unterhaltend. Diese ganze, drei Meilen weite Strecke bil- det eine einzige fortlaufende Stadt aus Wohnungen und Lufthäusern, Kiosken, Moscheen, Springbrunnen, Bädern und Kaffeehäusern. Die Gärten steigen auf Terrassen em- por, und die mächtigen Cypressenhaine der Begräbnißplätze krönen die Gipfel. Wenn man längs der Ufer einen Quai aufgeführt hätte, so würde dieser gewiß der schönste Spa- ziergang in der Welt sein. Die Reichen und Mächtigen haben aber ihre Häuser und Gärten dicht an und über dem Meere selbst haben wollen, und die schlecht gepflasterte Straße zieht sich oft durch elende Hütten, durch Thorwege und zwi- schen hohen Mauern hin. Jndessen sind die kleinen wink- ligen Gassen dem Clima sehr angemessen; in breiten gera- den Straßen würde man die Strahlen der Sonne nicht aus- halten können, so aber stoßen die vorspringenden Dächer fast an einander und der Zwischenraum ist mit einigen Stan- gen verbunden, über welche die Weinrebe ihr grünes durch- sichtiges Dach wölbt, und von denen zahllose Trauben her- abhängen. Oft nimmt der Weg plötzlich eine Wendung, Du stehst vor einer Moschee, neben einem Springbrunnen und unter mächtigen Platanen am klaren plätschernden Strom des Bosphorus; Knaben in weißen oder blauen Kleidern und farbigen Turbanen springen herbei, das Pferd zu hal- ten; der Kaffeewirth hält schon die lange Pfeife bereit und gießt den unausbleiblichen Kaffee in die kleine Tasse, schiebt einen niedrigen Rohrsessel auf die Terrasse seines Hauses, und ein Schwarm von Kaikführern streitet sich um den Vor- zug, Dich für einige Para zwischen den paradiesischen Ufern zweier Welttheile hinzuführen.
Und zehn Minuten von dieser Scene des Lebens und des Ueberflusses kannst Du in eine weite menschenleere Ein- öde treten. Du darfst nur auf die nächste Höhe hinauf- steigen, so liegt der thrakische Chersones, ein Hügelland, vor Dir, auf welchem Du kein Dorf, keinen Baum, kaum einen Weinberg, sondern nur einen steinigen Saumweg erblickst. Der Fluch einer schlechten habgierigen Verwaltung ruht auf
unterhaltend. Dieſe ganze, drei Meilen weite Strecke bil- det eine einzige fortlaufende Stadt aus Wohnungen und Lufthaͤuſern, Kiosken, Moſcheen, Springbrunnen, Baͤdern und Kaffeehaͤuſern. Die Gaͤrten ſteigen auf Terraſſen em- por, und die maͤchtigen Cypreſſenhaine der Begraͤbnißplaͤtze kroͤnen die Gipfel. Wenn man laͤngs der Ufer einen Quai aufgefuͤhrt haͤtte, ſo wuͤrde dieſer gewiß der ſchoͤnſte Spa- ziergang in der Welt ſein. Die Reichen und Maͤchtigen haben aber ihre Haͤuſer und Gaͤrten dicht an und uͤber dem Meere ſelbſt haben wollen, und die ſchlecht gepflaſterte Straße zieht ſich oft durch elende Huͤtten, durch Thorwege und zwi- ſchen hohen Mauern hin. Jndeſſen ſind die kleinen wink- ligen Gaſſen dem Clima ſehr angemeſſen; in breiten gera- den Straßen wuͤrde man die Strahlen der Sonne nicht aus- halten koͤnnen, ſo aber ſtoßen die vorſpringenden Daͤcher faſt an einander und der Zwiſchenraum iſt mit einigen Stan- gen verbunden, uͤber welche die Weinrebe ihr gruͤnes durch- ſichtiges Dach woͤlbt, und von denen zahlloſe Trauben her- abhaͤngen. Oft nimmt der Weg ploͤtzlich eine Wendung, Du ſtehſt vor einer Moſchee, neben einem Springbrunnen und unter maͤchtigen Platanen am klaren plaͤtſchernden Strom des Bosphorus; Knaben in weißen oder blauen Kleidern und farbigen Turbanen ſpringen herbei, das Pferd zu hal- ten; der Kaffeewirth haͤlt ſchon die lange Pfeife bereit und gießt den unausbleiblichen Kaffee in die kleine Taſſe, ſchiebt einen niedrigen Rohrſeſſel auf die Terraſſe ſeines Hauſes, und ein Schwarm von Kaikfuͤhrern ſtreitet ſich um den Vor- zug, Dich fuͤr einige Para zwiſchen den paradieſiſchen Ufern zweier Welttheile hinzufuͤhren.
