das Befehlen und Verbieten in der schärfsten und schroffsten Weise gesetzlich sich gegenüber; der Hader war geschlichtet, indem die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.
Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass auf den Wink eines einzigen dieser fünf zu Magistraten erhobenen Oppositionschefs die Verwaltung im gefährlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu concurrirend bevollmächtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie für alle Zeiten ver- darb? Waren die Plebejer der politischen Gleichstellung, die Armen der billigen Rechtspflege und der zweckmässigen Fi- nanzverwaltung dadurch näher gerückt? -- Ohne Zweifel war das Tribunat eine mächtige Waffe in der Hand der Plebejer, als sie die Zulassung zu den Magistraturen begehrten; aber es war dies seine eigentliche Bestimmung keineswegs, es ist den reichen Grund- und Capitalherren, nicht dem politisch privilegirten Stande abgerungen und sollte nicht den plebeji- schen Senatoren die Aemter verschaffen, sondern dem gemeinen Mann billigen Rechtsschutz sichern. Diesen Zweck hat es nicht erfüllt. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden Härten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war, und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmässig hemmen? Hätte er es gekonnt, so war damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Creditsystem, die heillose Occupation der Domänen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst an diesen Missbräuchen kein minderes Interesse hatten als die Patricier. So gründete man diese Magistratur, deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuch- tete und die doch die nothwendige ökonomische Reform un- möglich durchsetzen konnte. Sie ist seltsam und kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Compromiss zwi- schen dem reichen Adel und der führerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis be- wahrt. Wäre es wahr, so würde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich für ein Volk kein Unheil, und für das römische war es vielmehr ein Unglück, dass die Monarchie zu spät eingeführt ward nach Erschöpfung der
ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
das Befehlen und Verbieten in der schärfsten und schroffsten Weise gesetzlich sich gegenüber; der Hader war geschlichtet, indem die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.
Aber was war erreicht damit, daſs man die Einheit der Gemeinde brach, daſs auf den Wink eines einzigen dieser fünf zu Magistraten erhobenen Oppositionschefs die Verwaltung im gefährlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, daſs man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu concurrirend bevollmächtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie für alle Zeiten ver- darb? Waren die Plebejer der politischen Gleichstellung, die Armen der billigen Rechtspflege und der zweckmäſsigen Fi- nanzverwaltung dadurch näher gerückt? — Ohne Zweifel war das Tribunat eine mächtige Waffe in der Hand der Plebejer, als sie die Zulassung zu den Magistraturen begehrten; aber es war dies seine eigentliche Bestimmung keineswegs, es ist den reichen Grund- und Capitalherren, nicht dem politisch privilegirten Stande abgerungen und sollte nicht den plebeji- schen Senatoren die Aemter verschaffen, sondern dem gemeinen Mann billigen Rechtsschutz sichern. Diesen Zweck hat es nicht erfüllt. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden Härten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hieſs, sondern im Rechte, welches ungerecht war, und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmäſsig hemmen? Hätte er es gekonnt, so war damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Creditsystem, die heillose Occupation der Domänen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst an diesen Miſsbräuchen kein minderes Interesse hatten als die Patricier. So gründete man diese Magistratur, deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuch- tete und die doch die nothwendige ökonomische Reform un- möglich durchsetzen konnte. Sie ist seltsam und kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Compromiſs zwi- schen dem reichen Adel und der führerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis be- wahrt. Wäre es wahr, so würde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich für ein Volk kein Unheil, und für das römische war es vielmehr ein Unglück, daſs die Monarchie zu spät eingeführt ward nach Erschöpfung der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0192"n="178"/><fwplace="top"type="header">ZWEITES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/>
das Befehlen und Verbieten in der schärfsten und schroffsten<lb/>
Weise gesetzlich sich gegenüber; der Hader war geschlichtet,<lb/>
indem die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich<lb/>
festgestellt und geordnet ward.</p><lb/><p>Aber was war erreicht damit, daſs man die Einheit der<lb/>
Gemeinde brach, daſs auf den Wink eines einzigen dieser fünf<lb/>
