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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
pflichtigen es möglich machen sich straflos der Aushebung zu
entziehen, die Haft des verurtheilten Schuldners und die Unter-
suchungshaft verhindern oder aufheben und was dessen mehr
war. Damit auch nicht diese Rechtshülfe durch Entfernung der
Helfer vereitelt werden könne, war ferner verordnet, dass der
Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen dürfe und
Tag und Nacht seine Thüre offen stehen müsse. Aber dass der
Richter seinen Spruch that, der Senat seinen Beschluss fasste,
die Centurien abstimmten, konnten sie nicht wehren. -- Kraft
ihres Richteramts konnten sie jeden Bürger, selbst den Consul
im Amte, durch ihre Boten vor sich laden, ihn, wenn er sich
weigerte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder
Bürgschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geld-
bussen erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich
bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und
Gehülfen zur Seite, ebenso die Zehnmänner für Prozesssachen
(iudices decemviri, später decemviri litibus iudicandis); die
Competenz der letzteren ist nicht bekannt, die Aedilen hatten
die Iudication gleich den Tribunen, vorzugsweise führten sie die
geringeren mit Bussen sühnbaren Sachen. Da den Tribunen
das militärische Imperium fehlte, ohne das die Centurien nicht
versammelt werden konnten, und da es doch schlechterdings
nothwendig schien jene bei der Vertheidigung ihrer Urtheile vor
dem Volk in Folge eingelegter Provocation von den patricischen
Beamten unabhängig zu machen, so ward eine neue Abstim-
mungsweise für sie eingeführt, nach den Quartieren. Die vier
bisherigen Quartiere, die Stadt und Land umfassten, taugten in-
dess dazu nicht, da sie zu gross waren und die Zahl gerade; man
theilte desshalb das Gebiet in ein und zwanzig neue Districte,
von denen die ersten vier die alten jetzt auf die nächste Umge-
bung der Stadt beschränkten waren, sechzehn andere gebildet
wurden aus dem Landgebiet mit Zugrundelegung der Ge-
schlechtergaue des ältesten römischen Ackers, die letzte end-
lich, die crustuminische, ihren Namen erhielt von dem Orte,
nach den die Plebejer ausgezogen waren. Die Stimmenden in
den Centurien wie in den Tribus waren im Wesentlichen
dieselben, die Gesammtheit der ansässigen Leute; aber der
Unterschied des grossen und des kleinen Grundbesitzes so
wie das Vorstimmrecht des Adels fiel in den letzteren weg
und die hier präsidirenden Tribunen gaben der Versammlung
noch bestimmter einen oppositionellen Charakter. -- Da so-
mit die Tribunen im peinlichen Prozess als Vertheidiger ihres

ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
pflichtigen es möglich machen sich straflos der Aushebung zu
entziehen, die Haft des verurtheilten Schuldners und die Unter-
suchungshaft verhindern oder aufheben und was dessen mehr
war. Damit auch nicht diese Rechtshülfe durch Entfernung der
Helfer vereitelt werden könne, war ferner verordnet, daſs der
Tribun keine Nacht auſserhalb der Stadt zubringen dürfe und
Tag und Nacht seine Thüre offen stehen müsse. Aber daſs der
Richter seinen Spruch that, der Senat seinen Beschluſs faſste,
die Centurien abstimmten, konnten sie nicht wehren. — Kraft
ihres Richteramts konnten sie jeden Bürger, selbst den Consul
im Amte, durch ihre Boten vor sich laden, ihn, wenn er sich
weigerte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder
Bürgschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geld-
buſsen erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich
bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und
Gehülfen zur Seite, ebenso die Zehnmänner für Prozeſssachen
(iudices decemviri, später decemviri litibus iudicandis); die
Competenz der letzteren ist nicht bekannt, die Aedilen hatten
die Iudication gleich den Tribunen, vorzugsweise führten sie die
geringeren mit Buſsen sühnbaren Sachen. Da den Tribunen
das militärische Imperium fehlte, ohne das die Centurien nicht
versammelt werden konnten, und da es doch schlechterdings
nothwendig schien jene bei der Vertheidigung ihrer Urtheile vor
dem Volk in Folge eingelegter Provocation von den patricischen
Beamten unabhängig zu machen, so ward eine neue Abstim-
mungsweise für sie eingeführt, nach den Quartieren. Die vier
bisherigen Quartiere, die Stadt und Land umfaſsten, taugten in-
deſs dazu nicht, da sie zu groſs waren und die Zahl gerade; man
theilte deſshalb das Gebiet in ein und zwanzig neue Districte,
von denen die ersten vier die alten jetzt auf die nächste Umge-
bung der Stadt beschränkten waren, sechzehn andere gebildet
wurden aus dem Landgebiet mit Zugrundelegung der Ge-
schlechtergaue des ältesten römischen Ackers, die letzte end-
lich, die crustuminische, ihren Namen erhielt von dem Orte,
nach den die Plebejer ausgezogen waren. Die Stimmenden in
den Centurien wie in den Tribus waren im Wesentlichen
dieselben, die Gesammtheit der ansässigen Leute; aber der
Unterschied des groſsen und des kleinen Grundbesitzes so
wie das Vorstimmrecht des Adels fiel in den letzteren weg
und die hier präsidirenden Tribunen gaben der Versammlung
noch bestimmter einen oppositionellen Charakter. — Da so-
mit die Tribunen im peinlichen Prozeſs als Vertheidiger ihres

