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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ab, und sein allgewaltiger Einfluß macht sich geltend in
Dingen, die ganz außer dem Bereich eines Generalissimus
zu liegen scheinen. Aber in der Türkei entscheidet weniger
der Name des Postens, als der Mann, der diesen aus-
füllt, und so verhält es sich im kleinen Maaßstabe mit al-
len Pascha's des Reichs.

Mehmet Chosref soll unermeßliche Summen in baa-
rem Gelde gesammelt haben; dabei ist er der nüchternste,
mäßigste Mann von der Welt. Er trinkt Champagner mit
irgend einem durchreisenden Franken von Bedeutung, um
zu zeigen, wie gänzlich er die alttürkischen Vorurtheile ab-
gestreift, wohl wissend, daß dies einen Zeitungsartikel ab-
giebt; aber ein Trunk Wasser aus den berühmten Quellen
von Chamlidje ist ihm weit lieber. Seine Mahlzeit besteht aus
vielen Schüsseln, aber er berührt nur eine oder zwei davon.

Mir kommt es manchmal vor, als ob der Seraskier
Mehmet Chosref die Reform in seinem geheimsten Jn-
nern mit der tiefsten Jronie behandle; aber sie ist ihm das
Mittel zur Macht, und Macht ist die einzige wahre, unge-
bändigte Leidenschaft dieses Greises. Wer ihm in dieser
Beziehung entgegen tritt, sei auf seiner Hut. Jemand,
der eine hohe Stellung bekleidet, ohne sie durch ihn erlangt
zu haben, gilt ihm schon für einen Feind. Zu diesen Fein-
den gehört Mustapha Pascha, ein großer Liebling des
Sultans. Mehmet Chosref versorgt Letzteren mit
Schwiegersöhnen und bestreitet dafür die unermeßlichen Ko-
sten der Heirath und Ausstattung. Die älteste Tochter war
dem Mustapha bestimmt; aber der Seraskier substituirte
seinen Sklaven Halil. Mustapha wurde aus dem Ma-
bein, d. h. vom Hofe, entfernt, und mit dem großen Pa-
schalik von Adrianopel belehnt, was er als eine Art Ver-
bannung ins Elend ansieht. Jetzt soll die zweite Tochter
verheirathet werden; man spricht von Achmet Pascha,
der gegenwäotig die Garden befehligt; aber der Seraskier
hat eine andere, ihm wohlgefälligere Person in seinem Die-
ner Sayd Mehmet, bereit.

ab, und ſein allgewaltiger Einfluß macht ſich geltend in
Dingen, die ganz außer dem Bereich eines Generaliſſimus
zu liegen ſcheinen. Aber in der Tuͤrkei entſcheidet weniger
der Name des Poſtens, als der Mann, der dieſen aus-
fuͤllt, und ſo verhaͤlt es ſich im kleinen Maaßſtabe mit al-
len Paſcha's des Reichs.

Mehmet Chosref ſoll unermeßliche Summen in baa-
rem Gelde geſammelt haben; dabei iſt er der nuͤchternſte,
maͤßigſte Mann von der Welt. Er trinkt Champagner mit
irgend einem durchreiſenden Franken von Bedeutung, um
zu zeigen, wie gaͤnzlich er die alttuͤrkiſchen Vorurtheile ab-
geſtreift, wohl wiſſend, daß dies einen Zeitungsartikel ab-
giebt; aber ein Trunk Waſſer aus den beruͤhmten Quellen
von Chamlidje iſt ihm weit lieber. Seine Mahlzeit beſteht aus
vielen Schuͤſſeln, aber er beruͤhrt nur eine oder zwei davon.

