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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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mit Klugheit und Festigkeit gelöset, an dem andern ist er
zu Grunde gegangen.

Zunächst war es die zügellose, muthwillige Gewalt der
Janitscharen, welche gebeugt werden mußte. Dies Unter-
nehmen, bei welchem bereits vier Großherren Thron und
Leben eingebüßt, wurde durch Sultan Mahmud jahrelang
klug und beharrlich vorbereitet, und an einem Tage, in
einer Stunde kühn und glücklich vollendet. Am Mittage
des 14. Juni 1826 hörte man in Pera den Donner der
Kanonen von Konstantinopel herüberschallen, und die näch-
ste Nachricht war schon, daß die türkischen Strelitzen, die
Prätorianer des Jslam, nicht mehr existirten. Gestützt auf
die unter allerlei Namen und Verkappungen gebildeten re-
gulairen Truppen, und ganz besonders auf einen großen
Theil der türkischen Bewohner der Hauptstadt selbst, aus-
gerüstet mit dem heiligen Banner des Propheten und einer
Verdammungs-Fetwa des Scheich-ül-Jslam, trat der Groß-
herr aus dem Seraj hervor; Hussein-Pascha, der Janitscha-
ren-Aga, war das thätigste Werkzeug ihrer Vertilgung.
Aber während man die Kaserne auf dem Atmeidan in der
Front mit Kanonen beschoß, ließ man die Thüren der Rück-
seite zur Flucht offen, und obwohl Ströme von Blut in-
nerhalb der alten Mauern von Rumeli-Hissar und an vie-
len andern Punkten des Reichs flossen, war man froh, die
Kinder Hadschi-Becktasch nicht zu sehen, welche sich ver-
bergen wollten; denn die Janitscharen, welche 199 Orta
oder Bataillone zählten, bildeten den streitbarsten Theil des
osmanischen Volkes selbst. Nur die am höchsten Stehen-
den, die Gefährlichsten und Trotzigsten, wurden mit scho-
nungsloser Strenge geopfert, so die berüchtigte Otuß-bir,
oder 31 ste Orta, welche in den europäischen Dörfern am
Bosphorus hausete, bis auf den letzten Mann vertilgt. --
Die bei weitem größere Menge der Janitscharen blieb im
Lande verborgen, und noch heute siehst Du in allen Pro-
vinzen des Reichs alte kräftige Gestalten, denen das Ab-
zeichen ihrer Orta auf dem rechten Arme mit unverlösch-

mit Klugheit und Feſtigkeit geloͤſet, an dem andern iſt er
zu Grunde gegangen.

Zunaͤchſt war es die zuͤgelloſe, muthwillige Gewalt der
Janitſcharen, welche gebeugt werden mußte. Dies Unter-
nehmen, bei welchem bereits vier Großherren Thron und
Leben eingebuͤßt, wurde durch Sultan Mahmud jahrelang
klug und beharrlich vorbereitet, und an einem Tage, in
einer Stunde kuͤhn und gluͤcklich vollendet. Am Mittage
des 14. Juni 1826 hoͤrte man in Pera den Donner der
Kanonen von Konſtantinopel heruͤberſchallen, und die naͤch-
ſte Nachricht war ſchon, daß die tuͤrkiſchen Strelitzen, die
Praͤtorianer des Jslam, nicht mehr exiſtirten. Geſtuͤtzt auf
die unter allerlei Namen und Verkappungen gebildeten re-
gulairen Truppen, und ganz beſonders auf einen großen
Theil der tuͤrkiſchen Bewohner der Hauptſtadt ſelbſt, aus-
geruͤſtet mit dem heiligen Banner des Propheten und einer
Verdammungs-Fetwa des Scheich-uͤl-Jslam, trat der Groß-
herr aus dem Seraj hervor; Huſſein-Paſcha, der Janitſcha-
ren-Aga, war das thaͤtigſte Werkzeug ihrer Vertilgung.
Aber waͤhrend man die Kaſerne auf dem Atmeidan in der
Front mit Kanonen beſchoß, ließ man die Thuͤren der Ruͤck-
ſeite zur Flucht offen, und obwohl Stroͤme von Blut in-
nerhalb der alten Mauern von Rumeli-Hiſſar und an vie-
len andern Punkten des Reichs floſſen, war man froh, die
Kinder Hadſchi-Becktaſch nicht zu ſehen, welche ſich ver-
bergen wollten; denn die Janitſcharen, welche 199 Orta
oder Bataillone zaͤhlten, bildeten den ſtreitbarſten Theil des
osmaniſchen Volkes ſelbſt. Nur die am hoͤchſten Stehen-
den, die Gefaͤhrlichſten und Trotzigſten, wurden mit ſcho-
nungsloſer Strenge geopfert, ſo die beruͤchtigte Otuß-bir,
oder 31 ſte Orta, welche in den europaͤiſchen Doͤrfern am
Bosphorus hauſete, bis auf den letzten Mann vertilgt. —
Die bei weitem groͤßere Menge der Janitſcharen blieb im
Lande verborgen, und noch heute ſiehſt Du in allen Pro-
vinzen des Reichs alte kraͤftige Geſtalten, denen das Ab-
zeichen ihrer Orta auf dem rechten Arme mit unverloͤſch-

