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Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880.

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denn kein Poet seinen Ursprung verleugnen kann und Goethe immer
auch ein Frankfurter Kind bleibt; aber wie sie sind, trefflich, mittel-
mäßig, widerwärtig, sie haben keine Fühlung unter sich und der
deutsche Jsraelit steht ebenso mitten im deutschen litterarischen Leben
wie der englische mitten im englischen.

Das ist der eigentliche Sitz des Wahnes, der jetzt die Massen
erfaßt hat und sein rechter Prophet ist Hr. v. Treitschke. Was
heißt das, wenn er von unsern israelitischen Mitbürgern fordert,
sie sollen Deutsche werden? Sie sind es ja, so gut wie er und ich.
Er mag tugendhafter sein als sie; aber machen die Tugenden den
Deutschen? Wer giebt uns das Recht unsere Mitbürger dieser oder jener
Kategorie wegen der Fehler, welche im Allgemeinen dieser Kategorie,
es sei auch mit Recht, zur Last gelegt werden, aus der Reihe der
Deutschen zu streichen? Wie scharf man die Fehler dieser Mit-
bürger empfinden, wie schroff man über alle Milderungsgründe sich
hinwegsetzen mag, immer wird man logisch wie praktisch höchstens
dahin kommen die Juden für Deutsche zu erklären, welche im Punkte
der Erbsünde doppelt bedacht worden sind. Ernsthafte Männer,
wenn sie sich dies deutlich gemacht haben, werden darüber nicht im
Zweifel sein, daß es ebenso dringend geboten ist den schädlichen
Wirkungen dieser Fehler durch prävenirende Gesetzgebung wie im
Strafweg nach Vermögen zu steuern, als unmöglich nach dem
supponirten Quantum der Erbsünde die Stellung des deutschen Bür-
gers zu regeln.

Aber mit dieser Einsicht ist nicht genug gethan. Es muß in
die Auffassung der Ungleichheit, welche zwischen den deutschen Occi-
dentalen und dem semitischen Blut allerdings besteht, größere Klar-
heit und größere Milde kommen. Wir, die eben erst geeinigte Na-
tion, betreten mit dem Judenkrieg eine gefährliche Bahn. Unsere
Stämme sind recht sehr ungleich. Es ist keiner darunter, dem nicht
specifische Fehler anhafteten, und unsere gegenseitige Liebe ist nicht so
alt, daß sie nicht rosten könnte. Heute gilt es den Juden -- ob
blos den ungetauften oder auch den getauften und in diesem Fall bis
zu welchem Gliede, unterlassen die Herren zu untersuchen, da das
herzliche Einverständniß der Pastoralen und der germanischen Ortho-
doxie dabei in die Brüche gehen müßte und das künftige Blut-

denn kein Poet ſeinen Urſprung verleugnen kann und Goethe immer
auch ein Frankfurter Kind bleibt; aber wie ſie ſind, trefflich, mittel-
mäßig, widerwärtig, ſie haben keine Fühlung unter ſich und der
deutſche Jsraelit ſteht ebenſo mitten im deutſchen litterariſchen Leben
wie der engliſche mitten im engliſchen.

Das iſt der eigentliche Sitz des Wahnes, der jetzt die Maſſen
erfaßt hat und ſein rechter Prophet iſt Hr. v. Treitſchke. Was
heißt das, wenn er von unſern israelitiſchen Mitbürgern fordert,
ſie ſollen Deutſche werden? Sie ſind es ja, ſo gut wie er und ich.
Er mag tugendhafter ſein als ſie; aber machen die Tugenden den
Deutſchen? Wer giebt uns das Recht unſere Mitbürger dieſer oder jener
Kategorie wegen der Fehler, welche im Allgemeinen dieſer Kategorie,
es ſei auch mit Recht, zur Laſt gelegt werden, aus der Reihe der
Deutſchen zu ſtreichen? Wie ſcharf man die Fehler dieſer Mit-
bürger empfinden, wie ſchroff man über alle Milderungsgründe ſich
hinwegſetzen mag, immer wird man logiſch wie praktiſch höchſtens
dahin kommen die Juden für Deutſche zu erklären, welche im Punkte
der Erbſünde doppelt bedacht worden ſind. Ernſthafte Männer,
wenn ſie ſich dies deutlich gemacht haben, werden darüber nicht im
Zweifel ſein, daß es ebenſo dringend geboten iſt den ſchädlichen
Wirkungen dieſer Fehler durch prävenirende Geſetzgebung wie im
Strafweg nach Vermögen zu ſteuern, als unmöglich nach dem
ſupponirten Quantum der Erbſünde die Stellung des deutſchen Bür-
gers zu regeln.

Aber mit dieſer Einſicht iſt nicht genug gethan. Es muß in
die Auffaſſung der Ungleichheit, welche zwiſchen den deutſchen Occi-
dentalen und dem ſemitiſchen Blut allerdings beſteht, größere Klar-
heit und größere Milde kommen. Wir, die eben erſt geeinigte Na-
tion, betreten mit dem Judenkrieg eine gefährliche Bahn. Unſere
Stämme ſind recht ſehr ungleich. Es iſt keiner darunter, dem nicht
ſpecifiſche Fehler anhafteten, und unſere gegenſeitige Liebe iſt nicht ſo
alt, daß ſie nicht roſten könnte. Heute gilt es den Juden — ob
blos den ungetauften oder auch den getauften und in dieſem Fall bis
zu welchem Gliede, unterlaſſen die Herren zu unterſuchen, da das
herzliche Einverſtändniß der Paſtoralen und der germaniſchen Ortho-
doxie dabei in die Brüche gehen müßte und das künftige Blut-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_judenthum_1880/7>, abgerufen am 21.11.2024.