leidlich höflich, der gemeine Mann aber machte keine Hon- neurs mehr, und Frauen und Kinder schimpften gelegent- lich hinter uns her. Der Soldat gehorchte, aber er grüßte nicht, und obwohl bei besondern Gelegenheiten die Wachen in's Gewehr treten mußten, so wagte man doch noch nicht, von oben her den Grundsatz allgemein auszusprechen, daß der türkische Militair einem Gjaur Achtung zu bezeigen habe. Wir waren höchlich ausgezeichnete Jndividuen einer äußerst gering geschätzten Kategorie; Franken aber, welche den Türken ihre Dienste für Bezahlung anbieten, befanden sich natürlich in einer unendlich schlimmeren Lage; die na- türliche Folge ist, daß (mit wenigen höchst achtbaren Aus- nahmen) nur solche Subjecte dort aushalten, welche sich in jede Demüthigung ergeben, und daß Leute sich in der Türkei zu Lehrern aufwerfen, die in ihrer Heimath schlechte Schüler waren. Lange kannten die Türken von den Eu- ropäern nur die Vagabonden, und die üble Meinung, welche sie von den Franken haben, wird täglich nur zu sehr durch die Schwärme von Abenteurern aller Art gerechtfertigt, welche bei allem Mangel an Polizei in Pera und Galata ihr gelobtes Land finden.
Als Rußland seine Regeneration unternahm, befand sich dies Land in einer solchen Jsolirung von Europa, daß die Staaten des Abendlandes fast gar keine Kenntniß nah- men von Maaßregeln, deren Wichtigkeit sie erst in ihren gewaltigen Folgen erkannten. Wie ganz anders ist das im osmanischen Reiche; man möchte sagen, Europa nimmt mehr Antheil an der Reform der Türkei, als die Türkei selbst. Der gemeine Mann wenigstens begreift nicht, warum der Hunkjar sich die Mühe giebt, Gjaur zu werden, und lebt noch immer in der Meinung, daß die Eltschi's oder Gesanden da sind, um vom Padischah eine Krone für ihre Könige zu erbitten. -- "Warum," sagte ein Mollah in der Versammlung zu Biradschik, "sollten nicht heute noch zehn- tausend Osmanly aufsitzen und mit festem Glauben an Al- lah und scharfen Säbeln bis Moskau reiten?" -- "Warum
leidlich hoͤflich, der gemeine Mann aber machte keine Hon- neurs mehr, und Frauen und Kinder ſchimpften gelegent- lich hinter uns her. Der Soldat gehorchte, aber er gruͤßte nicht, und obwohl bei beſondern Gelegenheiten die Wachen in's Gewehr treten mußten, ſo wagte man doch noch nicht, von oben her den Grundſatz allgemein auszuſprechen, daß der tuͤrkiſche Militair einem Gjaur Achtung zu bezeigen habe. Wir waren hoͤchlich ausgezeichnete Jndividuen einer aͤußerſt gering geſchaͤtzten Kategorie; Franken aber, welche den Tuͤrken ihre Dienſte fuͤr Bezahlung anbieten, befanden ſich natuͤrlich in einer unendlich ſchlimmeren Lage; die na- tuͤrliche Folge iſt, daß (mit wenigen hoͤchſt achtbaren Aus- nahmen) nur ſolche Subjecte dort aushalten, welche ſich in jede Demuͤthigung ergeben, und daß Leute ſich in der Tuͤrkei zu Lehrern aufwerfen, die in ihrer Heimath ſchlechte Schuͤler waren. Lange kannten die Tuͤrken von den Eu- ropaͤern nur die Vagabonden, und die uͤble Meinung, welche ſie von den Franken haben, wird taͤglich nur zu ſehr durch die Schwaͤrme von Abenteurern aller Art gerechtfertigt, welche bei allem Mangel an Polizei in Pera und Galata ihr gelobtes Land finden.
