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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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fiziere verstanden, mußten fortwährend als Gefangene be-
handelt werden; dichte Postenlinien umstellten das Lager
eines jeden Regiments, oft aber entwichen die Wachen
selbst. Man zahlte 20, ja später 100 Gulden für jeden
Deserteur, ohne das Ausreißen hindern zu können; es gab
Beispiele, wo 50 Mann mit Pferden und Waffen von den
Vorposten desertirten. Der Soldat war gut bezahlt, wohl
gekleidet, reichlich ernährt und milde behandelt; aber fast
kein Kurde hielt länger als zwei Jahre aus, er ging in's
Hospital, starb oder lief davon. Neben dieser Disposition
von zwei Dritteln des Heeres muß der gänzliche Mangel an
tüchtigen Offizieren genannt werden; man sollte daher glau-
ben, mit solchen Militairs sei gar kein Krieg zu führen.

Jndeß, wenn Jbrahim-Pascha's Heer besser, so war
es auch nur im Vergleich mit dem türkischen erträglich zu
nennen; es hatte im vorigen Jahre, namentlich gegen die
Drusen, furchtbare Einbußen gemacht, bestand zum großen
Theil auch aus neuer Mannschaft und war an Zahl sehr
viel schwächer. Zur Schlacht hatte später Jbrahim-Pa-
scha Alles
versammelt, was er in ganz Syrien besaß;
selbst die Besatzung Adana's erlaubte man ihm heranzuzie-
hen, und doch war er nur etwa 10,000 Mann stärker, als
das Corps Hafiß-Pascha's allein. Die gesammte Streit-
macht der Pforte in Asien, wäre sie vereint gewesen, konnte
ihm fast um das Doppelte überlegen sein. Jbrahims
Truppen waren manövrirfähiger, als die türkischen, seine
Artillerie zahlreicher und gut bedient, aber der Geist des
Heeres war um Nichts besser, als im Corps Hafiß-
Pascha's.

Seit wir dem Gegner gegenüber standen, verging fast
kein Tag, wo nicht zwanzig bis vierzig Ueberläufer, Offi-
ziere und Soldaten, mit ihren Gewehren ankamen. Wäh-
rend im türkischen Lager ungeheuere Geldsummen ausgege-
ben wurden, herrschte in der ägyptischen Armee Noth; die
Ration betrug kaum ein Drittel der unsrigen, die Leute la-
gerten ohne Zelte, und nicht weniger als achtzehn Monate

fiziere verſtanden, mußten fortwaͤhrend als Gefangene be-
handelt werden; dichte Poſtenlinien umſtellten das Lager
eines jeden Regiments, oft aber entwichen die Wachen
ſelbſt. Man zahlte 20, ja ſpaͤter 100 Gulden fuͤr jeden
Deſerteur, ohne das Ausreißen hindern zu koͤnnen; es gab
Beiſpiele, wo 50 Mann mit Pferden und Waffen von den
Vorpoſten deſertirten. Der Soldat war gut bezahlt, wohl
gekleidet, reichlich ernaͤhrt und milde behandelt; aber faſt
kein Kurde hielt laͤnger als zwei Jahre aus, er ging in's
Hoſpital, ſtarb oder lief davon. Neben dieſer Dispoſition
von zwei Dritteln des Heeres muß der gaͤnzliche Mangel an
tuͤchtigen Offizieren genannt werden; man ſollte daher glau-
ben, mit ſolchen Militairs ſei gar kein Krieg zu fuͤhren.

