Menschen, auch die grössten und herrlichsten, blieben ihm doch immer Sterbliche und steigerten sich nicht wie in Grie- chenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoller Pflege der Ueberlieferung im Geiste der Menge zu göttergleichen Heroen. So konnte ein Epos nicht entstehen und zur Ge- schichte war es noch zu früh. -- Dass Lieder nicht fehlten und gejubelt und gesungen ward, versteht sich. Von den religiösen Litaneien, die in diesem Kreise zuerst sich fixirten und die schon den Philologen der augusteischen Zeit als die ältesten Denkmäler der lateinischen Sprache galten, ist eine auf uns gekommen in dem Lied der römischen Arvalbrüder, das wohl auch hier eine Stelle verdient mit der freilich nicht in allen Stücken gesicherten Uebersetzung:
Enos, Lases, iuvate! Ne veluerve, Marmar, sins incurrere in pleores! Satur furere, Mars! Limen sali! Sta berber! Semunis alternis advocapit conctos! Enos, Marmor, iuvato! Triumpe! triumpe! triumpe! triumpe! triumpe!*
an die Götter Uns, Lasen, helfet! Nicht die böse Seuche, Mars Mars, lass einstürmen auf mehrere! Satt sei des Wüthens, Mars! an die einzel- nen BrüderAuf die Schwelle springe! Steh ab vom Hüpfen! an alle BrüderDen Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen! an den GottUns, Mars Mars, hilf! an die einzel- nen BrüderJuble! juble! juble! juble! juble!
Aus solchen noch wenig fixirten Weisen, wie sie etwa auch schon vor der Scheidung der Stämme vorgekommen sein mögen, entwickelte sich ein eigenthümlich italischer Rhythmus, der sogenannte saturnische Vers, der auf Wechselgesang be- rechnet und vom Accent beherrscht ist, was übrigens beides auch in dem Liede der Ackerbrüder schon hervortritt. Das folgende freilich einer bedeutend späteren Zeit angehörende Gedicht mag davon eine Vorstellung geben:
*Nos, Lares, iuvate! Ne malam luem, Mamers, sinas incurrere in plures! Satur furendi esto, Mars! In limen insili! Desiste verberare (limen)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia!
10*
DIE KUNST.
Menschen, auch die gröſsten und herrlichsten, blieben ihm doch immer Sterbliche und steigerten sich nicht wie in Grie- chenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoller Pflege der Ueberlieferung im Geiste der Menge zu göttergleichen Heroen. So konnte ein Epos nicht entstehen und zur Ge- schichte war es noch zu früh. — Daſs Lieder nicht fehlten und gejubelt und gesungen ward, versteht sich. Von den religiösen Litaneien, die in diesem Kreise zuerst sich fixirten und die schon den Philologen der augusteischen Zeit als die ältesten Denkmäler der lateinischen Sprache galten, ist eine auf uns gekommen in dem Lied der römischen Arvalbrüder, das wohl auch hier eine Stelle verdient mit der freilich nicht in allen Stücken gesicherten Uebersetzung:
Enos, Lases, iuvate! Ne veluerve, Marmar, sins incurrere in pleores! Satur furere, Mars! Limen sali! Sta berber! Semunis alternis advocapit conctos! Enos, Marmor, iuvato! Triumpe! triumpe! triumpe! triumpe! triumpe!*
an die Götter Uns, Lasen, helfet! Nicht die böse Seuche, Mars Mars, laſs einstürmen auf mehrere! Satt sei des Wüthens, Mars! an die einzel- nen BrüderAuf die Schwelle springe! Steh ab vom Hüpfen! an alle BrüderDen Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen! an den GottUns, Mars Mars, hilf! an die einzel- nen BrüderJuble! juble! juble! juble! juble!
Aus solchen noch wenig fixirten Weisen, wie sie etwa auch schon vor der Scheidung der Stämme vorgekommen sein mögen, entwickelte sich ein eigenthümlich italischer Rhythmus, der sogenannte saturnische Vers, der auf Wechselgesang be- rechnet und vom Accent beherrscht ist, was übrigens beides auch in dem Liede der Ackerbrüder schon hervortritt. Das folgende freilich einer bedeutend späteren Zeit angehörende Gedicht mag davon eine Vorstellung geben:
*Nos, Lares, iuvate! Ne malam luem, Mamers, sinas incurrere in plures! Satur furendi esto, Mars! In limen insili! Desiste verberare (limen)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia!
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DIE KUNST.
Menschen, auch die gröſsten und herrlichsten, blieben ihm
doch immer Sterbliche und steigerten sich nicht wie in Grie-
chenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoller Pflege
der Ueberlieferung im Geiste der Menge zu göttergleichen
Heroen. So konnte ein Epos nicht entstehen und zur Ge-
schichte war es noch zu früh. — Daſs Lieder nicht fehlten
und gejubelt und gesungen ward, versteht sich. Von den
religiösen Litaneien, die in diesem Kreise zuerst sich fixirten
und die schon den Philologen der augusteischen Zeit als die
ältesten Denkmäler der lateinischen Sprache galten, ist eine
auf uns gekommen in dem Lied der römischen Arvalbrüder,
das wohl auch hier eine Stelle verdient mit der freilich nicht
in allen Stücken gesicherten Uebersetzung:
Enos, Lases, iuvate!
Ne veluerve, Marmar, sins incurrere in pleores!
Satur furere, Mars!
Limen sali!
Sta berber!
Semunis alternis advocapit conctos!
Enos, Marmor, iuvato!
Triumpe! triumpe! triumpe! triumpe! triumpe! *
an die Götter Uns, Lasen, helfet!
Nicht die böse Seuche, Mars Mars, laſs einstürmen auf mehrere!
Satt sei des Wüthens, Mars!
an die einzel-
nen BrüderAuf die Schwelle springe!
Steh ab vom Hüpfen!
an alle BrüderDen Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen!
an den GottUns, Mars Mars, hilf!
an die einzel-
nen BrüderJuble! juble! juble! juble! juble!
Aus solchen noch wenig fixirten Weisen, wie sie etwa
auch schon vor der Scheidung der Stämme vorgekommen sein
mögen, entwickelte sich ein eigenthümlich italischer Rhythmus,
der sogenannte saturnische Vers, der auf Wechselgesang be-
rechnet und vom Accent beherrscht ist, was übrigens beides
auch in dem Liede der Ackerbrüder schon hervortritt. Das
folgende freilich einer bedeutend späteren Zeit angehörende
Gedicht mag davon eine Vorstellung geben:
* Nos, Lares, iuvate! Ne
malam luem, Mamers, sinas incurrere in plures!
Satur furendi esto, Mars! In limen insili! Desiste verberare (limen)! Semones
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/161>, abgerufen am 16.02.2025.
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