Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

ERSTES BUCH. KAPITEL XIII.
der Einsicht des Volkes, und mit Grund; denn dass die Landloose
regelmässig zusammenblieben, beweisen ihre feststehenden Indi-
vidualnamen. Sehr häufig blieben die Miterben in ungetheiltem
Besitz des Erbguts; doch sorgte schon das älteste Recht dafür,
dass diese Gemeinschaft zu jeder Zeit von jedem Theilhaber
beliebig aufgelöst und die factische Auftheilung durchgeführt
werden könne. Es ist gut, wenn Brüder friedlich zusammen-
wohnen; aber sie dazu zu nöthigen ist dem liberalen Geiste
des römischen Rechts fremd. Gegen schlechte Wirthschafter
sicherte man die Anerben nicht durch Feststellung der Erb-
gutsqualität der Grundstücke, sondern dadurch, dass man
ihnen, jedoch nur wenn ererbtes Vermögen leichtsinnig ver-
schleudert ward, gestattete den Verschwender vom Gericht für
wahnsinnig erklären und also unter Vormundschaft stellen zu
lassen. Den Frauen war überdies das eigene Verfügungsrecht
im Wesentlichen entzogen; wenn sie sich verheiratheten, gab
man ihnen regelmässig einen Geschlechtsgenossen zum Mann,
damit das Gut zusammenbliebe. Ausserdem hatten eine Reihe
Sacralvorschriften zum Zweck die Pflege und den Schutz des
Acker- und Weinbaus, zum Beispiel das Verbot von unbe-
schnittenen Reben gewonnenen Wein den Göttern darzubrin-
gen. -- Der Ueberschuldung des Grundbesitzes beugte das
Recht dadurch vor, dass es den Uebergang desselben vom
Schuldner auf den Gläubiger in jeder möglichen Weise theils
geradezu vorschrieb -- so bei der Hypothekarschuld -- theils,
wie beim einfachen Darlehen, durch ein strenges Executionsver-
fahren sehr erleichterte; doch bewährte sich das letztere Mittel
nur unvollkommen. -- Was die Weise der Production selbst
betrifft, so genügen für den gegenwärtigen Zweck darüber wenige
Andeutungen. Die Feldbestellung beschränkte sich vorzugsweise
auf den Korn-, das heisst den Speltbau; die Pflege des Wein-
stocks ist wohl auch früh aufgekommen, aber doch verhältniss-
mässig, wenigstens in Latium, bedeutend jünger. Das Getreide
war die regelmässige Nahrung; eine selbstständige Viehwirthschaft
zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand schwer-
lich in grossem Umfang, wenn man nicht das auf die gemeine
Weide aufgetriebene Kleinvieh dahin rechnen will. Sonst hielt
man im Allgemeinen das Vieh nur zur Bestellung des Bodens,
den Stier, auch die Kuh zum Pflügen, Pferde, Esel und Maul-
thiere zum Tragen der Lasten. Dass Schweine und Geflügel,
besonders Gänse daneben gehalten und der Gartenbau nicht
vernachlässigt ward, bedarf kaum der Bemerkung. Im Ganzen

ERSTES BUCH. KAPITEL XIII.
