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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Stück ab und langte mit den Fingern hinein; dann folgte
Helwa, eine süße Mehlspeise aus Honig, dann wieder Bra-
ten und wieder ein süßes Gericht, bald warm, bald kalt,
bald sauer, bald süß. Jede einzelne Schüssel war vortreff-
lich, die ganze Combination aber für einen europäischen
Magen schwer begreiflich, und das Alles ohne Wein. Das
Eis wurde in der Mitte der Mahlzeit gegeben; endlich
forderten wir dringend den Pillaw, welcher stets den Be-
schluß der Mahlzeit macht. Dann wurde noch eine Schüs-
sel Wuschaff oder ein Aufguß auf Obst auf die große runde
Scheibe gestellt, an der wir aßen, und mit Löffeln geleert.

Vor und nach der Mahlzeit wäscht man sich. Es sah
sehr possirlich aus, die Diplomaten in gestickten europäi-
schen Uniformen an einer solchen Tafel zu sehen. Man
band Jedem ein langes, gesticktes Tuch um den Hals, als
ob er barbirt werden sollte, und überließ ihn dann seinem
Schicksal. Vor den Zelten waren Seiltänzer, arabische
Gaukler, armenische Sänger, griechische Tänzer und walla-
chische Musik. Abends ward ein Feuerwerk abgebrannt,
wie man es auf dem Kreuzberge bei Berlin eben so gut
sieht. Zwei Ballons, die aufsteigen sollten, rissen, ehe sie
gefüllt waren. Als wir zu Hause kamen, setzten wir uns
hin und tranken eine Flasche Wein, wobei wir Mahomed
und seinen Bekennern unser aufrichtiges Mitleiden nicht
versagten.

Vor acht Tagen schrieb ich, daß ich den 10. d. Mts.
zurückreisen würde, heute aber muß ich Dir melden, daß
dies Alles sich wieder geändert hat. Der Großherr befahl
dem Seraskier, mich zu veranlassen, einstweilen noch zu
bleiben. Jch werde mit Halil Pascha (Schwiegersohn
des Sultans und Großmeister der Artillerie) nach Varna
gehen, welcher Ort gegenwärtig befestigt wird. Wir reisen
übermorgen ab, und später werde ich dann die Dardanel-
len wieder besuchen. Was die Ankunft der preußischen
Offiziere betrifft, so ist die Angelegenheit auf die lange
Bank geschoben, und wird vielleicht sobald noch gar nicht

Stuͤck ab und langte mit den Fingern hinein; dann folgte
Helwa, eine ſuͤße Mehlſpeiſe aus Honig, dann wieder Bra-
ten und wieder ein ſuͤßes Gericht, bald warm, bald kalt,
bald ſauer, bald ſuͤß. Jede einzelne Schuͤſſel war vortreff-
lich, die ganze Combination aber fuͤr einen europaͤiſchen
Magen ſchwer begreiflich, und das Alles ohne Wein. Das
Eis wurde in der Mitte der Mahlzeit gegeben; endlich
forderten wir dringend den Pillaw, welcher ſtets den Be-
ſchluß der Mahlzeit macht. Dann wurde noch eine Schuͤſ-
ſel Wuſchaff oder ein Aufguß auf Obſt auf die große runde
Scheibe geſtellt, an der wir aßen, und mit Loͤffeln geleert.

Vor und nach der Mahlzeit waͤſcht man ſich. Es ſah
ſehr poſſirlich aus, die Diplomaten in geſtickten europaͤi-
ſchen Uniformen an einer ſolchen Tafel zu ſehen. Man
band Jedem ein langes, geſticktes Tuch um den Hals, als
ob er barbirt werden ſollte, und uͤberließ ihn dann ſeinem
Schickſal. Vor den Zelten waren Seiltaͤnzer, arabiſche
Gaukler, armeniſche Saͤnger, griechiſche Taͤnzer und walla-
chiſche Muſik. Abends ward ein Feuerwerk abgebrannt,
wie man es auf dem Kreuzberge bei Berlin eben ſo gut
ſieht. Zwei Ballons, die aufſteigen ſollten, riſſen, ehe ſie
gefuͤllt waren. Als wir zu Hauſe kamen, ſetzten wir uns
hin und tranken eine Flaſche Wein, wobei wir Mahomed
und ſeinen Bekennern unſer aufrichtiges Mitleiden nicht
verſagten.

