von Samsun abgehenden Dampfboote uns einzuschiffen. Jch begleitete meinen Pascha nach Sivas, und es kam nun dar- auf an, jenen Hafen noch frühzeitig genug zu erreichen, was nur durch einen Gewaltritt geschehen konnte. L. und ich beschlossen, den Versuch zu wagen, V. war zwei Tage früher abgereiset; wir nahmen einen Tataren, dem wir die Bedingung stellten, daß, wenn wir vor Abgang des Schiffs ankämen, er einen Beutel oder 50 Gulden als Belohnung, wenn wir aber nur eine Minute später einträfen, er gar nichts bekommen solle. Der Mann überlegte sich die Sa- che, denn vor uns her zogen eine Menge türkischer Bey's und Aga's, welche wahrscheinlich alle Postpferde schon in Beschlag genommen, dann sagte er: eyi söiledin! -- Du hast gut gesprochen; -- bakalum, -- wir wollen es ver- suchen; bei meinem Kopf, wir werden ankommen, -- basch üstüne! Nach einer Stunde saßen wir im Sattel und jagten über die Hochebene auf den Jildis-Dagh oder "Sternberg" zu. Am folgenden Morgen stiegen wir die steilen Waldschluchten nach Tokat hinab und erreichten spät Abends Turhall; dort waren nun aber keine Pferde mehr zu beschaffen, erst am folgenden Morgen kamen einige aus Amasia zurück; wir nahmen sie sogleich in Beschlag, aber die Thiere waren so ermüdet, daß wir fürchten mußten, liegen zu bleiben, ehe wir den zwölf Stunden weiten Ritt vollendet haben würden; demnach entschlossen wir uns zu einem Umweg über Sileh, dem alten Zehlah, wo wir Pferde zu finden hofften. Die Stadt hat eine schöne Lage in einer fruchtbaren Ebene am Fuße des Gebirges; ein hoher künst- licher Berg trägt die alte Citadelle und Mauern mit Thür- men umschließen den Ort; dieser ist indeß fast zu Grunde gerichtet durch die Bedrückungen Hassan-Bey's, welcher sich dafür ein prachtvolles Konak zu Sivas erbaut hat. Obwohl die Einwohner drohten, sich gegen die Pforte zu erheben, fanden wir gute Aufnahme und treffliche Pferde; es fing schon an dunkel zu werden, als wir in das tiefe schöne Thal des Tokat-suj hinab stiegen, und erst um Mit-
von Samſun abgehenden Dampfboote uns einzuſchiffen. Jch begleitete meinen Paſcha nach Sivas, und es kam nun dar- auf an, jenen Hafen noch fruͤhzeitig genug zu erreichen, was nur durch einen Gewaltritt geſchehen konnte. L. und ich beſchloſſen, den Verſuch zu wagen, V. war zwei Tage fruͤher abgereiſet; wir nahmen einen Tataren, dem wir die Bedingung ſtellten, daß, wenn wir vor Abgang des Schiffs ankaͤmen, er einen Beutel oder 50 Gulden als Belohnung, wenn wir aber nur eine Minute ſpaͤter eintraͤfen, er gar nichts bekommen ſolle. Der Mann uͤberlegte ſich die Sa- che, denn vor uns her zogen eine Menge tuͤrkiſcher Bey's und Aga's, welche wahrſcheinlich alle Poſtpferde ſchon in Beſchlag genommen, dann ſagte er: eyi söiledin! — Du haſt gut geſprochen; — bakalum, — wir wollen es ver- ſuchen; bei meinem Kopf, wir werden ankommen, — basch üstüne! Nach einer Stunde ſaßen wir im Sattel und jagten uͤber die Hochebene auf den Jildis-Dagh oder „Sternberg“ zu. Am folgenden Morgen ſtiegen wir die ſteilen Waldſchluchten nach Tokat hinab und erreichten ſpaͤt Abends Turhall; dort waren nun aber keine Pferde mehr zu