Sold war rückständig. Die Verpflegung war sehr schwie- rig, und die Bevölkerung von ganz Syrien, namentlich die der großen Städte, erwartete nur ein Signal zum Auf- stande.
Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs war auf der Seite der Pforte, aller Vortheil aber wurde aufgehoben durch einen Cardinal-Fehler: in Syrien befehligte ein Mann, um des- sen Existenz es sich handelte; in Asien vier unabhängige Feldherren, jeder mit besondern Jnteressen und einer eifer- süchtig auf den andern. So kam es, daß wir schon in Scharmützel verwickelt waren mit dem Gegner, als das Corps Jsset-Pascha's noch in Kaisarieh, 150 Stunden rückwärts stand, und das Hadschi-Aly-Pascha's zu Ko- nieh sich in einer solchen Passivität verhielt, daß Jbrahim diese Pässe fast von allen Vertheidigern entblößen und sich dadurch verstärken konnte.
Hafiß-Pascha wollte den Krieg, und war gewiß, dadurch den geheimsten Wünschen seines Gebieters zu ent- sprechen; den Vorwand suchte er in einigen Plänkeleien der Araber. Es war mir zu jener Zeit sehr peinlich, immer abzuwehren, stets der Hemmschuh für alle Unternehmungen zu sein, immer auf die Ankunft der übrigen Corps zu ver- weisen, und es blieb mir, um meinen Credit zu retten, nur übrig, den thätigsten Antheil an solchen Expeditionen zu nehmen, deren Ausführung zu hintertreiben mir nicht ge- lungen.
Jbrahim-Pascha hatte offenbar nicht die mindeste Lust, den Streit anzufangen, er ließ sich viel gefallen. Jn einem Gefechte der unregelmäßigen Truppen hatten wir ihm achtzig Gefangene abgenommen, und unsere Recognoscirun- gen (bei der die Cavallerie ihre gänzliche Untauglichkeit do- cumentirte) überschritten fünf Stunden weit die Grenzen; in Aintab hatten die Einwohner ihre Garnison in die Ci- tadelle gesperrt; diese hielt eine sehr schwache Kanonade aus, ergab sich aber nicht nur gegen Zusicherung ihres rückständigen Soldes von achtzehn Monaten, sondern nahm
Sold war ruͤckſtaͤndig. Die Verpflegung war ſehr ſchwie- rig, und die Bevoͤlkerung von ganz Syrien, namentlich die der großen Staͤdte, erwartete nur ein Signal zum Auf- ſtande.
Die Wahrſcheinlichkeit eines Erfolgs war auf der Seite der Pforte, aller Vortheil aber wurde aufgehoben durch einen Cardinal-Fehler: in Syrien befehligte ein Mann, um deſ- ſen Exiſtenz es ſich handelte; in Aſien vier unabhaͤngige Feldherren, jeder mit beſondern Jntereſſen und einer eifer- ſuͤchtig auf den andern. So kam es, daß wir ſchon in Scharmuͤtzel verwickelt waren mit dem Gegner, als das Corps Jſſet-Paſcha's noch in Kaiſarieh, 150 Stunden ruͤckwaͤrts ſtand, und das Hadſchi-Aly-Paſcha's zu Ko- nieh ſich in einer ſolchen Paſſivitaͤt verhielt, daß Jbrahim dieſe Paͤſſe faſt von allen Vertheidigern entbloͤßen und ſich dadurch verſtaͤrken konnte.
Hafiß-Paſcha wollte den Krieg, und war gewiß, dadurch den geheimſten Wuͤnſchen ſeines Gebieters zu ent- ſprechen; den Vorwand ſuchte er in einigen Plaͤnkeleien der Araber. Es war mir zu jener Zeit ſehr peinlich, immer abzuwehren, ſtets der Hemmſchuh fuͤr alle Unternehmungen zu ſein, immer auf die Ankunft der uͤbrigen Corps zu ver- weiſen, und es blieb mir, um meinen Credit zu retten, nur uͤbrig, den thaͤtigſten Antheil an ſolchen Expeditionen zu nehmen, deren Ausfuͤhrung zu hintertreiben mir nicht ge- lungen.