Vor acht Tagen ſchrieb ich, daß ich den 10. d. Mts.
zuruͤckreiſen wuͤrde, heute aber muß ich Dir melden, daß
dies Alles ſich wieder geaͤndert hat. Der Großherr befahl
dem Seraskier, mich zu veranlaſſen, einſtweilen noch zu
bleiben. Jch werde mit Halil Paſcha (Schwiegerſohn
des Sultans und Großmeiſter der Artillerie) nach Varna
gehen, welcher Ort gegenwaͤrtig befeſtigt wird. Wir reiſen
uͤbermorgen ab, und ſpaͤter werde ich dann die Dardanel-
len wieder beſuchen. Was die Ankunft der preußiſchen
Offiziere betrifft, ſo iſt die Angelegenheit auf die lange
Bank geſchoben, und wird vielleicht ſobald noch gar nicht

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[62/0072] Stuͤck ab und langte mit den Fingern hinein; dann folgte Helwa, eine ſuͤße Mehlſpeiſe aus Honig, dann wieder Bra- ten und wieder ein ſuͤßes Gericht, bald warm, bald kalt, bald ſauer, bald ſuͤß. Jede einzelne Schuͤſſel war vortreff- lich, die ganze Combination aber fuͤr einen europaͤiſchen Magen ſchwer begreiflich, und das Alles ohne Wein. Das Eis wurde in der Mitte der Mahlzeit gegeben; endlich forderten wir dringend den Pillaw, welcher ſtets den Be- ſchluß der Mahlzeit macht. Dann wurde noch eine Schuͤſ- ſel Wuſchaff oder ein Aufguß auf Obſt auf die große runde Scheibe geſtellt, an der wir aßen, und mit Loͤffeln geleert. Vor und nach der Mahlzeit waͤſcht man ſich. Es ſah ſehr poſſirlich aus, die Diplomaten in geſtickten europaͤi- ſchen Uniformen an einer ſolchen Tafel zu ſehen. Man band Jedem ein langes, geſticktes Tuch um den Hals, als ob er barbirt werden ſollte, und uͤberließ ihn dann ſeinem Schickſal. Vor den Zelten waren Seiltaͤnzer, arabiſche Gaukler, armeniſche Saͤnger, griechiſche Taͤnzer und walla- chiſche Muſik. Abends ward ein Feuerwerk abgebrannt, wie man es auf dem Kreuzberge bei Berlin eben ſo gut ſieht. Zwei Ballons, die aufſteigen ſollten, riſſen, ehe ſie gefuͤllt waren. Als wir zu Hauſe kamen, ſetzten wir uns hin und tranken eine Flaſche Wein, wobei wir Mahomed und ſeinen Bekennern unſer aufrichtiges Mitleiden nicht verſagten. Vor acht Tagen ſchrieb ich, daß ich den 10. d. Mts. zuruͤckreiſen wuͤrde, heute aber muß ich Dir melden, daß dies Alles ſich wieder geaͤndert hat. Der Großherr befahl dem Seraskier, mich zu veranlaſſen, einſtweilen noch zu bleiben. Jch werde mit Halil Paſcha (Schwiegerſohn des Sultans und Großmeiſter der Artillerie) nach Varna gehen, welcher Ort gegenwaͤrtig befeſtigt wird. Wir reiſen uͤbermorgen ab, und ſpaͤter werde ich dann die Dardanel- len wieder beſuchen. Was die Ankunft der preußiſchen Offiziere betrifft, ſo iſt die Angelegenheit auf die lange Bank geſchoben, und wird vielleicht ſobald noch gar nicht

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/72>, abgerufen am 25.11.2024.