Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880.scheint mir dringend geboten, eben weil wir stolz darauf sind einen Schließlich ein Wort über die Stellung der Juden selbst zu ſcheint mir dringend geboten, eben weil wir ſtolz darauf ſind einen Schließlich ein Wort über die Stellung der Juden ſelbſt zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0015" n="15"/> <p> ſcheint mir dringend geboten, eben weil wir ſtolz darauf ſind einen<lb/> ſolchen Lehrer und einen ſolchen Mann den unſern zu nennen.<lb/> Ueber den Vorgang ſelbſt, ſo weit er die Univerſität betrifft, finde<lb/> ich keine Veranlaſſung in dieſem Zuſammenhang mich zu äußern,<lb/> zumal da dies eine Frage iſt, bei der noch ganz andere Momente<lb/> als pro- und antiſemitiſche Stimmungen in Betracht kommen.<lb/></p> <p> Schließlich ein Wort über die Stellung der Juden ſelbſt zu<lb/> dieſer leidigen Bewegung. Selbſtverſtändlich iſt unſere Nation durch<lb/> Recht und Ehre verpflichtet ſie in ihrer Rechtsgleichheit zu ſchützen,<lb/> ſowohl vor offenem Rechtsbruch wie vor adminiſtrativer Prellerei; und<lb/> dieſe unſere Pflicht, die wir vor allem uns ſelbſt ſchulden, hängt keines-<lb/> wegs ab von dem Wohlverhalten der Juden. Aber wovor nicht<lb/> wir ſie ſchützen können, das iſt das Gefühl der Fremdheit und Un-<lb/> gleichheit, mit welchem auch heute noch der chriſtliche Deutſche dem<lb/> jüdiſchen vielfach gegenüber ſteht und das, wie der gegenwärtige<lb/> Augenblick einmal wieder zeigt, allerdings eine Gefahr in ſich trägt<lb/> für ſie wie für uns — der Bürgerkrieg einer Majorität gegen<lb/> eine Minorität, auch nur als Möglichkeit, iſt eine nationale Cala-<lb/> mität. Die Schuld davon liegt allerdings zum Theil bei den Juden.<lb/> Was das Wort „Chriſtenheit“ einſtmals bedeutete, bedeutet es heute<lb/> nicht mehr voll; aber es iſt immer noch das einzige Wort, welches<lb/> den Charakter der heutigen internationalen Civiliſation zuſammen-<lb/> faßt und in dem Millionen und Millionen ſich empfinden als Zu-<lb/> ſammenſtehende auf dem völkerreichen Erdball. Außerhalb dieſer<lb/> Schranken zu bleiben und innerhalb der Nation zu ſtehen iſt mög-<lb/> lich, aber ſchwer und gefahrvoll. Wem ſein Gewiſſen, ſei es poſitiv<lb/> oder negativ, es verbietet dem Judenthum abzuſagen und ſich zum<lb/> Chriſtenthum zu bekennen, der wird dem entſprechend handeln und<lb/> die Folgen auf ſich nehmen; Betrachtungen dieſer Art gehören in<lb/> das Kämmerlein, nicht in die öffentliche Discuſſion. Aber es iſt eine<lb/> notoriſche Thatſache, daß eine große Anzahl von Juden nicht durch<lb/> Gewiſſensbedenken vom Uebertritt abgehalten wird, ſondern lediglich<lb/> durch ganz andere Gefühle, die ich begreifen, aber nicht billigen<lb/> kann. — Auch die zahlreichen ſpecifiſch jüdiſchen Vereine, wie ſie<lb/> zum Beiſpiel hier in Berlin beſtehen, erſcheinen mir, ſo weit nicht<lb/> eben die jeder Discuſſion ſich entziehende Glaubensfrage auch hier ein-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
ſcheint mir dringend geboten, eben weil wir ſtolz darauf ſind einen
ſolchen Lehrer und einen ſolchen Mann den unſern zu nennen.
Ueber den Vorgang ſelbſt, ſo weit er die Univerſität betrifft, finde
ich keine Veranlaſſung in dieſem Zuſammenhang mich zu äußern,
zumal da dies eine Frage iſt, bei der noch ganz andere Momente
als pro- und antiſemitiſche Stimmungen in Betracht kommen.
Schließlich ein Wort über die Stellung der Juden ſelbſt zu
dieſer leidigen Bewegung. Selbſtverſtändlich iſt unſere Nation durch
Recht und Ehre verpflichtet ſie in ihrer Rechtsgleichheit zu ſchützen,
ſowohl vor offenem Rechtsbruch wie vor adminiſtrativer Prellerei; und
dieſe unſere Pflicht, die wir vor allem uns ſelbſt ſchulden, hängt keines-
wegs ab von dem Wohlverhalten der Juden. Aber wovor nicht
wir ſie ſchützen können, das iſt das Gefühl der Fremdheit und Un-
gleichheit, mit welchem auch heute noch der chriſtliche Deutſche dem
jüdiſchen vielfach gegenüber ſteht und das, wie der gegenwärtige
Augenblick einmal wieder zeigt, allerdings eine Gefahr in ſich trägt
für ſie wie für uns — der Bürgerkrieg einer Majorität gegen
eine Minorität, auch nur als Möglichkeit, iſt eine nationale Cala-
mität. Die Schuld davon liegt allerdings zum Theil bei den Juden.
Was das Wort „Chriſtenheit“ einſtmals bedeutete, bedeutet es heute
nicht mehr voll; aber es iſt immer noch das einzige Wort, welches
den Charakter der heutigen internationalen Civiliſation zuſammen-
faßt und in dem Millionen und Millionen ſich empfinden als Zu-
ſammenſtehende auf dem völkerreichen Erdball. Außerhalb dieſer
Schranken zu bleiben und innerhalb der Nation zu ſtehen iſt mög-
lich, aber ſchwer und gefahrvoll. Wem ſein Gewiſſen, ſei es poſitiv
oder negativ, es verbietet dem Judenthum abzuſagen und ſich zum
Chriſtenthum zu bekennen, der wird dem entſprechend handeln und
die Folgen auf ſich nehmen; Betrachtungen dieſer Art gehören in
das Kämmerlein, nicht in die öffentliche Discuſſion. Aber es iſt eine
notoriſche Thatſache, daß eine große Anzahl von Juden nicht durch
Gewiſſensbedenken vom Uebertritt abgehalten wird, ſondern lediglich
durch ganz andere Gefühle, die ich begreifen, aber nicht billigen
kann. — Auch die zahlreichen ſpecifiſch jüdiſchen Vereine, wie ſie
zum Beiſpiel hier in Berlin beſtehen, erſcheinen mir, ſo weit nicht
eben die jeder Discuſſion ſich entziehende Glaubensfrage auch hier ein-
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