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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Abend glücklich sein, Herr!" -- Chosch bulduck sefa gjel-
din
-- "wohl getroffen, willkommen!" sagte er, räumte
mir sein Zimmer, sein Lager, sein Haus ein, und reichte
mir die Pfeife, welche er selbst rauchte. -- Es fand an
diesem Tage ein Erdbeben statt. Der erste Stoß war
Nachmittags empfunden, ich hatte aber zu Pferde nichts
davon gemerkt, eben so wenig von der zweiten Reprise
Abends, wo ich schon im festen Schlaf lag. Gegen Mor-
gen aber fühlte ich mich auf meinem Lager geschüttelt und
erwachte von dem Klappern aller Fenster und Thüren. Jn
den Dardanellen hatte man die drei Stöße sehr merklich
verspürt.

Am folgenden Morgen, nachdem wir durch ein schö-
nes Thal mit Pappeln, Kastanien und Nußbäumen gerit-
ten, sahen wir das Fundament der alten Stadtmauer von
Alexandra troas vor uns. Es bestand aus 6 -- 10 Fuß
langen, 3, oft 6 Fuß mächtigen Steinblöcken, und erstreckte
sich, soweit das Auge durch das Gebüsch folgen konnte.
Wir ritten wohl tausend Schritt auf diesem Wall entlang
und fanden mächtige Steintrümmer, Granitsäulen, Gewölbe,
die mit sechsseitigen Steinen zierlich bekleidet gewesen, Trüm-
mer von Architraven und schönen Kapitälern auf der Ebene
herumgestreut. Plötzlich standen wir vor einer mächtigen
Ruine aus riesenhaften Quadern aufgethürmt. Die gro-
ßen Bogen des schönen Portals trotzen allen Erdbeben und
Jahrhunderten, und es macht einen eigenen, wehmüthigen
Eindruck, einen solchen Riesenbau in dieser ganz menschen-
leeren Einöde zu finden.

Die Türken nennen den Ort Eski-Stambul, das alte
Konstantinopel. Sie benutzen die Sarkophage zu Wasser-
kufen, ihre Deckel zu Brücken über die Bäche, und die
Säulenschäfte zu Kugeln für ihre Steinkanonen.

Abend gluͤcklich ſein, Herr!“ — Chosch bulduck sefa gjel-
din
— „wohl getroffen, willkommen!“ ſagte er, raͤumte
mir ſein Zimmer, ſein Lager, ſein Haus ein, und reichte
mir die Pfeife, welche er ſelbſt rauchte. — Es fand an
dieſem Tage ein Erdbeben ſtatt. Der erſte Stoß war
Nachmittags empfunden, ich hatte aber zu Pferde nichts
davon gemerkt, eben ſo wenig von der zweiten Repriſe
Abends, wo ich ſchon im feſten Schlaf lag. Gegen Mor-
gen aber fuͤhlte ich mich auf meinem Lager geſchuͤttelt und
erwachte von dem Klappern aller Fenſter und Thuͤren. Jn
den Dardanellen hatte man die drei Stoͤße ſehr merklich
verſpuͤrt.

Am folgenden Morgen, nachdem wir durch ein ſchoͤ-
nes Thal mit Pappeln, Kaſtanien und Nußbaͤumen gerit-
ten, ſahen wir das Fundament der alten Stadtmauer von
Alexandra troas vor uns. Es beſtand aus 6 — 10 Fuß
langen, 3, oft 6 Fuß maͤchtigen Steinbloͤcken, und erſtreckte
ſich, ſoweit das Auge durch das Gebuͤſch folgen konnte.
Wir ritten wohl tauſend Schritt auf dieſem Wall entlang
und fanden maͤchtige Steintruͤmmer, Granitſaͤulen, Gewoͤlbe,
die mit ſechsſeitigen Steinen zierlich bekleidet geweſen, Truͤm-
mer von Architraven und ſchoͤnen Kapitaͤlern auf der Ebene
herumgeſtreut. Ploͤtzlich ſtanden wir vor einer maͤchtigen
Ruine aus rieſenhaften Quadern aufgethuͤrmt. Die gro-
ßen Bogen des ſchoͤnen Portals trotzen allen Erdbeben und
Jahrhunderten, und es macht einen eigenen, wehmuͤthigen
Eindruck, einen ſolchen Rieſenbau in dieſer ganz menſchen-
leeren Einoͤde zu finden.

Die Tuͤrken nennen den Ort Eski-Stambul, das alte
Konſtantinopel. Sie benutzen die Sarkophage zu Waſſer-
kufen, ihre Deckel zu Bruͤcken uͤber die Baͤche, und die
Saͤulenſchaͤfte zu Kugeln fuͤr ihre Steinkanonen.

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[57/0067] Abend gluͤcklich ſein, Herr!“ — Chosch bulduck sefa gjel- din — „wohl getroffen, willkommen!“ ſagte er, raͤumte mir ſein Zimmer, ſein Lager, ſein Haus ein, und reichte mir die Pfeife, welche er ſelbſt rauchte. — Es fand an dieſem Tage ein Erdbeben ſtatt. Der erſte Stoß war Nachmittags empfunden, ich hatte aber zu Pferde nichts davon gemerkt, eben ſo wenig von der zweiten Repriſe Abends, wo ich ſchon im feſten Schlaf lag. Gegen Mor- gen aber fuͤhlte ich mich auf meinem Lager geſchuͤttelt und erwachte von dem Klappern aller Fenſter und Thuͤren. Jn den Dardanellen hatte man die drei Stoͤße ſehr merklich verſpuͤrt. Am folgenden Morgen, nachdem wir durch ein ſchoͤ- nes Thal mit Pappeln, Kaſtanien und Nußbaͤumen gerit- ten, ſahen wir das Fundament der alten Stadtmauer von Alexandra troas vor uns. Es beſtand aus 6 — 10 Fuß langen, 3, oft 6 Fuß maͤchtigen Steinbloͤcken, und erſtreckte ſich, ſoweit das Auge durch das Gebuͤſch folgen konnte. Wir ritten wohl tauſend Schritt auf dieſem Wall entlang und fanden maͤchtige Steintruͤmmer, Granitſaͤulen, Gewoͤlbe, die mit ſechsſeitigen Steinen zierlich bekleidet geweſen, Truͤm- mer von Architraven und ſchoͤnen Kapitaͤlern auf der Ebene herumgeſtreut. Ploͤtzlich ſtanden wir vor einer maͤchtigen Ruine aus rieſenhaften Quadern aufgethuͤrmt. Die gro- ßen Bogen des ſchoͤnen Portals trotzen allen Erdbeben und Jahrhunderten, und es macht einen eigenen, wehmuͤthigen Eindruck, einen ſolchen Rieſenbau in dieſer ganz menſchen- leeren Einoͤde zu finden. Die Tuͤrken nennen den Ort Eski-Stambul, das alte Konſtantinopel. Sie benutzen die Sarkophage zu Waſſer- kufen, ihre Deckel zu Bruͤcken uͤber die Baͤche, und die Saͤulenſchaͤfte zu Kugeln fuͤr ihre Steinkanonen.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/67>, abgerufen am 25.11.2024.