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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
sten Wahlen ein; jährlich erneuerte sich der eitle Kampf, ob
patricische Consuln oder aus beiden Ständen Kriegstribunen
mit gleicher Gewalt ernannt werden sollten und unter den
Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Er-
müdung und Langeweile zu überwinden, keineswegs als die
unwirksamste. Man zersplitterte die bis dahin ungetheilte
höchste Gewalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Ver-
mehrung der Angriffspuncte in die Länge zu ziehen. So wurde
die Feststellung des Budgets und der Bürger- und Steuer-
listen, welche bisher durch die Consuln oder durch von ihnen
ernannte Stellvertreter besorgt worden war, schon im Jahre
311 zweien von den Centurien aus dem Adel ernannten
Schätzern (censores) übertragen; doch hatte dieses Amt ur-
sprünglich keineswegs die hohe Bedeutung und die moralische
Suprematie, die im Verlauf der Zeit ihm beigelegt worden ist.
Ebenso wurde im Jahre 333 den Consuln die Ernennung ihrer
beiden Quästoren entzogen; offenbar in der Absicht, da die
Plebs von dem höchsten Amte einmal nicht mehr auszuschlie-
ssen war, diesem Amt selbst seine finanzielle Macht zu ent-
ziehen und durch die Censoren und Quästoren das Budget
und die Staatskasse in der Hand des Adels festzuhalten. Der
letztere Plan indess gelang nur halb, da die Plebejer alsbald
durchsetzten, dass die Quästoren aus beiden Ständen gewählt
werden könnten. -- Geradezu die plebejischen Rechte anzu-
greifen wagte man kaum; und wo es geschah, zeigt sich der
Angriff mehr als ein Act impotenter Rache denn als ein
politisches Beginnen. So namentlich der Process gegen Mae-
lius. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte während
schwerer Theurung (316) Getreide zu solchen Preisen, dass
er den patricischen Magazinvorsteher (praefectus annonae)
Gaius Minucius beschämte und beschimpfte. Dieser beschul-
digte ihn des Strebens nach der königlichen Gewalt; mit
welchem Recht, können wir freilich nicht entscheiden, allein
kaum glaublich ist es, dass ein Mann, der nicht einmal das
Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht
haben sollte. Indess man nahm die Sache ernsthaft. Titus
Quinctius Capitolinus, der zum sechsten Mal Consul war, er-
nannte den achtzigjährigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum
Dictator ohne Provocation, in offener Auflehnung gegen die
beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene
sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiter-
führer des Dictators, Gaius Servilius Ahala mit eigener Hand.

AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
sten Wahlen ein; jährlich erneuerte sich der eitle Kampf, ob
patricische Consuln oder aus beiden Ständen Kriegstribunen
mit gleicher Gewalt ernannt werden sollten und unter den
Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Er-
müdung und Langeweile zu überwinden, keineswegs als die
unwirksamste. Man zersplitterte die bis dahin ungetheilte
höchste Gewalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Ver-
mehrung der Angriffspuncte in die Länge zu ziehen. So wurde
die Feststellung des Budgets und der Bürger- und Steuer-
listen, welche bisher durch die Consuln oder durch von ihnen
ernannte Stellvertreter besorgt worden war, schon im Jahre
311 zweien von den Centurien aus dem Adel ernannten
Schätzern (censores) übertragen; doch hatte dieses Amt ur-
sprünglich keineswegs die hohe Bedeutung und die moralische
Suprematie, die im Verlauf der Zeit ihm beigelegt worden ist.
Ebenso wurde im Jahre 333 den Consuln die Ernennung ihrer
beiden Quästoren entzogen; offenbar in der Absicht, da die
Plebs von dem höchsten Amte einmal nicht mehr auszuschlie-
ſsen war, diesem Amt selbst seine finanzielle Macht zu ent-
ziehen und durch die Censoren und Quästoren das Budget
und die Staatskasse in der Hand des Adels festzuhalten. Der
letztere Plan indeſs gelang nur halb, da die Plebejer alsbald
durchsetzten, daſs die Quästoren aus beiden Ständen gewählt
werden könnten. — Geradezu die plebejischen Rechte anzu-
greifen wagte man kaum; und wo es geschah, zeigt sich der
Angriff mehr als ein Act impotenter Rache denn als ein
politisches Beginnen. So namentlich der Proceſs gegen Mae-
lius. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte während
schwerer Theurung (316) Getreide zu solchen Preisen, daſs
er den patricischen Magazinvorsteher (praefectus annonae)
Gaius Minucius beschämte und beschimpfte. Dieser beschul-
digte ihn des Strebens nach der königlichen Gewalt; mit
welchem Recht, können wir freilich nicht entscheiden, allein
kaum glaublich ist es, daſs ein Mann, der nicht einmal das
Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht
haben sollte. Indeſs man nahm die Sache ernsthaft. Titus
Quinctius Capitolinus, der zum sechsten Mal Consul war, er-
nannte den achtzigjährigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum
Dictator ohne Provocation, in offener Auflehnung gegen die
beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene
sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiter-
führer des Dictators, Gaius Servilius Ahala mit eigener Hand.

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[189/0203] AUSGLEICHUNG DER STAENDE. sten Wahlen ein; jährlich erneuerte sich der eitle Kampf, ob patricische Consuln oder aus beiden Ständen Kriegstribunen mit gleicher Gewalt ernannt werden sollten und unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Er- müdung und Langeweile zu überwinden, keineswegs als die unwirksamste. Man zersplitterte die bis dahin ungetheilte höchste Gewalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Ver- mehrung der Angriffspuncte in die Länge zu ziehen. So wurde die Feststellung des Budgets und der Bürger- und Steuer- listen, welche bisher durch die Consuln oder durch von ihnen ernannte Stellvertreter besorgt worden war, schon im Jahre 311 zweien von den Centurien aus dem Adel ernannten Schätzern (censores) übertragen; doch hatte dieses Amt ur- sprünglich keineswegs die hohe Bedeutung und die moralische Suprematie, die im Verlauf der Zeit ihm beigelegt worden ist. Ebenso wurde im Jahre 333 den Consuln die Ernennung ihrer beiden Quästoren entzogen; offenbar in der Absicht, da die Plebs von dem höchsten Amte einmal nicht mehr auszuschlie- ſsen war, diesem Amt selbst seine finanzielle Macht zu ent- ziehen und durch die Censoren und Quästoren das Budget und die Staatskasse in der Hand des Adels festzuhalten. Der letztere Plan indeſs gelang nur halb, da die Plebejer alsbald durchsetzten, daſs die Quästoren aus beiden Ständen gewählt werden könnten. — Geradezu die plebejischen Rechte anzu- greifen wagte man kaum; und wo es geschah, zeigt sich der Angriff mehr als ein Act impotenter Rache denn als ein politisches Beginnen. So namentlich der Proceſs gegen Mae- lius. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte während schwerer Theurung (316) Getreide zu solchen Preisen, daſs er den patricischen Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschämte und beschimpfte. Dieser beschul- digte ihn des Strebens nach der königlichen Gewalt; mit welchem Recht, können wir freilich nicht entscheiden, allein kaum glaublich ist es, daſs ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indeſs man nahm die Sache ernsthaft. Titus Quinctius Capitolinus, der zum sechsten Mal Consul war, er- nannte den achtzigjährigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Dictator ohne Provocation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiter- führer des Dictators, Gaius Servilius Ahala mit eigener Hand.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/203>, abgerufen am 23.11.2024.