Als Rußland ſeine Regeneration unternahm, befand ſich dies Land in einer ſolchen Jſolirung von Europa, daß die Staaten des Abendlandes faſt gar keine Kenntniß nah- men von Maaßregeln, deren Wichtigkeit ſie erſt in ihren gewaltigen Folgen erkannten. Wie ganz anders iſt das im osmaniſchen Reiche; man moͤchte ſagen, Europa nimmt mehr Antheil an der Reform der Tuͤrkei, als die Tuͤrkei ſelbſt. Der gemeine Mann wenigſtens begreift nicht, warum der Hunkjar ſich die Muͤhe giebt, Gjaur zu werden, und lebt noch immer in der Meinung, daß die Eltſchi's oder Geſanden da ſind, um vom Padiſchah eine Krone fuͤr ihre Koͤnige zu erbitten. — „Warum,“ ſagte ein Mollah in der Verſammlung zu Biradſchik, „ſollten nicht heute noch zehn- tauſend Osmanly aufſitzen und mit feſtem Glauben an Al- lah und ſcharfen Saͤbeln bis Moskau reiten?“ — „Warum
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leidlich hoͤflich, der gemeine Mann aber machte keine Hon-
neurs mehr, und Frauen und Kinder ſchimpften gelegent-
lich hinter uns her. Der Soldat gehorchte, aber er gruͤßte
nicht, und obwohl bei beſondern Gelegenheiten die Wachen
in's Gewehr treten mußten, ſo wagte man doch noch nicht,
von oben her den Grundſatz allgemein auszuſprechen, daß
der tuͤrkiſche Militair einem Gjaur Achtung zu bezeigen
habe. Wir waren hoͤchlich ausgezeichnete Jndividuen einer
aͤußerſt gering geſchaͤtzten Kategorie; Franken aber, welche
den Tuͤrken ihre Dienſte fuͤr Bezahlung anbieten, befanden
ſich natuͤrlich in einer unendlich ſchlimmeren Lage; die na-
tuͤrliche Folge iſt, daß (mit wenigen hoͤchſt achtbaren Aus-
nahmen) nur ſolche Subjecte dort aushalten, welche ſich
in jede Demuͤthigung ergeben, und daß Leute ſich in der
Tuͤrkei zu Lehrern aufwerfen, die in ihrer Heimath ſchlechte
Schuͤler waren. Lange kannten die Tuͤrken von den Eu-
ropaͤern nur die Vagabonden, und die uͤble Meinung, welche
ſie von den Franken haben, wird taͤglich nur zu ſehr durch
die Schwaͤrme von Abenteurern aller Art gerechtfertigt,
welche bei allem Mangel an Polizei in Pera und Galata
ihr gelobtes Land finden.
Als Rußland ſeine Regeneration unternahm, befand
ſich dies Land in einer ſolchen Jſolirung von Europa, daß
die Staaten des Abendlandes faſt gar keine Kenntniß nah-
men von Maaßregeln, deren Wichtigkeit ſie erſt in ihren
gewaltigen Folgen erkannten. Wie ganz anders iſt das im
osmaniſchen Reiche; man moͤchte ſagen, Europa nimmt
mehr Antheil an der Reform der Tuͤrkei, als die Tuͤrkei
ſelbſt. Der gemeine Mann wenigſtens begreift nicht, warum
der Hunkjar ſich die Muͤhe giebt, Gjaur zu werden, und
lebt noch immer in der Meinung, daß die Eltſchi's oder
Geſanden da ſind, um vom Padiſchah eine Krone fuͤr ihre
Koͤnige zu erbitten. — „Warum,“ ſagte ein Mollah in der
Verſammlung zu Biradſchik, „ſollten nicht heute noch zehn-
tauſend Osmanly aufſitzen und mit feſtem Glauben an Al-
lah und ſcharfen Saͤbeln bis Moskau reiten?“ — „Warum
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/424>, abgerufen am 25.11.2024.
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