und dem Sonnenschirm in der andern Hand begegnen könn- te, würdest Du mich wohl kaum erkennen.
Am 3. August, am Geburtstag unsers Königs, machte ich einen sehr interessanten Ritt auf guten muthigen Pfer- den in das Jnnere des Landes. Wir erreichten zuerst und noch in der Morgenkühle das Dorf Kukludscha am Abhang eines Berges, von wo man eine unbeschreiblich schöne Aus- sicht hat. Links die Stadt und die Festung Smyrna, der Hafen und das Meer bis zum Felsvorgebirge Karaburun, rechts eins der schönsten und bebautesten Thäler, die es giebt. Da die breite Thalsohle vollkommen eben zwischen den hohen schroffen Bergen liegt, so zeichnen sich die vielen wagerechten Linien von dunkelgrünen Nußbäumen und grauen Oliven-Reihen zwischen hellgrünen Feldern und Weingär- ten überaus schön gegen die gezackten Conture der braunen Gebirge ab. Die Vegetation ist hier überaus reich, die Orangen und Citronen bilden große Stämme, doch hatten sie im letzten strengen Winter sehr gelitten. Jch fand hier die Aloe in Blüthe, deren Stengel wenigstens 20 Fuß hoch und armdick ist. Besonders aber gedeiht der Granatbaum; das Dörfchen Narlykjöi, welches seinen Namen von ihm hat, liegt in einem förmlichen Walde von Granatbäumen; das überaus frische Grün, die dunkelrothen großen Blü- then und die Anzahl von Aepfeln, welche die Zweige herab- bogen, überraschten mich sehr. Große Melonen, eßbare Kürbisse und riesenhafte Rohrpflanzen umgaben die Ufer der Bäche; Maulbeeren und Weintrauben von vortrefflichem Geschmack giebt es so viele, daß Jeder, ohne zu fragen, davon nimmt, was ihm gefällt. Die Cypressen erreichen eine erstaunliche Höhe und Mächtigkeit; der Oelbaum aber, unserer Weide ähnlich, mit seltsam geflochtenen knorrigen Stämmen und blaßgrünem Laub, Blüthen und Früchten, verleiht erst der Gegend ihren eigenthümlichen Charakter. Die von Saft überfüllte Wassermelone wuchert als Unkraut in diesem heißen, durstigen Lande und bildet ein wahres Labsal, wo man oft keinen Trunk Wasser haben kann. Die
und dem Sonnenſchirm in der andern Hand begegnen koͤnn- te, wuͤrdeſt Du mich wohl kaum erkennen.
Am 3. Auguſt, am Geburtstag unſers Koͤnigs, machte ich einen ſehr intereſſanten Ritt auf guten muthigen Pfer- den in das Jnnere des Landes. Wir erreichten zuerſt und noch in der Morgenkuͤhle das Dorf Kukludſcha am Abhang eines Berges, von wo man eine unbeſchreiblich ſchoͤne Aus- ſicht hat. Links die Stadt und die Feſtung Smyrna, der Hafen und das Meer bis zum Felsvorgebirge Karaburun, rechts eins der ſchoͤnſten und bebauteſten Thaͤler, die es giebt. Da die breite Thalſohle vollkommen eben zwiſchen den hohen ſchroffen Bergen liegt, ſo zeichnen ſich die vielen wagerechten Linien von dunkelgruͤnen Nußbaͤumen und grauen Oliven-Reihen zwiſchen hellgruͤnen Feldern und Weingaͤr- ten uͤberaus ſchoͤn gegen die gezackten Conture der braunen Gebirge ab. Die Vegetation iſt hier uͤberaus reich, die Orangen und Citronen bilden große Staͤmme, doch hatten ſie im letzten ſtrengen Winter ſehr gelitten. Jch fand hier die Aloe in Bluͤthe, deren Stengel wenigſtens 20 Fuß hoch und armdick iſt. Beſonders aber gedeiht der Granatbaum; das