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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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weislich sei. Erstere hat nicht statt gefunden, und so ist
die letztere nicht ausgeblieben.

Sultan Mahmud ist ganz unstreitig seit Anfang Ja-
nuars unwiderruflich entschlossen gewesen, sich dem drücken-
den Zustande durch Krieg zu entziehen; neue große Opfer
wurden gebracht, kein Geldaufwand gescheut, Auszeichnun-
gen und Beförderungen verschwendet, Truppenergänzungen
gewaltsam durchgeführt, das Material der Artillerie ver-
vollständigt, Vorräthe angehäuft und jede Forderung des
commandirenden Generals bewilligt. Geängstigt durch die
europäischen Gesandtschaften, wurden mittlerweile in Kon-
stantinopel die bündigsten Friedensversicherungen offiziell er-
theilt, und während seit sechs Monaten schon die Kriegs-
frage entschieden, während wir bereits die Grenze über-
schritten, versicherte man aus Konstantinopel immer noch,
daß der status quo erhalten werden würde.

So weit waren die Dinge durch ihre eigene Nothwen-
digkeit gediehen; wir wollen nun sehen, in wie fern Hoff-
nung auf Gelingen den Großherrn bestimmen durfte. Die
Pforte hatte in Kleinasien drei Corps aufgestellt, die zu-
sammen 70,000 Mann stark waren (ich rede von der wirk-
lich ausrückenden Stärke, denn die nominelle Ziffer ist viel
größer); diese Truppen bestanden zur größern Hälfte aus
Rediffs, d. h. Landwehren, gebildet aus eben ausgehobe-
nen Mannschaften, die schnell etwas von der europäischen
Taktik lernen mußten, und aus Offizieren, die, nach Gunst
gewählt, nicht die geringste Kenntniß ihres Standes be-
saßen; auch die Linientruppen bestanden zur Hälfte aus
Rekruten. Es herrschte eine so furchtbare Mortalität, daß
wir während der Dauer unsers Hierseins die Hälfte der
Jnfanterie begraben haben. Der ganze Ersatz lastet nun
fast ausschließlich auf Kurdistan; die Bewohner der Dorf-
schaften flohen in die Berge, sie wurden mit Hunden ge-
hetzt, die Eingefangenen, oft Kinder und Krüppel, an lange
Seile gebunden und mit geknebelten Händen abgeführt.
Diese Soldaten, welche nicht einmal die Sprache ihrer Of-

weislich ſei. Erſtere hat nicht ſtatt gefunden, und ſo iſt
die letztere nicht ausgeblieben.

Sultan Mahmud iſt ganz unſtreitig ſeit Anfang Ja-
nuars unwiderruflich entſchloſſen geweſen, ſich dem druͤcken-
den Zuſtande durch Krieg zu entziehen; neue große Opfer
wurden gebracht, kein Geldaufwand geſcheut, Auszeichnun-
gen und Befoͤrderungen verſchwendet, Truppenergaͤnzungen
gewaltſam durchgefuͤhrt, das Material der Artillerie ver-
vollſtaͤndigt, Vorraͤthe angehaͤuft und jede Forderung des
commandirenden Generals bewilligt. Geaͤngſtigt durch die
europaͤiſchen Geſandtſchaften, wurden mittlerweile in Kon-
ſtantinopel die buͤndigſten Friedensverſicherungen offiziell er-
theilt, und waͤhrend ſeit ſechs Monaten ſchon die Kriegs-
frage entſchieden, waͤhrend wir bereits die Grenze uͤber-
ſchritten, verſicherte man aus Konſtantinopel immer noch,
daß der status quo erhalten werden wuͤrde.

