diesen Fluren. Jn dem Maaße, wie man sich dem Schwar- zen Meere nähert, zeigen sich die Hügel mehr und mehr mit Sträuchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald von Ahorn- und Kastanienbäumen, wo tiefe Stille herrscht; da findet man mächtige Stämme liegen, die der Sturm hingestreckt, und die, von Epheu überdeckt, aufs Neue be- grünt sind; der wilde Wein steigt bis an die Gipfel der Bäume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf, denn an diesem Walde setzen die Wolken das Trinkwasser für Konstantinopel ab. Die Rosen- und Brombeersträucher beschränken den Wanderer auf einem schmalen Pfade in den Thälern; nur hin und wieder streift ein Schakal durch die Büsche, oder ein Adler oder Mahomedsvogel stürzt er- schrocken und krächzend von seinem Lager empor. Plötzlich öffnen sich die Zweige und Du stehst vor einem riesenhaf- ten Gemäuer, einem Pallast ohne Fenster und Thüren; aber mit seltsamen Thürmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar- mor bekleidet. Die Flügel jener Waldschlösser lehnen sich an die Thalwände, und wenn Du diese bis zum obersten Rand des Gemäuers auf breiten Mamorstufen ersteigst, so erblickst Du jenseits den klaren Spiegel eines künstlichen See's, der zwischen den bewaldeten Höhen durch den mäch- tigen Steinwall zurückgehalten wird. Es ist eins der gro- ßen Reservoirs, welche eine halbe Million Menschen in einer Entfernung von vier bis fünf Meilen mit frischem Wasser versehen. Hier fangen die Wasserleitungen an, welche auf ihrem Zuge die Thäler auf mächtigen Bogen überschreiten, die seit Valens, Justinians, Severus und Suleimans des Großen Zeiten noch heute unerschüttert dastehen.
Das Neueste aus Konstantinopel ist, daß Achmet, der Capudan-Pascha, welcher bisher Muschir der Garden war, eine Brücke über den Hafen hat bauen lassen, die erste, welche seit dem strengen Winter zu Kaiser Theodosius Zeiten Galata mit Konstantinopel vereinte. Sie ist 637 Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der schönsten Mastbäume ist darin versenkt. Man konnte nun
dieſen Fluren. Jn dem Maaße, wie man ſich dem Schwar- zen Meere naͤhert, zeigen ſich die Huͤgel mehr und mehr mit Straͤuchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald von Ahorn- und Kaſtanienbaͤumen, wo tiefe Stille herrſcht; da findet man maͤchtige Staͤmme liegen, die der Sturm hingeſtreckt, und die, von Epheu uͤberdeckt, aufs Neue be- gruͤnt ſind; der wilde Wein ſteigt bis an die Gipfel der Baͤume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf, denn an dieſem Walde ſetzen die Wolken das Trinkwaſſer fuͤr Konſtantinopel ab. Die Roſen- und Brombeerſtraͤucher beſchraͤnken den Wanderer auf einem ſchmalen Pfade in den Thaͤlern; nur hin und wieder ſtreift ein Schakal durch die Buͤſche, oder ein Adler oder Mahomedsvogel ſtuͤrzt er- ſchrocken und kraͤchzend von ſeinem Lager empor. Ploͤtzlich oͤffnen ſich die Zweige und Du ſtehſt vor einem rieſenhaf- ten Gemaͤuer, einem Pallaſt ohne Fenſter und Thuͤren; aber mit ſeltſamen Thuͤrmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar- mor bekleidet. Die Fluͤgel jener Waldſchloͤſſer lehnen ſich an die Thalwaͤnde, und wenn Du dieſe bis zum oberſten Rand des Gemaͤuers auf breiten Mamorſtufen erſteigſt, ſo erblickſt Du jenſeits den klaren Spiegel eines kuͤnſtlichen See's, der zwiſchen den bewaldeten Hoͤhen durch den maͤch- tigen Steinwall zuruͤckgehalten wird. Es iſt eins der gro- ßen Reſervoirs, welche eine halbe Million Menſchen in einer Entfernung von vier bis fuͤnf Meilen mit friſchem Waſſer verſehen. Hier fangen die Waſſerleitungen an, welche auf ihrem Zuge die Thaͤler auf maͤchtigen Bogen uͤberſchreiten, die ſeit Valens, Juſtinians, Severus und Suleimans des Großen Zeiten noch heute unerſchuͤttert daſtehen.