Doͤrfchen Narlykjoͤi, welches ſeinen Namen von ihm hat, liegt in einem foͤrmlichen Walde von Granatbaͤumen; das uͤberaus friſche Gruͤn, die dunkelrothen großen Bluͤ- then und die Anzahl von Aepfeln, welche die Zweige herab- bogen, uͤberraſchten mich ſehr. Große Melonen, eßbare Kuͤrbiſſe und rieſenhafte Rohrpflanzen umgaben die Ufer der Baͤche; Maulbeeren und Weintrauben von vortrefflichem Geſchmack giebt es ſo viele, daß Jeder, ohne zu fragen, davon nimmt, was ihm gefaͤllt. Die Cypreſſen erreichen eine erſtaunliche Hoͤhe und Maͤchtigkeit; der Oelbaum aber, unſerer Weide aͤhnlich, mit ſeltſam geflochtenen knorrigen Staͤmmen und blaßgruͤnem Laub, Bluͤthen und Fruͤchten, verleiht erſt der Gegend ihren eigenthuͤmlichen Charakter. Die von Saft uͤberfuͤllte Waſſermelone wuchert als Unkraut in dieſem heißen, durſtigen Lande und bildet ein wahres Labſal, wo man oft keinen Trunk Waſſer haben kann. Die
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und dem Sonnenſchirm in der andern Hand begegnen koͤnn-
te, wuͤrdeſt Du mich wohl kaum erkennen.
Am 3. Auguſt, am Geburtstag unſers Koͤnigs, machte
ich einen ſehr intereſſanten Ritt auf guten muthigen Pfer-
den in das Jnnere des Landes. Wir erreichten zuerſt und
noch in der Morgenkuͤhle das Dorf Kukludſcha am Abhang
eines Berges, von wo man eine unbeſchreiblich ſchoͤne Aus-
ſicht hat. Links die Stadt und die Feſtung Smyrna, der
Hafen und das Meer bis zum Felsvorgebirge Karaburun,
rechts eins der ſchoͤnſten und bebauteſten Thaͤler, die es
giebt. Da die breite Thalſohle vollkommen eben zwiſchen
den hohen ſchroffen Bergen liegt, ſo zeichnen ſich die vielen
wagerechten Linien von dunkelgruͤnen Nußbaͤumen und grauen
Oliven-Reihen zwiſchen hellgruͤnen Feldern und Weingaͤr-
ten uͤberaus ſchoͤn gegen die gezackten Conture der braunen
Gebirge ab. Die Vegetation iſt hier uͤberaus reich, die
Orangen und Citronen bilden große Staͤmme, doch hatten
ſie im letzten ſtrengen Winter ſehr gelitten. Jch fand hier
die Aloe in Bluͤthe, deren Stengel wenigſtens 20 Fuß hoch
und armdick iſt. Beſonders aber gedeiht der Granatbaum;
das Doͤrfchen Narlykjoͤi, welches ſeinen Namen von ihm
hat, liegt in einem foͤrmlichen Walde von Granatbaͤumen;
das uͤberaus friſche Gruͤn, die dunkelrothen großen Bluͤ-
then und die Anzahl von Aepfeln, welche die Zweige herab-
bogen, uͤberraſchten mich ſehr. Große Melonen, eßbare
Kuͤrbiſſe und rieſenhafte Rohrpflanzen umgaben die Ufer der
Baͤche; Maulbeeren und Weintrauben von vortrefflichem
Geſchmack giebt es ſo viele, daß Jeder, ohne zu fragen,
davon nimmt, was ihm gefaͤllt. Die Cypreſſen erreichen
eine erſtaunliche Hoͤhe und Maͤchtigkeit; der Oelbaum aber,
unſerer Weide aͤhnlich, mit ſeltſam geflochtenen knorrigen
Staͤmmen und blaßgruͤnem Laub, Bluͤthen und Fruͤchten,
verleiht erſt der Gegend ihren eigenthuͤmlichen Charakter.
Die von Saft uͤberfuͤllte Waſſermelone wuchert als Unkraut
in dieſem heißen, durſtigen Lande und bildet ein wahres
Labſal, wo man oft keinen Trunk Waſſer haben kann. Die
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/82>, abgerufen am 24.11.2024.
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