Da ich so glücklich gewesen war, mit meinen zwei Ca- meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zusammen zu treffen, so beschlossen wir, uns an einander zu halten. Uns kam es besonders darauf an, einen Vorsprung vor den Flüchtlingen zu gewinnen, denn sobald der Rückzug an- gefangen, waren alle Bande der Disciplin gelöset. Die Kurden, und diese bildeten die größere Hälfte unsers Corps, waren unsere Feinde; sie schossen auf ihre eigenen Offiziere und Cameraden, sperrten die Gebirgswege und machten mehrere Angriffe auf Hafiß-Pascha persönlich. Andere Flüchtlinge warfen die Gewehre weg, streiften die lästige Uniform ab und wanderten fröhlich und singend ihren Dör- fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun- den weit; dort aber ergriffen noch in derselben Nacht sämmt- liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims Rache; wir mußten daher auch diese Nacht noch mit un- sern müden Pferden aufbrechen, marschirten den ganzen folgenden Tag ohne Lebensmittel für uns und ohne Gerste für die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier Stunden von Marasch ein, wo sich wenigstens Wasser und Gras vorfand.
Jch selbst war bis zur gänzlichen Kraftlosigkeit er- schöpft, als wir am 26. Morgens in Marasch eintrafen, wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in der Nacht vor der Schlacht, dann während derselben und zwei Tage und eine Nacht nach derselben geritten, ohne daß das Thier etwas Anderes als dürres Gras zu fressen bekam.
Jn Marasch sammelten sich allmählig viele Flüchtlinge. Bemerkenswerth schienen mir die Aeußerungen der Offi- ziere, welche die frühern Schlachten von Homs, Beylan und Koniah mitgemacht, wo die Türken ihren Gegner an Zahl weit überlegen gewesen waren; sie behaupteten, daß die von Nisib weit blutiger und der Widerstand besser und kräf- tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten gewesen sei!! Der Rückzug aber kostete fünf Sechstel des ganzen Corps,
Da ich ſo gluͤcklich geweſen war, mit meinen zwei Ca- meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zuſammen zu treffen, ſo beſchloſſen wir, uns an einander zu halten. Uns kam es beſonders darauf an, einen Vorſprung vor den Fluͤchtlingen zu gewinnen, denn ſobald der Ruͤckzug an- gefangen, waren alle Bande der Disciplin geloͤſet. Die Kurden, und dieſe bildeten die groͤßere Haͤlfte unſers Corps, waren unſere Feinde; ſie ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere und Cameraden, ſperrten die Gebirgswege und machten mehrere Angriffe auf Hafiß-Paſcha perſoͤnlich. Andere Fluͤchtlinge warfen die Gewehre weg, ſtreiften die laͤſtige Uniform ab und wanderten froͤhlich und ſingend ihren Doͤr- fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun- den weit; dort aber ergriffen noch in derſelben Nacht ſaͤmmt- liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims Rache; wir mußten daher auch dieſe Nacht noch mit un- ſern muͤden Pferden aufbrechen, marſchirten den ganzen folgenden Tag ohne Lebensmittel fuͤr uns und ohne Gerſte fuͤr die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier Stunden von Maraſch ein, wo ſich wenigſtens Waſſer und Gras vorfand.
Jch ſelbſt war bis zur gaͤnzlichen Kraftloſigkeit er- ſchoͤpft, als wir am 26. Morgens in Maraſch eintrafen, wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in der Nacht vor der Schlacht, dann waͤhrend derſelben und zwei Tage und eine Nacht nach derſelben geritten, ohne daß das Thier etwas Anderes als duͤrres Gras zu freſſen bekam.
