die Fernsicht. Auf der einen Seite erblickt man das Mar- mormeer mit den Prinzen-Jnseln, und auf der andern den prachtvollen Olymp, dessen schneebedecktes Haupt über einen breiten Gürtel von Wolken hervorragte. Die Weinblüthe erfüllte die Luft mit einem starken Resedageruch, wobei ihr das üppig wuchernde Caprifolium und eine gelbe Blu- me, deren Namen ich nicht kenne, halfen. Nachdem wir eine niedrige Hügelreihe überschritten hatten, erblickten wir in einer großen grünen Ebene am Fuße des Olymps in weiter Ausdehnung Brussa hingestreckt. Es ist in der That schwer zu entscheiden, welche der beiden Hauptstädte der osmanischen Herrscher die schönere Lage hat, die älteste oder die neueste, Brussa oder Konstantinopel. Hier ist es das Meer, dort das Land, was bezaubert; die eine Land- schaft ist in Blau, die andere in Grün ausgeführt. An den dunkel bewaldeten steilen Abhängen des Olymps zeich- nen sich mehr als hundert weiße Minarehs und gewölbte Kuppeln ab. Der sich fast zur beständigen Schneeregion erhebende Berg liefert den Einwohnern von Brussa im Winter Holz, sich zu erwärmen, und im Sommer Eis zu ihrem Scherbett. Ein Fluß, welcher den Namen Lotos führt, schlängelt sich durch reiche Wiesen und Maulbeer- felder, in denen riesenhafte Nußbäume mit dunklem Laub, hellgrüne Platanen, weiße Moscheen und schwarze Cypres- sen sich erheben. Der Wein rankt in mächtigen Stäm- men empor, hängt sich an die Zweige, von wo er wieder zur Erde herabsteigt; Caprifolium und blühende Schling- stauden werfen sich noch wieder über den Wein. Nirgend habe ich eine weite, so durchaus grüne Landschaft gesehen, außer von dem Lübbenauer Thurm, der den Spreewald über- blickt. Aber hier kommen nun noch die reichere Vegetation und die prächtigen Gebirge hinzu, welche diese Ebene einschließen. Ueberraschend ist der Wasserreichthum; überall rauscht ein Bach; mächtige Quellen stürzen sich aus dem Gestein, eiskalte neben dampfenden, und in der ganzen Stadt, in den Moscheen selbst sprudelt das Wasser aus zahllosen Springbrunnen hervor.
die Fernſicht. Auf der einen Seite erblickt man das Mar- mormeer mit den Prinzen-Jnſeln, und auf der andern den prachtvollen Olymp, deſſen ſchneebedecktes Haupt uͤber einen breiten Guͤrtel von Wolken hervorragte. Die Weinbluͤthe erfuͤllte die Luft mit einem ſtarken Reſedageruch, wobei ihr das uͤppig wuchernde Caprifolium und eine gelbe Blu- me, deren Namen ich nicht kenne, halfen. Nachdem wir eine niedrige Huͤgelreihe uͤberſchritten hatten, erblickten wir in einer großen gruͤnen Ebene am Fuße des Olymps in weiter Ausdehnung Bruſſa hingeſtreckt. Es iſt in der That ſchwer zu entſcheiden, welche der beiden Hauptſtaͤdte der osmaniſchen Herrſcher die ſchoͤnere Lage hat, die aͤlteſte oder die neueſte, Bruſſa oder Konſtantinopel. Hier iſt es das Meer, dort das Land, was bezaubert; die eine Land- ſchaft iſt in Blau, die andere in Gruͤn ausgefuͤhrt. An den dunkel bewaldeten ſteilen Abhaͤngen des Olymps zeich- nen ſich mehr als hundert weiße Minarehs und gewoͤlbte Kuppeln ab. Der ſich faſt zur beſtaͤndigen Schneeregion erhebende Berg liefert den Einwohnern von Bruſſa im Winter Holz, ſich zu erwaͤrmen, und im Sommer Eis zu ihrem Scherbett. Ein Fluß, welcher den Namen Lotos fuͤhrt, ſchlaͤngelt ſich durch reiche Wieſen und Maulbeer- felder, in denen rieſenhafte Nußbaͤume mit dunklem Laub, hellgruͤne Platanen, weiße Moſcheen und ſchwarze Cypreſ- ſen ſich erheben. Der Wein rankt in maͤchtigen Staͤm- men empor, haͤngt ſich an die Zweige, von wo er wieder zur Erde herabſteigt; Caprifolium und bluͤhende Schling- ſtauden werfen ſich noch wieder uͤber den Wein. Nirgend habe ich eine weite, ſo durchaus gruͤne Landſchaft geſehen, außer von dem Luͤbbenauer Thurm, der den Spreewald uͤber- blickt. Aber hier kommen nun noch die reichere Vegetation und die praͤchtigen Gebirge hinzu, welche dieſe Ebene einſchließen. Ueberraſchend iſt der Waſſerreichthum; uͤberall rauſcht ein Bach; maͤchtige Quellen ſtuͤrzen ſich aus dem Geſtein, eiskalte neben dampfenden, und in der ganzen Stadt, in den Moſcheen ſelbſt ſprudelt das Waſſer aus zahlloſen Springbrunnen hervor.