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[411/0421] mit Klugheit und Feſtigkeit geloͤſet, an dem andern iſt er zu Grunde gegangen. Zunaͤchſt war es die zuͤgelloſe, muthwillige Gewalt der Janitſcharen, welche gebeugt werden mußte. Dies Unter- nehmen, bei welchem bereits vier Großherren Thron und Leben eingebuͤßt, wurde durch Sultan Mahmud jahrelang klug und beharrlich vorbereitet, und an einem Tage, in einer Stunde kuͤhn und gluͤcklich vollendet. Am Mittage des 14. Juni 1826 hoͤrte man in Pera den Donner der Kanonen von Konſtantinopel heruͤberſchallen, und die naͤch- ſte Nachricht war ſchon, daß die tuͤrkiſchen Strelitzen, die Praͤtorianer des Jslam, nicht mehr exiſtirten. Geſtuͤtzt auf die unter allerlei Namen und Verkappungen gebildeten re- gulairen Truppen, und ganz beſonders auf einen großen Theil der tuͤrkiſchen Bewohner der Hauptſtadt ſelbſt, aus- geruͤſtet mit dem heiligen Banner des Propheten und einer Verdammungs-Fetwa des Scheich-uͤl-Jslam, trat der Groß- herr aus dem Seraj hervor; Huſſein-Paſcha, der Janitſcha- ren-Aga, war das thaͤtigſte Werkzeug ihrer Vertilgung. Aber waͤhrend man die Kaſerne auf dem Atmeidan in der Front mit Kanonen beſchoß, ließ man die Thuͤren der Ruͤck- ſeite zur Flucht offen, und obwohl Stroͤme von Blut in- nerhalb der alten Mauern von Rumeli-Hiſſar und an vie- len andern Punkten des Reichs floſſen, war man froh, die Kinder Hadſchi-Becktaſch nicht zu ſehen, welche ſich ver- bergen wollten; denn die Janitſcharen, welche 199 Orta oder Bataillone zaͤhlten, bildeten den ſtreitbarſten Theil des osmaniſchen Volkes ſelbſt. Nur die am hoͤchſten Stehen- den, die Gefaͤhrlichſten und Trotzigſten, wurden mit ſcho- nungsloſer Strenge geopfert, ſo die beruͤchtigte Otuß-bir, oder 31 ſte Orta, welche in den europaͤiſchen Doͤrfern am Bosphorus hauſete, bis auf den letzten Mann vertilgt. — Die bei weitem groͤßere Menge der Janitſcharen blieb im Lande verborgen, und noch heute ſiehſt Du in allen Pro- vinzen des Reichs alte kraͤftige Geſtalten, denen das Ab- zeichen ihrer Orta auf dem rechten Arme mit unverloͤſch-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/421>, abgerufen am 25.11.2024.