das kleine Fahrzeug zu, zerschmetterte es in tausend Stücke und taumelte dann langsam das Ufer hinauf. Dicht neben dem Kahn hatte der Eigenthümer auf dem Strande schla- fend gelegen; er erwachte von dem fürchterlichen Knall und fand kaum die Splitter seines Nachens wieder. Der Pa- scha schickte sogleich hinüber, um den Werth des Fahrzeugs bezahlen zu lassen; das gefiel dem Eigenthümer sehr gut, und er erinnerte sich nachträglich, einen Beutel mit 50,000 Piastern im Kahn gehabt zu haben, welche ebenfalls fort- geschossen seien. Die Erfindung war plump, aber der Er- finder ein Jonier, und als englischem Unterthan wurde ihm zwar nicht die genannte Summe, aber doch eine erhöhte Entschädigung zu Theil.
Die türkischen Soldaten, welche von dieser Unterhand- lung nichts erfuhren, fanden es ganz einfach und angemes- sen, daß ihr Pascha den Nachen des Gjaur zur Zielscheibe gewählt habe. Sie frohlockten, daß nicht das kleinste Fahr- zeug selbst am entgegengesetzten Ufer durch den Boghas schlei- chen könne, ohne von einer Kugel ereilt zu werden, und wir ließen sie gern bei dieser Ansicht.
Jch reisete mit Halil Pascha auf einem Dampfschiff zurück, welches früher auf dem Clyde gefahren, dann nach Konstantinopel verkauft worden, mit türkischen Soldaten besetzt, aber von einem Engländer geführt war. Das Wet- ter begünstigte die Fahrt, und um der Strömung zu ent- gehen, hielt man sich in der Nähe der europäischen Küste. Gegen Abend fuhren wir an St. Stefano vorüber und hatten den schönen Anblick Konstantinopels vor uns. Die alten Mauern sind hier von den Wellen des Marmormeeres bespült, die sich oft gewaltig gegen die Fundamente brechen, in welche ganze Reihen von Säulen wie Balken eingemau- ert sind. Zahllose Jnschriften treten hier zu Tage, und die Kuppeln und Minarehs, die Säule des Konstantin und die Bogen des Valens zeichneten sich wie Silhouetten an den vergoldeten Grund des Abendhimmels ab. Wir brauseten eben an den sieben Thürmen des alten Kyklobion vorbei,
das kleine Fahrzeug zu, zerſchmetterte es in tauſend Stuͤcke und taumelte dann langſam das Ufer hinauf. Dicht neben dem Kahn hatte der Eigenthuͤmer auf dem Strande ſchla- fend gelegen; er erwachte von dem fuͤrchterlichen Knall und fand kaum die Splitter ſeines Nachens wieder. Der Pa- ſcha ſchickte ſogleich hinuͤber, um den Werth des Fahrzeugs bezahlen zu laſſen; das gefiel dem Eigenthuͤmer ſehr gut, und er erinnerte ſich nachtraͤglich, einen Beutel mit 50,000 Piaſtern im Kahn gehabt zu haben, welche ebenfalls fort- geſchoſſen ſeien. Die Erfindung war plump, aber der Er- finder ein Jonier, und als engliſchem Unterthan wurde ihm zwar nicht die genannte Summe, aber doch eine erhoͤhte Entſchaͤdigung zu Theil.
Die tuͤrkiſchen Soldaten, welche von dieſer Unterhand- lung nichts erfuhren, fanden es ganz einfach und angemeſ- ſen, daß ihr Paſcha den Nachen des Gjaur zur Zielſcheibe gewaͤhlt habe. Sie frohlockten, daß nicht das kleinſte Fahr- zeug ſelbſt am entgegengeſetzten Ufer durch den Boghas ſchlei- chen koͤnne, ohne von einer Kugel ereilt zu werden, und wir ließen ſie gern bei dieſer Anſicht.
