die Mutter Sultan Mahmuds sei eine Europäerin (natür- lich eine Französin) gewesen: diese Behauptung möchte sehr schwer zu erweisen sein; so viel ist gewiß, daß der Groß- herr nicht eine Sylbe Englisch, Französisch oder Deutsch verstand; er konnte daher auch die Kenntniß der Weltver- hältnisse aus Büchern nicht schöpfen, und seine wissenschaft- liche Bildung beschränkte sich auf den Koran und auf die Kenntniß der arabischen und persischen Sprache, so weit beide nöthig sind, um türkisch zu schreiben. Der osmani- sche Prinz verkehrte nur mit den wenigen Personen, wel- chen die Eifersucht des Despotismus Zutritt gestattete, und diese waren Weiber, Verschnittene oder Mollahs.
So war Mahmud 23 Jahre alt geworden, als eine Empörung ihn in die Welt hinaus rief, welche er bisher nur durch die vergoldeten Gitter des Serajs erblickt hatte. Als man ihn in dem weißen Kiosk über dem Eingangs- thore an der Gartenseite des Serajs unter einem Haufen Binsenmatten hervorzog, glaubte er, es geschehe, um ihn auf das Geheiß seines Bruders zu erdrosseln; statt dessen umgürtete man ihn mit dem Säbel Ejubs, und machte ihn zum unumschränkten Beherrscher eines weiten Reichs, von dem er eben nur die Lustgärten am Bosphorus kannte.
Was der neue Großherr überhaupt von den innern und äußern Angelegenheiten seines Landes wußte, das ver- dankte er unstreitig seinem unglücklichen Oheim, dem ent- thronten Sultan Selim, zu dessen Gunsten eben die Em- pörung eingeleitet war, welche ihm das Leben kostete, und Mahmud zum Padischah erhob. Von Selim hatte dieser unstreitig die Anerkennung europäischer Ueberlegenheit, die Liebe zur Reform, den Haß gegen die Janitscharen geerbt.
Sultan Mahmud erkaufte den Thron durch Unterhand- lung mit Empörern, denen er alle Forderungen bewilligen mußte, und durch das Todesurtheil seines Bruders. Die Familienbande sind im Orient lockerer als bei uns, und zerreißen auf dem Throne leichter, als in der Hütte; Mu- stapha war für Sultan Mahmud nur der Sohn seines
die Mutter Sultan Mahmuds ſei eine Europaͤerin (natuͤr- lich eine Franzoͤſin) geweſen: dieſe Behauptung moͤchte ſehr ſchwer zu erweiſen ſein; ſo viel iſt gewiß, daß der Groß- herr nicht eine Sylbe Engliſch, Franzoͤſiſch oder Deutſch verſtand; er konnte daher auch die Kenntniß der Weltver- haͤltniſſe aus Buͤchern nicht ſchoͤpfen, und ſeine wiſſenſchaft- liche Bildung beſchraͤnkte ſich auf den Koran und auf die Kenntniß der arabiſchen und perſiſchen Sprache, ſo weit beide noͤthig ſind, um tuͤrkiſch zu ſchreiben. Der osmani- ſche Prinz verkehrte nur mit den wenigen Perſonen, wel- chen die Eiferſucht des Despotismus Zutritt geſtattete, und dieſe waren Weiber, Verſchnittene oder Mollahs.
So war Mahmud 23 Jahre alt geworden, als eine Empoͤrung ihn in die Welt hinaus rief, welche er bisher nur durch die vergoldeten Gitter des Serajs erblickt hatte. Als man ihn in dem weißen Kiosk uͤber dem Eingangs- thore an der Gartenſeite des Serajs unter einem Haufen Binſenmatten hervorzog, glaubte er, es geſchehe, um ihn auf das Geheiß ſeines Bruders zu erdroſſeln; ſtatt deſſen umguͤrtete man ihn mit dem Saͤbel Ejubs, und machte ihn zum unumſchraͤnkten Beherrſcher eines weiten Reichs, von dem er eben nur die Luſtgaͤrten am Bosphorus kannte.