Jbrahim-Paſcha hatte offenbar nicht die mindeſte Luſt, den Streit anzufangen, er ließ ſich viel gefallen. Jn einem Gefechte der unregelmaͤßigen Truppen hatten wir ihm achtzig Gefangene abgenommen, und unſere Recognoſcirun- gen (bei der die Cavallerie ihre gaͤnzliche Untauglichkeit do- cumentirte) uͤberſchritten fuͤnf Stunden weit die Grenzen; in Aintab hatten die Einwohner ihre Garniſon in die Ci- tadelle geſperrt; dieſe hielt eine ſehr ſchwache Kanonade aus, ergab ſich aber nicht nur gegen Zuſicherung ihres ruͤckſtaͤndigen Soldes von achtzehn Monaten, ſondern nahm
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Sold war ruͤckſtaͤndig. Die Verpflegung war ſehr ſchwie-
rig, und die Bevoͤlkerung von ganz Syrien, namentlich die
der großen Staͤdte, erwartete nur ein Signal zum Auf-
ſtande.
Die Wahrſcheinlichkeit eines Erfolgs war auf der Seite
der Pforte, aller Vortheil aber wurde aufgehoben durch einen
Cardinal-Fehler: in Syrien befehligte ein Mann, um deſ-
ſen Exiſtenz es ſich handelte; in Aſien vier unabhaͤngige
Feldherren, jeder mit beſondern Jntereſſen und einer eifer-
ſuͤchtig auf den andern. So kam es, daß wir ſchon in
Scharmuͤtzel verwickelt waren mit dem Gegner, als das
Corps Jſſet-Paſcha's noch in Kaiſarieh, 150 Stunden
ruͤckwaͤrts ſtand, und das Hadſchi-Aly-Paſcha's zu Ko-
nieh ſich in einer ſolchen Paſſivitaͤt verhielt, daß Jbrahim
dieſe Paͤſſe faſt von allen Vertheidigern entbloͤßen und ſich
dadurch verſtaͤrken konnte.
Hafiß-Paſcha wollte den Krieg, und war gewiß,
dadurch den geheimſten Wuͤnſchen ſeines Gebieters zu ent-
ſprechen; den Vorwand ſuchte er in einigen Plaͤnkeleien der
Araber. Es war mir zu jener Zeit ſehr peinlich, immer
abzuwehren, ſtets der Hemmſchuh fuͤr alle Unternehmungen
zu ſein, immer auf die Ankunft der uͤbrigen Corps zu ver-
weiſen, und es blieb mir, um meinen Credit zu retten, nur
uͤbrig, den thaͤtigſten Antheil an ſolchen Expeditionen zu
nehmen, deren Ausfuͤhrung zu hintertreiben mir nicht ge-
lungen.
Jbrahim-Paſcha hatte offenbar nicht die mindeſte
Luſt, den Streit anzufangen, er ließ ſich viel gefallen. Jn
einem Gefechte der unregelmaͤßigen Truppen hatten wir ihm
achtzig Gefangene abgenommen, und unſere Recognoſcirun-
gen (bei der die Cavallerie ihre gaͤnzliche Untauglichkeit do-
cumentirte) uͤberſchritten fuͤnf Stunden weit die Grenzen;
in Aintab hatten die Einwohner ihre Garniſon in die Ci-
tadelle geſperrt; dieſe hielt eine ſehr ſchwache Kanonade
aus, ergab ſich aber nicht nur gegen Zuſicherung ihres
ruͤckſtaͤndigen Soldes von achtzehn Monaten, ſondern nahm
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/394>, abgerufen am 22.11.2024.
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