der Einsicht des Volkes, und mit Grund; denn daſs die Landloose
regelmäſsig zusammenblieben, beweisen ihre feststehenden Indi-
vidualnamen. Sehr häufig blieben die Miterben in ungetheiltem
Besitz des Erbguts; doch sorgte schon das älteste Recht dafür,
daſs diese Gemeinschaft zu jeder Zeit von jedem Theilhaber
beliebig aufgelöst und die factische Auftheilung durchgeführt
werden könne. Es ist gut, wenn Brüder friedlich zusammen-
wohnen; aber sie dazu zu nöthigen ist dem liberalen Geiste
des römischen Rechts fremd. Gegen schlechte Wirthschafter
sicherte man die Anerben nicht durch Feststellung der Erb-
gutsqualität der Grundstücke, sondern dadurch, daſs man
ihnen, jedoch nur wenn ererbtes Vermögen leichtsinnig ver-
schleudert ward, gestattete den Verschwender vom Gericht für
wahnsinnig erklären und also unter Vormundschaft stellen zu
lassen. Den Frauen war überdies das eigene Verfügungsrecht
im Wesentlichen entzogen; wenn sie sich verheiratheten, gab
man ihnen regelmäſsig einen Geschlechtsgenossen zum Mann,
damit das Gut zusammenbliebe. Auſserdem hatten eine Reihe
Sacralvorschriften zum Zweck die Pflege und den Schutz des
Acker- und Weinbaus, zum Beispiel das Verbot von unbe-
schnittenen Reben gewonnenen Wein den Göttern darzubrin-
gen. — Der Ueberschuldung des Grundbesitzes beugte das
Recht dadurch vor, daſs es den Uebergang desselben vom
Schuldner auf den Gläubiger in jeder möglichen Weise theils
geradezu vorschrieb — so bei der Hypothekarschuld — theils,
wie beim einfachen Darlehen, durch ein strenges Executionsver-
fahren sehr erleichterte; doch bewährte sich das letztere Mittel
nur unvollkommen. — Was die Weise der Production selbst
betrifft, so genügen für den gegenwärtigen Zweck darüber wenige
Andeutungen. Die Feldbestellung beschränkte sich vorzugsweise
auf den Korn-, das heiſst den Speltbau; die Pflege des Wein-
stocks ist wohl auch früh aufgekommen, aber doch verhältniſs-
mäſsig, wenigstens in Latium, bedeutend jünger. Das Getreide
war die regelmäſsige Nahrung; eine selbstständige Viehwirthschaft
zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand schwer-
lich in groſsem Umfang, wenn man nicht das auf die gemeine
Weide aufgetriebene Kleinvieh dahin rechnen will. Sonst hielt
man im Allgemeinen das Vieh nur zur Bestellung des Bodens,
den Stier, auch die Kuh zum Pflügen, Pferde, Esel und Maul-
thiere zum Tragen der Lasten. Daſs Schweine und Geflügel,
besonders Gänse daneben gehalten und der Gartenbau nicht
vernachlässigt ward, bedarf kaum der Bemerkung. Im Ganzen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0140" n="126"/><fw place="top" type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL XIII.</fw><lb/>
der Einsicht des Volkes, und mit Grund; denn da&#x017F;s die Landloose<lb/>
regelmä&#x017F;sig zusammenblieben, beweisen ihre feststehenden Indi-<lb/>
vidualnamen. Sehr häufig blieben die Miterben in ungetheiltem<lb/>
Besitz des Erbguts; doch sorgte schon das älteste Recht dafür,<lb/>
da&#x017F;s diese Gemeinschaft zu jeder Zeit von jedem Theilhaber<lb/>
beliebig aufgelöst und die factische Auftheilung durchgeführt<lb/>
werden könne. Es ist gut, wenn Brüder friedlich zusammen-<lb/>
wohnen; aber sie dazu zu nöthigen ist dem liberalen Geiste<lb/>
des römischen Rechts fremd. Gegen schlechte Wirthschafter<lb/>
sicherte man die Anerben nicht durch Feststellung der Erb-<lb/>
gutsqualität der Grundstücke, sondern dadurch, da&#x017F;s man<lb/>
ihnen, jedoch nur wenn ererbtes Vermögen leichtsinnig ver-<lb/>
schleudert ward, gestattete den Verschwender vom Gericht für<lb/>
wahnsinnig erklären und also unter Vormundschaft stellen zu<lb/>
lassen. Den Frauen war überdies das eigene Verfügungsrecht<lb/>
im Wesentlichen entzogen; wenn sie sich verheiratheten, gab<lb/>
man ihnen regelmä&#x017F;sig einen Geschlechtsgenossen zum Mann,<lb/>
damit das Gut zusammenbliebe. Au&#x017F;serdem hatten eine Reihe<lb/>
Sacralvorschriften zum Zweck die Pflege und den Schutz des<lb/>
Acker- und Weinbaus, zum Beispiel das Verbot von unbe-<lb/>
schnittenen Reben gewonnenen Wein den Göttern darzubrin-<lb/>
gen. &#x2014; Der Ueberschuldung des Grundbesitzes beugte das<lb/>