Jn Maraſch ſammelten ſich allmaͤhlig viele Fluͤchtlinge. Bemerkenswerth ſchienen mir die Aeußerungen der Offi- ziere, welche die fruͤhern Schlachten von Homs, Beylan und Koniah mitgemacht, wo die Tuͤrken ihren Gegner an Zahl weit uͤberlegen geweſen waren; ſie behaupteten, daß die von Niſib weit blutiger und der Widerſtand beſſer und kraͤf- tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten geweſen ſei!! Der Ruͤckzug aber koſtete fuͤnf Sechstel des ganzen Corps,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0407"n="397"/><p>Da ich ſo gluͤcklich geweſen war, mit meinen zwei Ca-<lb/>
meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zuſammen<lb/>
zu treffen, ſo beſchloſſen wir, uns an einander zu halten.<lb/>
Uns kam es beſonders darauf an, einen Vorſprung vor<lb/>
den Fluͤchtlingen zu gewinnen, denn ſobald der Ruͤckzug an-<lb/>
gefangen, waren alle Bande der Disciplin geloͤſet. Die<lb/>
Kurden, und dieſe bildeten die groͤßere Haͤlfte unſers Corps,<lb/>
waren unſere Feinde; ſie ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere<lb/>
und Cameraden, ſperrten die Gebirgswege und machten<lb/>
mehrere Angriffe auf <hirendition="#g">Hafiß-Paſcha</hi> perſoͤnlich. Andere<lb/>
Fluͤchtlinge warfen die Gewehre weg, ſtreiften die laͤſtige<lb/>
Uniform ab und wanderten froͤhlich und ſingend ihren Doͤr-<lb/>
fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun-<lb/>
den weit; dort aber ergriffen noch in derſelben Nacht ſaͤmmt-<lb/>
liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor <hirendition="#g">Jbrahims</hi><lb/>
Rache; wir mußten daher auch dieſe Nacht noch mit un-<lb/>ſern muͤden Pferden aufbrechen, marſchirten den ganzen<lb/>
folgenden Tag ohne Lebensmittel fuͤr uns und ohne Gerſte<lb/>
fuͤr die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier<lb/>
Stunden von Maraſch ein, wo ſich wenigſtens Waſſer und<lb/>
Gras vorfand.</p><lb/><p>Jch ſelbſt war bis zur gaͤnzlichen Kraftloſigkeit er-<lb/>ſchoͤpft, als wir am 26. Morgens in Maraſch eintrafen,<lb/>
wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in<lb/>
der Nacht <hirendition="#g">vor</hi> der Schlacht, dann <hirendition="#g">waͤhrend</hi> derſelben<lb/>
und zwei Tage und eine Nacht <hirendition="#g">nach</hi> derſelben geritten, ohne<lb/>
daß das Thier etwas Anderes als duͤrres Gras zu freſſen<lb/>
bekam.</p><lb/><p>Jn Maraſch ſammelten ſich allmaͤhlig viele Fluͤchtlinge.<lb/>
Bemerkenswerth ſchienen mir die Aeußerungen der Offi-<lb/>
ziere, welche die fruͤhern Schlachten von Homs, Beylan<lb/>
und Koniah mitgemacht, wo die Tuͤrken ihren Gegner an<lb/>
Zahl weit uͤberlegen geweſen waren; ſie behaupteten, daß die<lb/>
von Niſib weit blutiger und der Widerſtand beſſer und kraͤf-<lb/>
tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten geweſen ſei!!<lb/>
Der Ruͤckzug aber koſtete fuͤnf Sechstel des ganzen Corps,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[397/0407]
Da ich ſo gluͤcklich geweſen war, mit meinen zwei Ca-
meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zuſammen
zu treffen, ſo beſchloſſen wir, uns an einander zu halten.
Uns kam es beſonders darauf an, einen Vorſprung vor
den Fluͤchtlingen zu gewinnen, denn ſobald der Ruͤckzug an-
gefangen, waren alle Bande der Disciplin geloͤſet. Die
Kurden, und dieſe bildeten die groͤßere Haͤlfte unſers Corps,
waren unſere Feinde; ſie ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere
und Cameraden, ſperrten die Gebirgswege und machten
mehrere Angriffe auf Hafiß-Paſcha perſoͤnlich. Andere
Fluͤchtlinge warfen die Gewehre weg, ſtreiften die laͤſtige
Uniform ab und wanderten froͤhlich und ſingend ihren Doͤr-
fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun-
den weit; dort aber ergriffen noch in derſelben Nacht ſaͤmmt-
liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims
Rache; wir mußten daher auch dieſe Nacht noch mit un-
ſern muͤden Pferden aufbrechen, marſchirten den ganzen
folgenden Tag ohne Lebensmittel fuͤr uns und ohne Gerſte
fuͤr die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier
Stunden von Maraſch ein, wo ſich wenigſtens Waſſer und
Gras vorfand.
Jch ſelbſt war bis zur gaͤnzlichen Kraftloſigkeit er-
ſchoͤpft, als wir am 26. Morgens in Maraſch eintrafen,
wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in
der Nacht vor der Schlacht, dann waͤhrend derſelben
und zwei Tage und eine Nacht nach derſelben geritten, ohne
daß das Thier etwas Anderes als duͤrres Gras zu freſſen
bekam.
Jn Maraſch ſammelten ſich allmaͤhlig viele Fluͤchtlinge.
Bemerkenswerth ſchienen mir die Aeußerungen der Offi-
ziere, welche die fruͤhern Schlachten von Homs, Beylan
und Koniah mitgemacht, wo die Tuͤrken ihren Gegner an
Zahl weit uͤberlegen geweſen waren; ſie behaupteten, daß die
von Niſib weit blutiger und der Widerſtand beſſer und kraͤf-
tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten geweſen ſei!!
Der Ruͤckzug aber koſtete fuͤnf Sechstel des ganzen Corps,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/407>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.