Und zehn Minuten von dieſer Scene des Lebens und des Ueberfluſſes kannſt Du in eine weite menſchenleere Ein- oͤde treten. Du darfſt nur auf die naͤchſte Hoͤhe hinauf- ſteigen, ſo liegt der thrakiſche Cherſones, ein Huͤgelland, vor Dir, auf welchem Du kein Dorf, keinen Baum, kaum einen Weinberg, ſondern nur einen ſteinigen Saumweg erblickſt. Der Fluch einer ſchlechten habgierigen Verwaltung ruht auf
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unterhaltend. Dieſe ganze, drei Meilen weite Strecke bil-
det eine einzige fortlaufende Stadt aus Wohnungen und
Lufthaͤuſern, Kiosken, Moſcheen, Springbrunnen, Baͤdern
und Kaffeehaͤuſern. Die Gaͤrten ſteigen auf Terraſſen em-
por, und die maͤchtigen Cypreſſenhaine der Begraͤbnißplaͤtze
kroͤnen die Gipfel. Wenn man laͤngs der Ufer einen Quai
aufgefuͤhrt haͤtte, ſo wuͤrde dieſer gewiß der ſchoͤnſte Spa-
ziergang in der Welt ſein. Die Reichen und Maͤchtigen
haben aber ihre Haͤuſer und Gaͤrten dicht an und uͤber dem
Meere ſelbſt haben wollen, und die ſchlecht gepflaſterte Straße
zieht ſich oft durch elende Huͤtten, durch Thorwege und zwi-
ſchen hohen Mauern hin. Jndeſſen ſind die kleinen wink-
ligen Gaſſen dem Clima ſehr angemeſſen; in breiten gera-
den Straßen wuͤrde man die Strahlen der Sonne nicht aus-
halten koͤnnen, ſo aber ſtoßen die vorſpringenden Daͤcher
faſt an einander und der Zwiſchenraum iſt mit einigen Stan-
gen verbunden, uͤber welche die Weinrebe ihr gruͤnes durch-
ſichtiges Dach woͤlbt, und von denen zahlloſe Trauben her-
abhaͤngen. Oft nimmt der Weg ploͤtzlich eine Wendung,
Du ſtehſt vor einer Moſchee, neben einem Springbrunnen
und unter maͤchtigen Platanen am klaren plaͤtſchernden Strom
des Bosphorus; Knaben in weißen oder blauen Kleidern
und farbigen Turbanen ſpringen herbei, das Pferd zu hal-
ten; der Kaffeewirth haͤlt ſchon die lange Pfeife bereit und
gießt den unausbleiblichen Kaffee in die kleine Taſſe, ſchiebt
einen niedrigen Rohrſeſſel auf die Terraſſe ſeines Hauſes,
und ein Schwarm von Kaikfuͤhrern ſtreitet ſich um den Vor-
zug, Dich fuͤr einige Para zwiſchen den paradieſiſchen Ufern
zweier Welttheile hinzufuͤhren.
Und zehn Minuten von dieſer Scene des Lebens und
des Ueberfluſſes kannſt Du in eine weite menſchenleere Ein-
oͤde treten. Du darfſt nur auf die naͤchſte Hoͤhe hinauf-
ſteigen, ſo liegt der thrakiſche Cherſones, ein Huͤgelland, vor
Dir, auf welchem Du kein Dorf, keinen Baum, kaum einen
Weinberg, ſondern nur einen ſteinigen Saumweg erblickſt.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/86>, abgerufen am 27.11.2024.
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