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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Chosref damals eine Ahnung davon gehabt, so würde er
sich nicht sehr darüber geängstigt haben, ob es einen Ar-
nauten mehr oder weniger in der Welt gäbe. Als Capu-
dan Pascha hat er an der Eroberung von Missolunghi
Theil genommen, und seitdem machte er sich dem Sultan
angenehm und unentbehrlich in zweifacher Art, als Polizei-
chef der Hauptstadt und als Begünstiger der Reform.

Jn ersterer Beziehung hat Chosref Pascha ein un-
bestreitbares Verdienst, doppelt wichtig in der Türkei, wo
ein Großherr Schlachten und Provinzen verlieren, aber einen
Aufruhr in Konstantinopel nicht vertragen kann. Der Se-
raskier redet fast nur in scherzhaftem Ton, aber die Mäch-
tigsten zittern bei seinem Lächeln. Er weiß Alles, was in
der Hauptstadt vorgeht, hat seine Kundschafter überall und
kennt keine Schonung gegen solche, die sich der neuen Ord-
nung der Dinge widersetzen.

Chosref Pascha war der Erste, welcher dem Groß-
herrn eine europäisch ausexerzirte Truppe vorstellte, und
der Erste unter den Großen, welcher die schöne alttürkische
Tracht gegen die geschmacklose und unbequeme Nachbildung
europäischer Uniform vertauschte; er gilt daher für einen
Hauptbeförderer der Reform.

Der Seraskier hat hunderte von Agaos, Kawassen und
Seymen in seinem persönlichen Dienst, von denen keiner
auch nur einen Para festes Gehalt bezieht. Aber Jeder-
mann beeifert sich, einem Angehörigen des großen Pascha
Geschenke zu machen. Daß er selbst nicht zu kurz kömmt,
kannst Du Dir denken. Ungeheure Summen fließen ihm
zu von Denen, welche in Konstantinopel Etwas durchzu-
setzen haben. Kein Opfer scheint dem Gouverneur einer
Provinz zu hoch, um solch einen Gönner in der Haupt-
stadt zu gewinnen; kein größeres Handelsunternehmen, keine
Lieferung kann abgeschlossen werden ohne seine Einwilligung;
er muß den Ferman ausfertigen, wenn eine christliche Kirche
erbaut oder nur ausgebessert werden soll; von ihm hängen
die Beförderungen zu den höheren Stellen in der Armee

Chosref damals eine Ahnung davon gehabt, ſo wuͤrde er
ſich nicht ſehr daruͤber geaͤngſtigt haben, ob es einen Ar-
nauten mehr oder weniger in der Welt gaͤbe. Als Capu-
dan Paſcha hat er an der Eroberung von Miſſolunghi
Theil genommen, und ſeitdem machte er ſich dem Sultan
angenehm und unentbehrlich in zweifacher Art, als Polizei-
chef der Hauptſtadt und als Beguͤnſtiger der Reform.

Jn erſterer Beziehung hat Chosref Paſcha ein un-
beſtreitbares Verdienſt, doppelt wichtig in der Tuͤrkei, wo
ein Großherr Schlachten und Provinzen verlieren, aber einen
Aufruhr in Konſtantinopel nicht vertragen kann. Der Se-
raskier redet faſt nur in ſcherzhaftem Ton, aber die Maͤch-
tigſten zittern bei ſeinem Laͤcheln. Er weiß Alles, was in
der Hauptſtadt vorgeht, hat ſeine Kundſchafter uͤberall und
kennt keine Schonung gegen ſolche, die ſich der neuen Ord-
nung der Dinge widerſetzen.

Chosref Paſcha war der Erſte, welcher dem Groß-
herrn eine europaͤiſch ausexerzirte Truppe vorſtellte, und
der Erſte unter den Großen, welcher die ſchoͤne alttuͤrkiſche
Tracht gegen die geſchmackloſe und unbequeme Nachbildung
europaͤiſcher Uniform vertauſchte; er gilt daher fuͤr einen
Hauptbefoͤrderer der Reform.