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[176/0190] ZWEITES BUCH. KAPITEL II. pflichtigen es möglich machen sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Haft des verurtheilten Schuldners und die Unter- suchungshaft verhindern oder aufheben und was dessen mehr war. Damit auch nicht diese Rechtshülfe durch Entfernung der Helfer vereitelt werden könne, war ferner verordnet, daſs der Tribun keine Nacht auſserhalb der Stadt zubringen dürfe und Tag und Nacht seine Thüre offen stehen müsse. Aber daſs der Richter seinen Spruch that, der Senat seinen Beschluſs faſste, die Centurien abstimmten, konnten sie nicht wehren. — Kraft ihres Richteramts konnten sie jeden Bürger, selbst den Consul im Amte, durch ihre Boten vor sich laden, ihn, wenn er sich weigerte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Bürgschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geld- buſsen erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und Gehülfen zur Seite, ebenso die Zehnmänner für Prozeſssachen (iudices decemviri, später decemviri litibus iudicandis); die Competenz der letzteren ist nicht bekannt, die Aedilen hatten die Iudication gleich den Tribunen, vorzugsweise führten sie die geringeren mit Buſsen sühnbaren Sachen. Da den Tribunen das militärische Imperium fehlte, ohne das die Centurien nicht versammelt werden konnten, und da es doch schlechterdings nothwendig schien jene bei der Vertheidigung ihrer Urtheile vor dem Volk in Folge eingelegter Provocation von den patricischen Beamten unabhängig zu machen, so ward eine neue Abstim- mungsweise für sie eingeführt, nach den Quartieren. Die vier bisherigen Quartiere, die Stadt und Land umfaſsten, taugten in- deſs dazu nicht, da sie zu groſs waren und die Zahl gerade; man theilte deſshalb das Gebiet in ein und zwanzig neue Districte, von denen die ersten vier die alten jetzt auf die nächste Umge- bung der Stadt beschränkten waren, sechzehn andere gebildet wurden aus dem Landgebiet mit Zugrundelegung der Ge- schlechtergaue des ältesten römischen Ackers, die letzte end- lich, die crustuminische, ihren Namen erhielt von dem Orte, nach den die Plebejer ausgezogen waren. Die Stimmenden in den Centurien wie in den Tribus waren im Wesentlichen dieselben, die Gesammtheit der ansässigen Leute; aber der Unterschied des groſsen und des kleinen Grundbesitzes so wie das Vorstimmrecht des Adels fiel in den letzteren weg und die hier präsidirenden Tribunen gaben der Versammlung noch bestimmter einen oppositionellen Charakter. — Da so- mit die Tribunen im peinlichen Prozeſs als Vertheidiger ihres

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/190>, abgerufen am 22.11.2024.