Das Neueſte aus Konſtantinopel iſt, daß Achmet, der Capudan-Paſcha, welcher bisher Muſchir der Garden war, eine Bruͤcke uͤber den Hafen hat bauen laſſen, die erſte, welche ſeit dem ſtrengen Winter zu Kaiſer Theodoſius Zeiten Galata mit Konſtantinopel vereinte. Sie iſt 637 Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der ſchoͤnſten Maſtbaͤume iſt darin verſenkt. Man konnte nun
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dieſen Fluren. Jn dem Maaße, wie man ſich dem Schwar-
zen Meere naͤhert, zeigen ſich die Huͤgel mehr und mehr
mit Straͤuchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald
von Ahorn- und Kaſtanienbaͤumen, wo tiefe Stille herrſcht;
da findet man maͤchtige Staͤmme liegen, die der Sturm
hingeſtreckt, und die, von Epheu uͤberdeckt, aufs Neue be-
gruͤnt ſind; der wilde Wein ſteigt bis an die Gipfel der
Baͤume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf,
denn an dieſem Walde ſetzen die Wolken das Trinkwaſſer
fuͤr Konſtantinopel ab. Die Roſen- und Brombeerſtraͤucher
beſchraͤnken den Wanderer auf einem ſchmalen Pfade in
den Thaͤlern; nur hin und wieder ſtreift ein Schakal durch
die Buͤſche, oder ein Adler oder Mahomedsvogel ſtuͤrzt er-
ſchrocken und kraͤchzend von ſeinem Lager empor. Ploͤtzlich
oͤffnen ſich die Zweige und Du ſtehſt vor einem rieſenhaf-
ten Gemaͤuer, einem Pallaſt ohne Fenſter und Thuͤren; aber
mit ſeltſamen Thuͤrmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar-
mor bekleidet. Die Fluͤgel jener Waldſchloͤſſer lehnen ſich
an die Thalwaͤnde, und wenn Du dieſe bis zum oberſten
Rand des Gemaͤuers auf breiten Mamorſtufen erſteigſt, ſo
erblickſt Du jenſeits den klaren Spiegel eines kuͤnſtlichen
See's, der zwiſchen den bewaldeten Hoͤhen durch den maͤch-
tigen Steinwall zuruͤckgehalten wird. Es iſt eins der gro-
ßen Reſervoirs, welche eine halbe Million Menſchen in einer
Entfernung von vier bis fuͤnf Meilen mit friſchem Waſſer
verſehen. Hier fangen die Waſſerleitungen an, welche auf
ihrem Zuge die Thaͤler auf maͤchtigen Bogen uͤberſchreiten,
die ſeit Valens, Juſtinians, Severus und Suleimans des
Großen Zeiten noch heute unerſchuͤttert daſtehen.
Das Neueſte aus Konſtantinopel iſt, daß Achmet,
der Capudan-Paſcha, welcher bisher Muſchir der Garden
war, eine Bruͤcke uͤber den Hafen hat bauen laſſen, die
erſte, welche ſeit dem ſtrengen Winter zu Kaiſer Theodoſius
Zeiten Galata mit Konſtantinopel vereinte. Sie iſt 637
Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der
ſchoͤnſten Maſtbaͤume iſt darin verſenkt. Man konnte nun
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/87>, abgerufen am 27.11.2024.
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