Recht dadurch vor, da&#x017F;s es den Uebergang desselben vom<lb/>
Schuldner auf den Gläubiger in jeder möglichen Weise theils<lb/>
geradezu vorschrieb &#x2014; so bei der Hypothekarschuld &#x2014; theils,<lb/>
wie beim einfachen Darlehen, durch ein strenges Executionsver-<lb/>
fahren sehr erleichterte; doch bewährte sich das letztere Mittel<lb/>
nur unvollkommen. &#x2014; Was die Weise der Production selbst<lb/>
betrifft, so genügen für den gegenwärtigen Zweck darüber wenige<lb/>
Andeutungen. Die Feldbestellung beschränkte sich vorzugsweise<lb/>
auf den Korn-, das hei&#x017F;st den Speltbau; die Pflege des Wein-<lb/>
stocks ist wohl auch früh aufgekommen, aber doch verhältni&#x017F;s-<lb/>&#x017F;sig, wenigstens in Latium, bedeutend jünger. Das Getreide<lb/>
war die regelmä&#x017F;sige Nahrung; eine selbstständige Viehwirthschaft<lb/>
zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand schwer-<lb/>
lich in gro&#x017F;sem Umfang, wenn man nicht das auf die gemeine<lb/>
Weide aufgetriebene Kleinvieh dahin rechnen will. Sonst hielt<lb/>
man im Allgemeinen das Vieh nur zur Bestellung des Bodens,<lb/>
den Stier, auch die Kuh zum Pflügen, Pferde, Esel und Maul-<lb/>
thiere zum Tragen der Lasten. Da&#x017F;s Schweine und Geflügel,<lb/>
besonders Gänse daneben gehalten und der Gartenbau nicht<lb/>
vernachlässigt ward, bedarf kaum der Bemerkung. Im Ganzen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0140] ERSTES BUCH. KAPITEL XIII. der Einsicht des Volkes, und mit Grund; denn daſs die Landloose regelmäſsig zusammenblieben, beweisen ihre feststehenden Indi- vidualnamen. Sehr häufig blieben die Miterben in ungetheiltem Besitz des Erbguts; doch sorgte schon das älteste Recht dafür, daſs diese Gemeinschaft zu jeder Zeit von jedem Theilhaber beliebig aufgelöst und die factische Auftheilung durchgeführt werden könne. Es ist gut, wenn Brüder friedlich zusammen- wohnen; aber sie dazu zu nöthigen ist dem liberalen Geiste des römischen Rechts fremd. Gegen schlechte Wirthschafter sicherte man die Anerben nicht durch Feststellung der Erb- gutsqualität der Grundstücke, sondern dadurch, daſs man ihnen, jedoch nur wenn ererbtes Vermögen leichtsinnig ver- schleudert ward, gestattete den Verschwender vom Gericht für wahnsinnig erklären und also unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war überdies das eigene Verfügungsrecht im Wesentlichen entzogen; wenn sie sich verheiratheten, gab man ihnen regelmäſsig einen Geschlechtsgenossen zum Mann, damit das Gut zusammenbliebe. Auſserdem hatten eine Reihe Sacralvorschriften zum Zweck die Pflege und den Schutz des Acker- und Weinbaus, zum Beispiel das Verbot von unbe- schnittenen Reben gewonnenen Wein den Göttern darzubrin- gen. — Der Ueberschuldung des Grundbesitzes beugte das Recht dadurch vor, daſs es den Uebergang desselben vom Schuldner auf den Gläubiger in jeder möglichen Weise theils geradezu vorschrieb — so bei der Hypothekarschuld — theils, wie beim einfachen Darlehen, durch ein strenges Executionsver- fahren sehr erleichterte; doch bewährte sich das letztere Mittel nur unvollkommen. — Was die Weise der Production selbst betrifft, so genügen für den gegenwärtigen Zweck darüber wenige Andeutungen. Die Feldbestellung beschränkte sich vorzugsweise auf den Korn-, das heiſst den Speltbau; die Pflege des Wein- stocks ist wohl auch früh aufgekommen, aber doch verhältniſs- mäſsig, wenigstens in Latium, bedeutend jünger. Das Getreide war die regelmäſsige Nahrung; eine selbstständige Viehwirthschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand schwer- lich in groſsem Umfang, wenn man nicht das auf die gemeine Weide aufgetriebene Kleinvieh dahin rechnen will. Sonst hielt man im Allgemeinen das Vieh nur zur Bestellung des Bodens, den Stier, auch die Kuh zum Pflügen, Pferde, Esel und Maul- thiere zum Tragen der Lasten. Daſs Schweine und Geflügel, besonders Gänse daneben gehalten und der Gartenbau nicht vernachlässigt ward, bedarf kaum der Bemerkung. Im Ganzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/140
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/140>, abgerufen am 25.11.2024.