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die Fernſicht. Auf der einen Seite erblickt man das Mar-
mormeer mit den Prinzen-Jnſeln, und auf der andern den
prachtvollen Olymp, deſſen ſchneebedecktes Haupt uͤber einen
breiten Guͤrtel von Wolken hervorragte. Die Weinbluͤthe
erfuͤllte die Luft mit einem ſtarken Reſedageruch, wobei
ihr das uͤppig wuchernde Caprifolium und eine gelbe Blu-
me, deren Namen ich nicht kenne, halfen. Nachdem wir
eine niedrige Huͤgelreihe uͤberſchritten hatten, erblickten wir
in einer großen gruͤnen Ebene am Fuße des Olymps in
weiter Ausdehnung Bruſſa hingeſtreckt. Es iſt in der
That ſchwer zu entſcheiden, welche der beiden Hauptſtaͤdte
der osmaniſchen Herrſcher die ſchoͤnere Lage hat, die aͤlteſte
oder die neueſte, Bruſſa oder Konſtantinopel. Hier iſt es
das Meer, dort das Land, was bezaubert; die eine Land-
ſchaft iſt in Blau, die andere in Gruͤn ausgefuͤhrt. An
den dunkel bewaldeten ſteilen Abhaͤngen des Olymps zeich-
nen ſich mehr als hundert weiße Minarehs und gewoͤlbte
Kuppeln ab. Der ſich faſt zur beſtaͤndigen Schneeregion
erhebende Berg liefert den Einwohnern von Bruſſa im
Winter Holz, ſich zu erwaͤrmen, und im Sommer Eis zu
ihrem Scherbett. Ein Fluß, welcher den Namen Lotos
fuͤhrt, ſchlaͤngelt ſich durch reiche Wieſen und Maulbeer-
felder, in denen rieſenhafte Nußbaͤume mit dunklem Laub,
hellgruͤne Platanen, weiße Moſcheen und ſchwarze Cypreſ-
ſen ſich erheben. Der Wein rankt in maͤchtigen Staͤm-
men empor, haͤngt ſich an die Zweige, von wo er wieder
zur Erde herabſteigt; Caprifolium und bluͤhende Schling-
ſtauden werfen ſich noch wieder uͤber den Wein. Nirgend
habe ich eine weite, ſo durchaus gruͤne Landſchaft geſehen,
außer von dem Luͤbbenauer Thurm, der den Spreewald uͤber-
blickt. Aber hier kommen nun noch die reichere Vegetation und
die praͤchtigen Gebirge hinzu, welche dieſe Ebene einſchließen.
Ueberraſchend iſt der Waſſerreichthum; uͤberall rauſcht ein Bach;
maͤchtige Quellen ſtuͤrzen ſich aus dem Geſtein, eiskalte neben
dampfenden, und in der ganzen Stadt, in den Moſcheen ſelbſt
ſprudelt das Waſſer aus zahlloſen Springbrunnen hervor.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/74>, abgerufen am 25.11.2024.
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