Tschibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge- wühl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorposten und blickt stolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan- gen Rohrlanzen und in der alten prächtigen Tracht ihre arabischen Hengste tummeln. Wie schade, daß ich nicht eine Camera obscura von Daguerre hier habe.
64. Die Schlacht bei Nisib.
Asbusu bei Malatia, den 12. Juli 1839.
Du bist sehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge- blieben, weil in der letzten Zeit die Ereignisse sich so dräng- ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt sitze ich wieder in meinem schattigen Quartier auf der Brücke unter dem Cornelius-Kirschbaum in Asbusu; aber wie Man- ches hat sich geändert, seit ich diesen Ort verließ.
Jn unserm festen Lager zu Biradschik standen wir so unbeweglich den ganzen Monat Juni still, daß die Schwal- ben anfingen, sich Nester an meinen Zeltstangen zu bauen, und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er- eigniß unterbrach jedoch die Einförmigkeit, als am 29. Mai Mittags unser Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr. fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter- bringung derselben ein Hann oder gewölbtes steinernes Ge- bäude am Ufer des Murad innerhalb unserer Stellung ge- wählt. Nur auf wiederholte Vorstellung war es mir ge- lungen, sechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier- seitigen Gebäudes zu entfernen, welche dort kochten und rauchten; es ging aber später noch, wie bei allen türkischen Pulver-Magazinen, so arg her, daß ich bei dem ersten Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Unglück uns betroffen.
Mein Zelt stand etwa tausend Schritte weit auf einer Höhe, die Thür gegen das Hann gewendet, entfernt genug,
Tſchibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge- wuͤhl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorpoſten und blickt ſtolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan- gen Rohrlanzen und in der alten praͤchtigen Tracht ihre arabiſchen Hengſte tummeln. Wie ſchade, daß ich nicht eine Camera obſcura von Daguerre hier habe.
64. Die Schlacht bei Niſib.
Asbuſu bei Malatia, den 12. Juli 1839.
Du biſt ſehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge- blieben, weil in der letzten Zeit die Ereigniſſe ſich ſo draͤng- ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt ſitze ich wieder in meinem ſchattigen Quartier auf der Bruͤcke unter dem Cornelius-Kirſchbaum in Asbuſu; aber wie Man- ches hat ſich geaͤndert, ſeit ich dieſen Ort verließ.
Jn unſerm feſten Lager zu Biradſchik ſtanden wir ſo unbeweglich den ganzen Monat Juni ſtill, daß die Schwal- ben anfingen, ſich Neſter an meinen Zeltſtangen zu bauen, und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er- eigniß unterbrach jedoch die Einfoͤrmigkeit, als am 29. Mai Mittags unſer Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr. fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter- bringung derſelben ein Hann oder gewoͤlbtes ſteinernes Ge- baͤude am Ufer des Murad innerhalb unſerer Stellung ge- waͤhlt. Nur auf wiederholte Vorſtellung war es mir ge- lungen, ſechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier- ſeitigen Gebaͤudes zu entfernen, welche dort kochten und rauchten; es ging aber ſpaͤter noch, wie bei allen tuͤrkiſchen Pulver-Magazinen, ſo arg her, daß ich bei dem erſten Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Ungluͤck uns betroffen.
Mein Zelt ſtand etwa tauſend Schritte weit auf einer Hoͤhe, die Thuͤr gegen das Hann gewendet, entfernt genug,
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Tſchibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge-
wuͤhl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorpoſten und blickt
ſtolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan-
gen Rohrlanzen und in der alten praͤchtigen Tracht ihre
arabiſchen Hengſte tummeln. Wie ſchade, daß ich nicht
eine Camera obſcura von Daguerre hier habe.
64.
Die Schlacht bei Niſib.
Asbuſu bei Malatia, den 12. Juli 1839.
Du biſt ſehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge-
blieben, weil in der letzten Zeit die Ereigniſſe ſich ſo draͤng-
ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt ſitze
ich wieder in meinem ſchattigen Quartier auf der Bruͤcke
unter dem Cornelius-Kirſchbaum in Asbuſu; aber wie Man-
ches hat ſich geaͤndert, ſeit ich dieſen Ort verließ.
Jn unſerm feſten Lager zu Biradſchik ſtanden wir ſo
unbeweglich den ganzen Monat Juni ſtill, daß die Schwal-
ben anfingen, ſich Neſter an meinen Zeltſtangen zu bauen,
und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er-
eigniß unterbrach jedoch die Einfoͤrmigkeit, als am 29. Mai
Mittags unſer Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr.
fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter-
bringung derſelben ein Hann oder gewoͤlbtes ſteinernes Ge-
baͤude am Ufer des Murad innerhalb unſerer Stellung ge-
waͤhlt. Nur auf wiederholte Vorſtellung war es mir ge-
lungen, ſechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier-
ſeitigen Gebaͤudes zu entfernen, welche dort kochten und
rauchten; es ging aber ſpaͤter noch, wie bei allen tuͤrkiſchen
Pulver-Magazinen, ſo arg her, daß ich bei dem erſten
Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Ungluͤck
uns betroffen.
Mein Zelt ſtand etwa tauſend Schritte weit auf einer
Hoͤhe, die Thuͤr gegen das Hann gewendet, entfernt genug,
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/388>, abgerufen am 25.11.2024.
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