So weit waren die Dinge durch ihre eigene Nothwen-
digkeit gediehen; wir wollen nun ſehen, in wie fern Hoff-
nung auf Gelingen den Großherrn beſtimmen durfte. Die
Pforte hatte in Kleinaſien drei Corps aufgeſtellt, die zu-
ſammen 70,000 Mann ſtark waren (ich rede von der wirk-
lich ausruͤckenden Staͤrke, denn die nominelle Ziffer iſt viel
groͤßer); dieſe Truppen beſtanden zur groͤßern Haͤlfte aus
Rediffs, d. h. Landwehren, gebildet aus eben ausgehobe-
nen Mannſchaften, die ſchnell etwas von der europaͤiſchen
Taktik lernen mußten, und aus Offizieren, die, nach Gunſt
gewaͤhlt, nicht die geringſte Kenntniß ihres Standes be-
ſaßen; auch die Linientruppen beſtanden zur Haͤlfte aus
Rekruten. Es herrſchte eine ſo furchtbare Mortalitaͤt, daß
wir waͤhrend der Dauer unſers Hierſeins die Haͤlfte der
Jnfanterie begraben haben. Der ganze Erſatz laſtet nun
faſt ausſchließlich auf Kurdiſtan; die Bewohner der Dorf-
ſchaften flohen in die Berge, ſie wurden mit Hunden ge-
hetzt, die Eingefangenen, oft Kinder und Kruͤppel, an lange
Seile gebunden und mit geknebelten Haͤnden abgefuͤhrt.
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[382/0392] weislich ſei. Erſtere hat nicht ſtatt gefunden, und ſo iſt die letztere nicht ausgeblieben. Sultan Mahmud iſt ganz unſtreitig ſeit Anfang Ja- nuars unwiderruflich entſchloſſen geweſen, ſich dem druͤcken- den Zuſtande durch Krieg zu entziehen; neue große Opfer wurden gebracht, kein Geldaufwand geſcheut, Auszeichnun- gen und Befoͤrderungen verſchwendet, Truppenergaͤnzungen gewaltſam durchgefuͤhrt, das Material der Artillerie ver- vollſtaͤndigt, Vorraͤthe angehaͤuft und jede Forderung des commandirenden Generals bewilligt. Geaͤngſtigt durch die europaͤiſchen Geſandtſchaften, wurden mittlerweile in Kon- ſtantinopel die buͤndigſten Friedensverſicherungen offiziell er- theilt, und waͤhrend ſeit ſechs Monaten ſchon die Kriegs- frage entſchieden, waͤhrend wir bereits die Grenze uͤber- ſchritten, verſicherte man aus Konſtantinopel immer noch, daß der status quo erhalten werden wuͤrde. So weit waren die Dinge durch ihre eigene Nothwen- digkeit gediehen; wir wollen nun ſehen, in wie fern Hoff- nung auf Gelingen den Großherrn beſtimmen durfte. Die Pforte hatte in Kleinaſien drei Corps aufgeſtellt, die zu- ſammen 70,000 Mann ſtark waren (ich rede von der wirk- lich ausruͤckenden Staͤrke, denn die nominelle Ziffer iſt viel groͤßer); dieſe Truppen beſtanden zur groͤßern Haͤlfte aus Rediffs, d. h. Landwehren, gebildet aus eben ausgehobe- nen Mannſchaften, die ſchnell etwas von der europaͤiſchen Taktik lernen mußten, und aus Offizieren, die, nach Gunſt gewaͤhlt, nicht die geringſte Kenntniß ihres Standes be- ſaßen; auch die Linientruppen beſtanden zur Haͤlfte aus Rekruten. Es herrſchte eine ſo furchtbare Mortalitaͤt, daß wir waͤhrend der Dauer unſers Hierſeins die Haͤlfte der Jnfanterie begraben haben. Der ganze Erſatz laſtet nun faſt ausſchließlich auf Kurdiſtan; die Bewohner der Dorf- ſchaften flohen in die Berge, ſie wurden mit Hunden ge- hetzt, die Eingefangenen, oft Kinder und Kruͤppel, an lange Seile gebunden und mit geknebelten Haͤnden abgefuͤhrt. Dieſe Soldaten, welche nicht einmal die Sprache ihrer Of-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/392>, abgerufen am 25.11.2024.