Der Seraskier hat hunderte von Agaos, Kawaſſen und
Seymen in ſeinem perſoͤnlichen Dienſt, von denen keiner
auch nur einen Para feſtes Gehalt bezieht. Aber Jeder-
mann beeifert ſich, einem Angehoͤrigen des großen Paſcha
Geſchenke zu machen. Daß er ſelbſt nicht zu kurz koͤmmt,
kannſt Du Dir denken. Ungeheure Summen fließen ihm
zu von Denen, welche in Konſtantinopel Etwas durchzu-
ſetzen haben. Kein Opfer ſcheint dem Gouverneur einer
Provinz zu hoch, um ſolch einen Goͤnner in der Haupt-
ſtadt zu gewinnen; kein groͤßeres Handelsunternehmen, keine
Lieferung kann abgeſchloſſen werden ohne ſeine Einwilligung;
er muß den Ferman ausfertigen, wenn eine chriſtliche Kirche
erbaut oder nur ausgebeſſert werden ſoll; von ihm haͤngen
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[29/0039] Chosref damals eine Ahnung davon gehabt, ſo wuͤrde er ſich nicht ſehr daruͤber geaͤngſtigt haben, ob es einen Ar- nauten mehr oder weniger in der Welt gaͤbe. Als Capu- dan Paſcha hat er an der Eroberung von Miſſolunghi Theil genommen, und ſeitdem machte er ſich dem Sultan angenehm und unentbehrlich in zweifacher Art, als Polizei- chef der Hauptſtadt und als Beguͤnſtiger der Reform. Jn erſterer Beziehung hat Chosref Paſcha ein un- beſtreitbares Verdienſt, doppelt wichtig in der Tuͤrkei, wo ein Großherr Schlachten und Provinzen verlieren, aber einen Aufruhr in Konſtantinopel nicht vertragen kann. Der Se- raskier redet faſt nur in ſcherzhaftem Ton, aber die Maͤch- tigſten zittern bei ſeinem Laͤcheln. Er weiß Alles, was in der Hauptſtadt vorgeht, hat ſeine Kundſchafter uͤberall und kennt keine Schonung gegen ſolche, die ſich der neuen Ord- nung der Dinge widerſetzen. Chosref Paſcha war der Erſte, welcher dem Groß- herrn eine europaͤiſch ausexerzirte Truppe vorſtellte, und der Erſte unter den Großen, welcher die ſchoͤne alttuͤrkiſche Tracht gegen die geſchmackloſe und unbequeme Nachbildung europaͤiſcher Uniform vertauſchte; er gilt daher fuͤr einen Hauptbefoͤrderer der Reform. Der Seraskier hat hunderte von Agaos, Kawaſſen und Seymen in ſeinem perſoͤnlichen Dienſt, von denen keiner auch nur einen Para feſtes Gehalt bezieht. Aber Jeder- mann beeifert ſich, einem Angehoͤrigen des großen Paſcha Geſchenke zu machen. Daß er ſelbſt nicht zu kurz koͤmmt, kannſt Du Dir denken. Ungeheure Summen fließen ihm zu von Denen, welche in Konſtantinopel Etwas durchzu- ſetzen haben. Kein Opfer ſcheint dem Gouverneur einer Provinz zu hoch, um ſolch einen Goͤnner in der Haupt- ſtadt zu gewinnen; kein groͤßeres Handelsunternehmen, keine Lieferung kann abgeſchloſſen werden ohne ſeine Einwilligung; er muß den Ferman ausfertigen, wenn eine chriſtliche Kirche erbaut oder nur ausgebeſſert werden ſoll; von ihm haͤngen die Befoͤrderungen zu den hoͤheren Stellen in der Armee

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/39>, abgerufen am 27.11.2024.