zu Magistraten erhobenen Oppositionschefs die Verwaltung im<lb/>
gefährlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte,<lb/>
daſs man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte<lb/>
dazu concurrirend bevollmächtigte, gleichsam gesetzlich aus<lb/>
dem Recht in die Politik verwies und sie für alle Zeiten ver-<lb/>
darb? Waren die Plebejer der politischen Gleichstellung, die<lb/>
Armen der billigen Rechtspflege und der zweckmäſsigen Fi-<lb/>
nanzverwaltung dadurch näher gerückt? — Ohne Zweifel war<lb/>
das Tribunat eine mächtige Waffe in der Hand der Plebejer,<lb/>
als sie die Zulassung zu den Magistraturen begehrten; aber<lb/>
es war dies seine eigentliche Bestimmung keineswegs, es ist<lb/>
den reichen Grund- und Capitalherren, nicht dem politisch<lb/>
privilegirten Stande abgerungen und sollte nicht den plebeji-<lb/>
schen Senatoren die Aemter verschaffen, sondern dem gemeinen<lb/>
Mann billigen Rechtsschutz sichern. Diesen Zweck hat es nicht<lb/>
erfüllt. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen<lb/>
schreienden Härten steuern; aber der Fehler lag nicht im<lb/>
Unrecht, das man Recht hieſs, sondern im Rechte, welches<lb/>
ungerecht war, und wie konnte der Tribun die ordentliche<lb/>
Rechtspflege regelmäſsig hemmen? Hätte er es gekonnt, so<lb/>
war damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der<lb/>
Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das<lb/>
schlechte Creditsystem, die heillose Occupation der Domänen.<lb/>
Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen<lb/>
Plebejer selbst an diesen Miſsbräuchen kein minderes Interesse<lb/>
hatten als die Patricier. So gründete man diese Magistratur,<lb/>
deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuch-<lb/>
tete und die doch die nothwendige ökonomische Reform un-<lb/>
möglich durchsetzen konnte. Sie ist seltsam und kein Beweis<lb/>
politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Compromiſs zwi-<lb/>
schen dem reichen Adel und der führerlosen Menge. Man<lb/>
hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis be-<lb/>
wahrt. Wäre es wahr, so würde es wenig bedeuten; die<lb/>
Aenderung der Staatsform ist an sich für ein Volk kein Unheil,<lb/>
und für das römische war es vielmehr ein Unglück, daſs die<lb/>
Monarchie zu spät eingeführt ward nach Erschöpfung der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[178/0192]
ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
das Befehlen und Verbieten in der schärfsten und schroffsten
Weise gesetzlich sich gegenüber; der Hader war geschlichtet,
indem die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich
festgestellt und geordnet ward.
Aber was war erreicht damit, daſs man die Einheit der
Gemeinde brach, daſs auf den Wink eines einzigen dieser fünf
zu Magistraten erhobenen Oppositionschefs die Verwaltung im
gefährlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte,
daſs man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte
dazu concurrirend bevollmächtigte, gleichsam gesetzlich aus
dem Recht in die Politik verwies und sie für alle Zeiten ver-
darb? Waren die Plebejer der politischen Gleichstellung, die
Armen der billigen Rechtspflege und der zweckmäſsigen Fi-
nanzverwaltung dadurch näher gerückt? — Ohne Zweifel war
das Tribunat eine mächtige Waffe in der Hand der Plebejer,
als sie die Zulassung zu den Magistraturen begehrten; aber
es war dies seine eigentliche Bestimmung keineswegs, es ist
den reichen Grund- und Capitalherren, nicht dem politisch
privilegirten Stande abgerungen und sollte nicht den plebeji-
schen Senatoren die Aemter verschaffen, sondern dem gemeinen
Mann billigen Rechtsschutz sichern. Diesen Zweck hat es nicht
erfüllt. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen
schreienden Härten steuern; aber der Fehler lag nicht im
Unrecht, das man Recht hieſs, sondern im Rechte, welches
ungerecht war, und wie konnte der Tribun die ordentliche
Rechtspflege regelmäſsig hemmen? Hätte er es gekonnt, so
war damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der
Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das
schlechte Creditsystem, die heillose Occupation der Domänen.
Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen
Plebejer selbst an diesen Miſsbräuchen kein minderes Interesse
hatten als die Patricier. So gründete man diese Magistratur,
deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuch-
tete und die doch die nothwendige ökonomische Reform un-
möglich durchsetzen konnte. Sie ist seltsam und kein Beweis
politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Compromiſs zwi-
schen dem reichen Adel und der führerlosen Menge. Man
hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis be-
wahrt. Wäre es wahr, so würde es wenig bedeuten; die
Aenderung der Staatsform ist an sich für ein Volk kein Unheil,
und für das römische war es vielmehr ein Unglück, daſs die
Monarchie zu spät eingeführt ward nach Erschöpfung der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/192>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.