Jch reiſete mit Halil Paſcha auf einem Dampfſchiff zuruͤck, welches fruͤher auf dem Clyde gefahren, dann nach Konſtantinopel verkauft worden, mit tuͤrkiſchen Soldaten beſetzt, aber von einem Englaͤnder gefuͤhrt war. Das Wet- ter beguͤnſtigte die Fahrt, und um der Stroͤmung zu ent- gehen, hielt man ſich in der Naͤhe der europaͤiſchen Kuͤſte. Gegen Abend fuhren wir an St. Stefano voruͤber und hatten den ſchoͤnen Anblick Konſtantinopels vor uns. Die alten Mauern ſind hier von den Wellen des Marmormeeres beſpuͤlt, die ſich oft gewaltig gegen die Fundamente brechen, in welche ganze Reihen von Saͤulen wie Balken eingemau- ert ſind. Zahlloſe Jnſchriften treten hier zu Tage, und die Kuppeln und Minarehs, die Saͤule des Konſtantin und die Bogen des Valens zeichneten ſich wie Silhouetten an den vergoldeten Grund des Abendhimmels ab. Wir brauſeten eben an den ſieben Thuͤrmen des alten Kyklobion vorbei,
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das kleine Fahrzeug zu, zerſchmetterte es in tauſend Stuͤcke
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dem Kahn hatte der Eigenthuͤmer auf dem Strande ſchla-
fend gelegen; er erwachte von dem fuͤrchterlichen Knall und
fand kaum die Splitter ſeines Nachens wieder. Der Pa-
ſcha ſchickte ſogleich hinuͤber, um den Werth des Fahrzeugs
bezahlen zu laſſen; das gefiel dem Eigenthuͤmer ſehr gut,
und er erinnerte ſich nachtraͤglich, einen Beutel mit 50,000
Piaſtern im Kahn gehabt zu haben, welche ebenfalls fort-
geſchoſſen ſeien. Die Erfindung war plump, aber der Er-
finder ein Jonier, und als engliſchem Unterthan wurde ihm
zwar nicht die genannte Summe, aber doch eine erhoͤhte
Entſchaͤdigung zu Theil.
Die tuͤrkiſchen Soldaten, welche von dieſer Unterhand-
lung nichts erfuhren, fanden es ganz einfach und angemeſ-
ſen, daß ihr Paſcha den Nachen des Gjaur zur Zielſcheibe
gewaͤhlt habe. Sie frohlockten, daß nicht das kleinſte Fahr-
zeug ſelbſt am entgegengeſetzten Ufer durch den Boghas ſchlei-
chen koͤnne, ohne von einer Kugel ereilt zu werden, und wir
ließen ſie gern bei dieſer Anſicht.
Jch reiſete mit Halil Paſcha auf einem Dampfſchiff
zuruͤck, welches fruͤher auf dem Clyde gefahren, dann nach
Konſtantinopel verkauft worden, mit tuͤrkiſchen Soldaten
beſetzt, aber von einem Englaͤnder gefuͤhrt war. Das Wet-
ter beguͤnſtigte die Fahrt, und um der Stroͤmung zu ent-
gehen, hielt man ſich in der Naͤhe der europaͤiſchen Kuͤſte.
Gegen Abend fuhren wir an St. Stefano voruͤber und
hatten den ſchoͤnen Anblick Konſtantinopels vor uns. Die
alten Mauern ſind hier von den Wellen des Marmormeeres
beſpuͤlt, die ſich oft gewaltig gegen die Fundamente brechen,
in welche ganze Reihen von Saͤulen wie Balken eingemau-
ert ſind. Zahlloſe Jnſchriften treten hier zu Tage, und die
Kuppeln und Minarehs, die Saͤule des Konſtantin und die
Bogen des Valens zeichneten ſich wie Silhouetten an den
vergoldeten Grund des Abendhimmels ab. Wir brauſeten
eben an den ſieben Thuͤrmen des alten Kyklobion vorbei,
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/79>, abgerufen am 24.11.2024.
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