehr noch für das
leichtgläubige und blinde Volk als für die tückische Junker-
partei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte
damit das Provocationsrecht zu untergraben, so hatte sie um-
sonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut ver-
gossen. — Besser indeſs als alle übrigen Mittel dienten dem
Adel Wahlintriguen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein
müssen, zeigt am besten, daſs schon 322 es nöthig schien
ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natür-
lich nichts half. Konnte man auf die Stimmberechtigten nicht
wirken durch Corruption oder Drohung, so thaten die Wahl-
directoren das Uebrige und lieſsen zum Beispiel so viele ple-
bejische Candidaten zu, daſs die Stimmen der Opposition sich
zersplitterten, oder lieſsen diejenigen weg, die die Majorität
zu wählen beabsichtigte. Ward trotz alle dem eine solche
Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob nicht
eine Nichtigkeit in der Vogelschau oder den sonstigen religiö-
sen Ceremonien bei dieser Wahl vorgekommen seien; welche
diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekümmert
um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der
Ahnen lieſs man den Satz sich feststellen, daſs den priester-
lichen Sachverständigen-Collegien das Recht zukomme jeden
Staatsact, Gesetz oder Wahl wegen Verletzung religiöser Er-
fordernisse zu cassiren. Auf diesem Wege wurde es möglich,
daſs, nachdem die Wählbarkeit der Plebejer als Grundsatz
schon im Jahre 309 gesetzlich festgestellt worden war und
seitdem gesetzlich anerkannt blieb, dennoch nicht vor dem
Jahre 345 eine plebejische Wahl zur Quästur und nicht vor
dem Jahre 354 eine plebejische Wahl zum consularischen
Kriegstribunat durchgesetzt wurde. Es zeigte sich, daſs die
principielle Abschaffung der Adelsprivilegien durch gesetzliche
Anordnungen der plebejischen Aristokratie noch keineswegs
wirklich gleiche Stellung gab mit dem Adel. In den Comitien
entschieden die Stimmen des Mittelstandes, der sich nicht be-
rufen fand die vornehmen Nichtadlichen vorzugsweise auf den
Schild zu heben, so lange seine eigenen Anliegen von der
plebejischen nicht minder wie von der patricischen Aristokratie
zurückgewiesen wurden.

Die socialen Fragen hatten während dieser politischen

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[190/0204] ZWEITES BUCH. KAPITEL III. Sein Haus ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Spei- chern dem Volke umsonst vertheilt, und die seinen Tod zu rächen drohten heimlich über die Seite gebracht. Dieser schändliche Justizmord, eine Schande mehr noch für das leichtgläubige und blinde Volk als für die tückische Junker- partei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte damit das Provocationsrecht zu untergraben, so hatte sie um- sonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut ver- gossen. — Besser indeſs als alle übrigen Mittel dienten dem Adel Wahlintriguen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein müssen, zeigt am besten, daſs schon 322 es nöthig schien ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natür- lich nichts half. Konnte man auf die Stimmberechtigten nicht wirken durch Corruption oder Drohung, so thaten die Wahl- directoren das Uebrige und lieſsen zum Beispiel so viele ple- bejische Candidaten zu, daſs die Stimmen der Opposition sich zersplitterten, oder lieſsen diejenigen weg, die die Majorität zu wählen beabsichtigte. Ward trotz alle dem eine solche Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob nicht eine Nichtigkeit in der Vogelschau oder den sonstigen religiö- sen Ceremonien bei dieser Wahl vorgekommen seien; welche diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekümmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der Ahnen lieſs man den Satz sich feststellen, daſs den priester- lichen Sachverständigen-Collegien das Recht zukomme jeden Staatsact, Gesetz oder Wahl wegen Verletzung religiöser Er- fordernisse zu cassiren. Auf diesem Wege wurde es möglich, daſs, nachdem die Wählbarkeit der Plebejer als Grundsatz schon im Jahre 309 gesetzlich festgestellt worden war und seitdem gesetzlich anerkannt blieb, dennoch nicht vor dem Jahre 345 eine plebejische Wahl zur Quästur und nicht vor dem Jahre 354 eine plebejische Wahl zum consularischen Kriegstribunat durchgesetzt wurde. Es zeigte sich, daſs die principielle Abschaffung der Adelsprivilegien durch gesetzliche Anordnungen der plebejischen Aristokratie noch keineswegs wirklich gleiche Stellung gab mit dem Adel. In den Comitien entschieden die Stimmen des Mittelstandes, der sich nicht be- rufen fand die vornehmen Nichtadlichen vorzugsweise auf den Schild zu heben, so lange seine eigenen Anliegen von der plebejischen nicht minder wie von der patricischen Aristokratie zurückgewiesen wurden. Die socialen Fragen hatten während dieser politischen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/204>, abgerufen am 25.11.2024.