Was der neue Großherr uͤberhaupt von den innern und aͤußern Angelegenheiten ſeines Landes wußte, das ver- dankte er unſtreitig ſeinem ungluͤcklichen Oheim, dem ent- thronten Sultan Selim, zu deſſen Gunſten eben die Em- poͤrung eingeleitet war, welche ihm das Leben koſtete, und Mahmud zum Padiſchah erhob. Von Selim hatte dieſer unſtreitig die Anerkennung europaͤiſcher Ueberlegenheit, die Liebe zur Reform, den Haß gegen die Janitſcharen geerbt.
Sultan Mahmud erkaufte den Thron durch Unterhand- lung mit Empoͤrern, denen er alle Forderungen bewilligen mußte, und durch das Todesurtheil ſeines Bruders. Die Familienbande ſind im Orient lockerer als bei uns, und zerreißen auf dem Throne leichter, als in der Huͤtte; Mu- ſtapha war fuͤr Sultan Mahmud nur der Sohn ſeines
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die Mutter Sultan Mahmuds ſei eine Europaͤerin (natuͤr-
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ſchwer zu erweiſen ſein; ſo viel iſt gewiß, daß der Groß-
herr nicht eine Sylbe Engliſch, Franzoͤſiſch oder Deutſch
verſtand; er konnte daher auch die Kenntniß der Weltver-
haͤltniſſe aus Buͤchern nicht ſchoͤpfen, und ſeine wiſſenſchaft-
liche Bildung beſchraͤnkte ſich auf den Koran und auf die
Kenntniß der arabiſchen und perſiſchen Sprache, ſo weit
beide noͤthig ſind, um tuͤrkiſch zu ſchreiben. Der osmani-
ſche Prinz verkehrte nur mit den wenigen Perſonen, wel-
chen die Eiferſucht des Despotismus Zutritt geſtattete, und
dieſe waren Weiber, Verſchnittene oder Mollahs.
So war Mahmud 23 Jahre alt geworden, als eine
Empoͤrung ihn in die Welt hinaus rief, welche er bisher
nur durch die vergoldeten Gitter des Serajs erblickt hatte.
Als man ihn in dem weißen Kiosk uͤber dem Eingangs-
thore an der Gartenſeite des Serajs unter einem Haufen
Binſenmatten hervorzog, glaubte er, es geſchehe, um ihn
auf das Geheiß ſeines Bruders zu erdroſſeln; ſtatt deſſen
umguͤrtete man ihn mit dem Saͤbel Ejubs, und machte
ihn zum unumſchraͤnkten Beherrſcher eines weiten Reichs,
von dem er eben nur die Luſtgaͤrten am Bosphorus kannte.
Was der neue Großherr uͤberhaupt von den innern
und aͤußern Angelegenheiten ſeines Landes wußte, das ver-
dankte er unſtreitig ſeinem ungluͤcklichen Oheim, dem ent-
thronten Sultan Selim, zu deſſen Gunſten eben die Em-
poͤrung eingeleitet war, welche ihm das Leben koſtete, und
Mahmud zum Padiſchah erhob. Von Selim hatte dieſer
unſtreitig die Anerkennung europaͤiſcher Ueberlegenheit, die
Liebe zur Reform, den Haß gegen die Janitſcharen geerbt.
Sultan Mahmud erkaufte den Thron durch Unterhand-
lung mit Empoͤrern, denen er alle Forderungen bewilligen
mußte, und durch das Todesurtheil ſeines Bruders. Die
Familienbande ſind im Orient lockerer als bei uns, und
zerreißen auf dem Throne leichter, als in der Huͤtte; Mu-
ſtapha war fuͤr Sultan Mahmud nur der Sohn ſeines
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/419>, abgerufen am 24.11.2024.
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