Mir kommt es manchmal vor, als ob der Seraskier
Mehmet Chosref die Reform in ſeinem geheimſten Jn-
nern mit der tiefſten Jronie behandle; aber ſie iſt ihm das
Mittel zur Macht, und Macht iſt die einzige wahre, unge-
baͤndigte Leidenſchaft dieſes Greiſes. Wer ihm in dieſer
Beziehung entgegen tritt, ſei auf ſeiner Hut. Jemand,
der eine hohe Stellung bekleidet, ohne ſie durch ihn erlangt
zu haben, gilt ihm ſchon fuͤr einen Feind. Zu dieſen Fein-
den gehoͤrt Muſtapha Paſcha, ein großer Liebling des
Sultans. Mehmet Chosref verſorgt Letzteren mit
Schwiegerſoͤhnen und beſtreitet dafuͤr die unermeßlichen Ko-
ſten der Heirath und Ausſtattung. Die aͤlteſte Tochter war
dem Muſtapha beſtimmt; aber der Seraskier ſubſtituirte
ſeinen Sklaven Halil. Muſtapha wurde aus dem Ma-
beïn, d. h. vom Hofe, entfernt, und mit dem großen Pa-
ſchalik von Adrianopel belehnt, was er als eine Art Ver-
bannung ins Elend anſieht. Jetzt ſoll die zweite Tochter
verheirathet werden; man ſpricht von Achmet Paſcha,
der gegenwaͤotig die Garden befehligt; aber der Seraskier
hat eine andere, ihm wohlgefaͤlligere Perſon in ſeinem Die-
ner Sayd Mehmet, bereit.

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[30/0040] ab, und ſein allgewaltiger Einfluß macht ſich geltend in Dingen, die ganz außer dem Bereich eines Generaliſſimus zu liegen ſcheinen. Aber in der Tuͤrkei entſcheidet weniger der Name des Poſtens, als der Mann, der dieſen aus- fuͤllt, und ſo verhaͤlt es ſich im kleinen Maaßſtabe mit al- len Paſcha's des Reichs. Mehmet Chosref ſoll unermeßliche Summen in baa- rem Gelde geſammelt haben; dabei iſt er der nuͤchternſte, maͤßigſte Mann von der Welt. Er trinkt Champagner mit irgend einem durchreiſenden Franken von Bedeutung, um zu zeigen, wie gaͤnzlich er die alttuͤrkiſchen Vorurtheile ab- geſtreift, wohl wiſſend, daß dies einen Zeitungsartikel ab- giebt; aber ein Trunk Waſſer aus den beruͤhmten Quellen von Chamlidje iſt ihm weit lieber. Seine Mahlzeit beſteht aus vielen Schuͤſſeln, aber er beruͤhrt nur eine oder zwei davon. Mir kommt es manchmal vor, als ob der Seraskier Mehmet Chosref die Reform in ſeinem geheimſten Jn- nern mit der tiefſten Jronie behandle; aber ſie iſt ihm das Mittel zur Macht, und Macht iſt die einzige wahre, unge- baͤndigte Leidenſchaft dieſes Greiſes. Wer ihm in dieſer Beziehung entgegen tritt, ſei auf ſeiner Hut. Jemand, der eine hohe Stellung bekleidet, ohne ſie durch ihn erlangt zu haben, gilt ihm ſchon fuͤr einen Feind. Zu dieſen Fein- den gehoͤrt Muſtapha Paſcha, ein großer Liebling des Sultans. Mehmet Chosref verſorgt Letzteren mit Schwiegerſoͤhnen und beſtreitet dafuͤr die unermeßlichen Ko- ſten der Heirath und Ausſtattung. Die aͤlteſte Tochter war dem Muſtapha beſtimmt; aber der Seraskier ſubſtituirte ſeinen Sklaven Halil. Muſtapha wurde aus dem Ma- beïn, d. h. vom Hofe, entfernt, und mit dem großen Pa- ſchalik von Adrianopel belehnt, was er als eine Art Ver- bannung ins Elend anſieht. Jetzt ſoll die zweite Tochter verheirathet werden; man ſpricht von Achmet Paſcha, der gegenwaͤotig die Garden befehligt; aber der Seraskier hat eine andere, ihm wohlgefaͤlligere Perſon in ſeinem Die- ner Sayd Mehmet, bereit.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/40>, abgerufen am 27.11.2024.