Jndeß, wenn Jbrahim-Paſcha's Heer beſſer, ſo war
es auch nur im Vergleich mit dem tuͤrkiſchen ertraͤglich zu
nennen; es hatte im vorigen Jahre, namentlich gegen die
Druſen, furchtbare Einbußen gemacht, beſtand zum großen
Theil auch aus neuer Mannſchaft und war an Zahl ſehr
viel ſchwaͤcher. Zur Schlacht hatte ſpaͤter Jbrahim-Pa-
ſcha Alles
verſammelt, was er in ganz Syrien beſaß;
ſelbſt die Beſatzung Adana's erlaubte man ihm heranzuzie-
hen, und doch war er nur etwa 10,000 Mann ſtaͤrker, als
das Corps Hafiß-Paſcha's allein. Die geſammte Streit-
macht der Pforte in Aſien, waͤre ſie vereint geweſen, konnte
ihm faſt um das Doppelte uͤberlegen ſein. Jbrahims
Truppen waren manoͤvrirfaͤhiger, als die tuͤrkiſchen, ſeine
Artillerie zahlreicher und gut bedient, aber der Geiſt des
Heeres war um Nichts beſſer, als im Corps Hafiß-
Paſcha's.

Seit wir dem Gegner gegenuͤber ſtanden, verging faſt
kein Tag, wo nicht zwanzig bis vierzig Ueberlaͤufer, Offi-
ziere und Soldaten, mit ihren Gewehren ankamen. Waͤh-
rend im tuͤrkiſchen Lager ungeheuere Geldſummen ausgege-
ben wurden, herrſchte in der aͤgyptiſchen Armee Noth; die
Ration betrug kaum ein Drittel der unſrigen, die Leute la-
gerten ohne Zelte, und nicht weniger als achtzehn Monate

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[383/0393] fiziere verſtanden, mußten fortwaͤhrend als Gefangene be- handelt werden; dichte Poſtenlinien umſtellten das Lager eines jeden Regiments, oft aber entwichen die Wachen ſelbſt. Man zahlte 20, ja ſpaͤter 100 Gulden fuͤr jeden Deſerteur, ohne das Ausreißen hindern zu koͤnnen; es gab Beiſpiele, wo 50 Mann mit Pferden und Waffen von den Vorpoſten deſertirten. Der Soldat war gut bezahlt, wohl gekleidet, reichlich ernaͤhrt und milde behandelt; aber faſt kein Kurde hielt laͤnger als zwei Jahre aus, er ging in's Hoſpital, ſtarb oder lief davon. Neben dieſer Dispoſition von zwei Dritteln des Heeres muß der gaͤnzliche Mangel an tuͤchtigen Offizieren genannt werden; man ſollte daher glau- ben, mit ſolchen Militairs ſei gar kein Krieg zu fuͤhren. Jndeß, wenn Jbrahim-Paſcha's Heer beſſer, ſo war es auch nur im Vergleich mit dem tuͤrkiſchen ertraͤglich zu nennen; es hatte im vorigen Jahre, namentlich gegen die Druſen, furchtbare Einbußen gemacht, beſtand zum großen Theil auch aus neuer Mannſchaft und war an Zahl ſehr viel ſchwaͤcher. Zur Schlacht hatte ſpaͤter Jbrahim-Pa- ſcha Alles verſammelt, was er in ganz Syrien beſaß; ſelbſt die Beſatzung Adana's erlaubte man ihm heranzuzie- hen, und doch war er nur etwa 10,000 Mann ſtaͤrker, als das Corps Hafiß-Paſcha's allein. Die geſammte Streit- macht der Pforte in Aſien, waͤre ſie vereint geweſen, konnte ihm faſt um das Doppelte uͤberlegen ſein. Jbrahims Truppen waren manoͤvrirfaͤhiger, als die tuͤrkiſchen, ſeine Artillerie zahlreicher und gut bedient, aber der Geiſt des Heeres war um Nichts beſſer, als im Corps Hafiß- Paſcha's. Seit wir dem Gegner gegenuͤber ſtanden, verging faſt kein Tag, wo nicht zwanzig bis vierzig Ueberlaͤufer, Offi- ziere und Soldaten, mit ihren Gewehren ankamen. Waͤh- rend im tuͤrkiſchen Lager ungeheuere Geldſummen ausgege- ben wurden, herrſchte in der aͤgyptiſchen Armee Noth; die Ration betrug kaum ein Drittel der unſrigen, die Leute la- gerten ohne Zelte, und nicht weniger als achtzehn Monate

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/393>, abgerufen am 25.11.2024.