Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880.füllung ihrer Wünsche. Jn dem werdenden Deutschland fragte Wir älteren Männer, deren ganzes Wollen und Hoffen eben in Die deutsche Nation ruht, darüber sind wir wohl alle einig, füllung ihrer Wünſche. Jn dem werdenden Deutſchland fragte Wir älteren Männer, deren ganzes Wollen und Hoffen eben in Die deutſche Nation ruht, darüber ſind wir wohl alle einig, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0004" n="4"/> <p> füllung ihrer Wünſche. Jn dem werdenden Deutſchland fragte<lb/> man, wie es gemeinſam Fechtenden geziemt, nicht nach confeſſionellen<lb/> und Stammesverſchiedenheiten, nicht nach dem Jntereſſengegenſatz<lb/> des Landmanns und des Städters, des Kaufmanns und des Jndu-<lb/> ſtriellen; in dem gewordenen tobt ein Krieg aller gegen alle und<lb/> werden wir bald ſo weit ſein, daß als vollberechtigter Bürger nur<lb/> derjenige gilt, der erſtens ſeine Herſtammung zurückzuführen vermag<lb/> auf einen der drei Söhne des Mannus, zweitens das Evangelium<lb/> ſo bekennt, wie der <hi rendition="#aq">pastor collocutus</hi> es auslegt, und drittens<lb/> ſich ausweiſt als erfahren im Pflügen und Säen. Neben dem<lb/> längſt ausgebrochenen confeſſionellen Krieg, dem ſogenannten Cultur-<lb/> kampf, und dem neuerdings entfachten Bürgerkrieg des Geldbeutels,<lb/> tritt nun als drittes ins Leben die Mißgeburt des nationalen<lb/> Gefühls, der Feldzug der Antiſemiten.<lb/></p> <p> Wir älteren Männer, deren ganzes Wollen und Hoffen eben in<lb/> dem nationalen Gedanken aufgegangen iſt, ſtehen dieſem Treiben gegen-<lb/> über vor allen Dingen mit der doppelten Empfindung, theils, daß wieder<lb/> einmal Saturnus ſeine Kinder frißt, theils daß dieſe Evolution, wie<lb/> alle rückläufigen Bewegungen der Dinge, eines der retardirenden<lb/> Momente iſt, in denen die Geſchichte gerade ebenſo ſich bewegt wie<lb/> der Roman, und die ſchließlich an den Dingen nichts ändern.<lb/> Das hindert aber nicht, daß ſie an Perſonen und Jntereſſen<lb/> ſchweren Schaden ſtiften, und giebt uns nicht das Recht dieſem<lb/> ſelbſtmörderiſchen Treiben des Nationalgefühls ſchweigend zuzuſchauen.<lb/></p> <p> Die deutſche Nation ruht, darüber ſind wir wohl alle einig,<lb/> auf dem Zuſammenhalten und in gewiſſem Sinn dem Verſchmelzen<lb/> der verſchiedenen deutſchen Stämme. Eben darum ſind wir Deutſche,<lb/> weil der Sachſe oder der Schwabe auch den Rheinländer und den<lb/> Pommern als ſeines Gleichen gelten läßt, das heißt als vollſtändig<lb/> gleich, nicht bloß in bürgerlichen Rechten und Pflichten, ſondern<lb/> auch im perſönlichen und geſelligen Verkehr. Wir mögen den ſo-<lb/> genannten engeren Landsleuten noch eine nähere Sympathie ent-<lb/> gegentragen, manche Erinnerung und manches Gefühl mit ihnen<lb/> theilen, das außerhalb dieſes Kreiſes keinen Wiederhall findet; die<lb/> Empfindung der großen Zuſammengehörigkeit hat die Nation ge-<lb/> ſchaffen und es würde aus mit ihr ſein, wenn die verſchiedenen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0004]
füllung ihrer Wünſche. Jn dem werdenden Deutſchland fragte
man, wie es gemeinſam Fechtenden geziemt, nicht nach confeſſionellen
und Stammesverſchiedenheiten, nicht nach dem Jntereſſengegenſatz
des Landmanns und des Städters, des Kaufmanns und des Jndu-
ſtriellen; in dem gewordenen tobt ein Krieg aller gegen alle und
werden wir bald ſo weit ſein, daß als vollberechtigter Bürger nur
derjenige gilt, der erſtens ſeine Herſtammung zurückzuführen vermag
auf einen der drei Söhne des Mannus, zweitens das Evangelium
ſo bekennt, wie der pastor collocutus es auslegt, und drittens
ſich ausweiſt als erfahren im Pflügen und Säen. Neben dem
längſt ausgebrochenen confeſſionellen Krieg, dem ſogenannten Cultur-
kampf, und dem neuerdings entfachten Bürgerkrieg des Geldbeutels,
tritt nun als drittes ins Leben die Mißgeburt des nationalen
Gefühls, der Feldzug der Antiſemiten.
Wir älteren Männer, deren ganzes Wollen und Hoffen eben in
dem nationalen Gedanken aufgegangen iſt, ſtehen dieſem Treiben gegen-
über vor allen Dingen mit der doppelten Empfindung, theils, daß wieder
einmal Saturnus ſeine Kinder frißt, theils daß dieſe Evolution, wie
alle rückläufigen Bewegungen der Dinge, eines der retardirenden
Momente iſt, in denen die Geſchichte gerade ebenſo ſich bewegt wie
der Roman, und die ſchließlich an den Dingen nichts ändern.
Das hindert aber nicht, daß ſie an Perſonen und Jntereſſen
ſchweren Schaden ſtiften, und giebt uns nicht das Recht dieſem
ſelbſtmörderiſchen Treiben des Nationalgefühls ſchweigend zuzuſchauen.
Die deutſche Nation ruht, darüber ſind wir wohl alle einig,
auf dem Zuſammenhalten und in gewiſſem Sinn dem Verſchmelzen
der verſchiedenen deutſchen Stämme. Eben darum ſind wir Deutſche,
weil der Sachſe oder der Schwabe auch den Rheinländer und den
Pommern als ſeines Gleichen gelten läßt, das heißt als vollſtändig
gleich, nicht bloß in bürgerlichen Rechten und Pflichten, ſondern
auch im perſönlichen und geſelligen Verkehr. Wir mögen den ſo-
genannten engeren Landsleuten noch eine nähere Sympathie ent-
gegentragen, manche Erinnerung und manches Gefühl mit ihnen
theilen, das außerhalb dieſes Kreiſes keinen Wiederhall findet; die
Empfindung der großen Zuſammengehörigkeit hat die Nation ge-
ſchaffen und es würde aus mit ihr ſein, wenn die verſchiedenen
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