beſchaffen, erſt am folgenden Morgen kamen einige aus Amaſia zuruͤck; wir nahmen ſie ſogleich in Beſchlag, aber die Thiere waren ſo ermuͤdet, daß wir fuͤrchten mußten, liegen zu bleiben, ehe wir den zwoͤlf Stunden weiten Ritt vollendet haben wuͤrden; demnach entſchloſſen wir uns zu einem Umweg uͤber Sileh, dem alten Zehlah, wo wir Pferde zu finden hofften. Die Stadt hat eine ſchoͤne Lage in einer fruchtbaren Ebene am Fuße des Gebirges; ein hoher kuͤnſt- licher Berg traͤgt die alte Citadelle und Mauern mit Thuͤr- men umſchließen den Ort; dieſer iſt indeß faſt zu Grunde gerichtet durch die Bedruͤckungen Haſſan-Bey's, welcher ſich dafuͤr ein prachtvolles Konak zu Sivas erbaut hat. Obwohl die Einwohner drohten, ſich gegen die Pforte zu erheben, fanden wir gute Aufnahme und treffliche Pferde; es fing ſchon an dunkel zu werden, als wir in das tiefe ſchoͤne Thal des Tokat-ſuj hinab ſtiegen, und erſt um Mit-
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von Samſun abgehenden Dampfboote uns einzuſchiffen. Jch
begleitete meinen Paſcha nach Sivas, und es kam nun dar-
auf an, jenen Hafen noch fruͤhzeitig genug zu erreichen,
was nur durch einen Gewaltritt geſchehen konnte. L. und
ich beſchloſſen, den Verſuch zu wagen, V. war zwei Tage
fruͤher abgereiſet; wir nahmen einen Tataren, dem wir die
Bedingung ſtellten, daß, wenn wir vor Abgang des Schiffs
ankaͤmen, er einen Beutel oder 50 Gulden als Belohnung,
wenn wir aber nur eine Minute ſpaͤter eintraͤfen, er gar
nichts bekommen ſolle. Der Mann uͤberlegte ſich die Sa-
che, denn vor uns her zogen eine Menge tuͤrkiſcher Bey's
und Aga's, welche wahrſcheinlich alle Poſtpferde ſchon in
Beſchlag genommen, dann ſagte er: eyi söiledin! — Du
haſt gut geſprochen; — bakalum, — wir wollen es ver-
ſuchen; bei meinem Kopf, wir werden ankommen, — basch
üstüne! Nach einer Stunde ſaßen wir im Sattel und
jagten uͤber die Hochebene auf den Jildis-Dagh oder
„Sternberg“ zu. Am folgenden Morgen ſtiegen wir die
ſteilen Waldſchluchten nach Tokat hinab und erreichten ſpaͤt
Abends Turhall; dort waren nun aber keine Pferde mehr
zu beſchaffen, erſt am folgenden Morgen kamen einige aus
Amaſia zuruͤck; wir nahmen ſie ſogleich in Beſchlag, aber
die Thiere waren ſo ermuͤdet, daß wir fuͤrchten mußten,
liegen zu bleiben, ehe wir den zwoͤlf Stunden weiten Ritt
vollendet haben wuͤrden; demnach entſchloſſen wir uns zu
einem Umweg uͤber Sileh, dem alten Zehlah, wo wir Pferde
zu finden hofften. Die Stadt hat eine ſchoͤne Lage in einer
fruchtbaren Ebene am Fuße des Gebirges; ein hoher kuͤnſt-
licher Berg traͤgt die alte Citadelle und Mauern mit Thuͤr-
men umſchließen den Ort; dieſer iſt indeß faſt zu Grunde
gerichtet durch die Bedruͤckungen Haſſan-Bey's, welcher
ſich dafuͤr ein prachtvolles Konak zu Sivas erbaut hat.
Obwohl die Einwohner drohten, ſich gegen die Pforte zu
erheben, fanden wir gute Aufnahme und treffliche Pferde;
es fing ſchon an dunkel zu werden, als wir in das tiefe
ſchoͤne Thal des Tokat-ſuj hinab ſtiegen, und erſt um Mit-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/412>, abgerufen am 24.11.2024.
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