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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XV.
malten Grabkammern Südetruriens noch heute zeigen. -- Dass
die Uebung und Steigerung dieser verschiedenen Kunstformen
grossentheils erst den folgenden Perioden angehört und von
den auf uns gekommenen latinischen und etruskischen Kunst-
werken nur ein kleiner Theil während der römischen Königs-
herrschaft entstanden ist, kann nicht bezweifelt werden; allein
die Anregung zu all diesen Kunstrichtungen und Gewerken
ist offenbar in einer Zeit erfolgt, wo die griechische Kunst
noch sehr starr und unentwickelt war und mag der Zeit der
Einführung des Alphabets nicht gar fern stehen. Desshalb
gehören sie geschichtlich betrachtet in diese Periode.

Versuchen wir geschichtliche Resultate aus diesen Archi-
ven uralter Kunstüberlieferung und Kunstübung zu gewinnen,
so ist zunächst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie
italisches Mass und italische Schrift nicht unter punischem,
sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich ent-
wickelt hat; es ist nicht eine einzige unter den italischen
Kunstrichtungen, die nicht ihr bestimmtes Musterbild fände
in der altgriechischen Kunst, und insofern hat die Sage ganz
Recht, wenn sie die Einführung der Thonbildnerei in Italien
zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den ,Ordner',
,Zeichner' und ,Bildner', Diopos, Eucheir und Eugrammos,
obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunächst
von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmit-
telbarer Nachahmung orientalischer Kunstformen findet sich
ebenso wenig eine Spur als von einer selbstständig entwickel-
ten Kunstform; selbst die Skarabaeen sind auch in Griechen-
land in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie zum
Beispiel ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer In-
schrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den
Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein.
Von dem Punier mochte man kaufen; man lernte nur von
dem Griechen. -- Von wo die Kunst den Etruskern und
Latinern kam, ist begreiflich noch schwerer zu bestimmen als
die Heimath der Alphabete; doch ist eine verschiedene Her-
leitung auch hier wahrscheinlich, da es sich sonst schwer be-
greifen liesse, warum zum Beispiel die Zeichnung auf Metall
in Latium auf andere Gegenstände angewandt ward als in
Etrurien und warum die Steinschneidekunst und die Wand-
malereien in Grabkammern sich auf Etrurien beschränkten.
Bemerkenswerth ist es, dass von den drei Kunstformen, die
in Griechenland nur in sehr beschränkter, in Etrurien dagegen

ERSTES BUCH. KAPITEL XV.
malten Grabkammern Südetruriens noch heute zeigen. — Daſs
die Uebung und Steigerung dieser verschiedenen Kunstformen
groſsentheils erst den folgenden Perioden angehört und von
den auf uns gekommenen latinischen und etruskischen Kunst-
werken nur ein kleiner Theil während der römischen Königs-
herrschaft entstanden ist, kann nicht bezweifelt werden; allein
die Anregung zu all diesen Kunstrichtungen und Gewerken
ist offenbar in einer Zeit erfolgt, wo die griechische Kunst
noch sehr starr und unentwickelt war und mag der Zeit der
Einführung des Alphabets nicht gar fern stehen. Deſshalb
gehören sie geschichtlich betrachtet in diese Periode.

Versuchen wir geschichtliche Resultate aus diesen Archi-
ven uralter Kunstüberlieferung und Kunstübung zu gewinnen,
so ist zunächst offenbar, daſs die italische Kunst ebenso wie
italisches Maſs und italische Schrift nicht unter punischem,
sondern ausschlieſslich unter hellenischem Einfluſs sich ent-
wickelt hat; es ist nicht eine einzige unter den italischen
Kunstrichtungen, die nicht ihr bestimmtes Musterbild fände
in der altgriechischen Kunst, und insofern hat die Sage ganz
Recht, wenn sie die Einführung der Thonbildnerei in Italien
zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den ‚Ordner‘,
‚Zeichner‘ und ‚Bildner‘, Diopos, Eucheir und Eugrammos,
obwohl es mehr als zweifelhaft ist, daſs diese Kunst zunächst
von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmit-
telbarer Nachahmung orientalischer Kunstformen findet sich
ebenso wenig eine Spur als von einer selbstständig entwickel-
ten Kunstform; selbst die Skarabaeen sind auch in Griechen-
land in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie zum
Beispiel ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer In-
schrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den
Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein.
Von dem Punier mochte man kaufen; man lernte nur von
dem Griechen. — Von wo die Kunst den Etruskern und
Latinern kam, ist begreiflich noch schwerer zu bestimmen als
die Heimath der Alphabete; doch ist eine verschiedene Her-
leitung auch hier wahrscheinlich, da es sich sonst schwer be-
greifen lieſse, warum zum Beispiel die Zeichnung auf Metall
in Latium auf andere Gegenstände angewandt ward als in
Etrurien und warum die Steinschneidekunst und die Wand-
malereien in Grabkammern sich auf Etrurien beschränkten.
Bemerkenswerth ist es, daſs von den drei Kunstformen, die
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[152/0166] ERSTES BUCH. KAPITEL XV. malten Grabkammern Südetruriens noch heute zeigen. — Daſs die Uebung und Steigerung dieser verschiedenen Kunstformen groſsentheils erst den folgenden Perioden angehört und von den auf uns gekommenen latinischen und etruskischen Kunst- werken nur ein kleiner Theil während der römischen Königs- herrschaft entstanden ist, kann nicht bezweifelt werden; allein die Anregung zu all diesen Kunstrichtungen und Gewerken ist offenbar in einer Zeit erfolgt, wo die griechische Kunst noch sehr starr und unentwickelt war und mag der Zeit der Einführung des Alphabets nicht gar fern stehen. Deſshalb gehören sie geschichtlich betrachtet in diese Periode. Versuchen wir geschichtliche Resultate aus diesen Archi- ven uralter Kunstüberlieferung und Kunstübung zu gewinnen, so ist zunächst offenbar, daſs die italische Kunst ebenso wie italisches Maſs und italische Schrift nicht unter punischem, sondern ausschlieſslich unter hellenischem Einfluſs sich ent- wickelt hat; es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht ihr bestimmtes Musterbild fände in der altgriechischen Kunst, und insofern hat die Sage ganz Recht, wenn sie die Einführung der Thonbildnerei in Italien zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den ‚Ordner‘, ‚Zeichner‘ und ‚Bildner‘, Diopos, Eucheir und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, daſs diese Kunst zunächst von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmit- telbarer Nachahmung orientalischer Kunstformen findet sich ebenso wenig eine Spur als von einer selbstständig entwickel- ten Kunstform; selbst die Skarabaeen sind auch in Griechen- land in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie zum Beispiel ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer In- schrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von dem Punier mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen. — Von wo die Kunst den Etruskern und Latinern kam, ist begreiflich noch schwerer zu bestimmen als die Heimath der Alphabete; doch ist eine verschiedene Her- leitung auch hier wahrscheinlich, da es sich sonst schwer be- greifen lieſse, warum zum Beispiel die Zeichnung auf Metall in Latium auf andere Gegenstände angewandt ward als in Etrurien und warum die Steinschneidekunst und die Wand- malereien in Grabkammern sich auf Etrurien beschränkten. Bemerkenswerth ist es, daſs von den drei Kunstformen, die in Griechenland nur in sehr beschränkter, in Etrurien dagegen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/166>, abgerufen am 22.11.2024.