mit unserm ganzen Corps hier im Lager stehen, daß ich ge- sund und wohl, bei sehr starkem Appetit und etwas abgeris- senen Kleidern und Stiefeln bin, denn wir haben einen be- schwerlichen Marsch durch den Taurus gehabt. Hoher Schnee, tiefer Koth, ein neun und zwanzigtägiger Regen und beschwerliche Gebirgswege haben uns viel zu schaffen gemacht; jetzt wollen wir uns hier ein wenig ausruhen und uns die Zeit mit Exerzieren und Manövriren vertreiben. Von der Höhe unserer Verschanzungen habe ich eine präch- tige Aussicht; unten im Thale am Euphrat haben wir eine Stadt gebaut aus 4000 Zelten, die vorderste schnurgerade Straße ist eine Viertelmeile lang, der gewaltig angeschwol- lene Strom krümmt sich um drei Seiten unsers Lagers, und jenseits erhebt sich an der weißen Felswand Biradschik mit seinen Mauern und Thürmen, Moscheen und Gärten, und über Alles ragt das seltsame alte Schloß Kalai-Beda empor. Hunderte von beladenen Kameelen, je fünf und zwanzig unter dem Vortritt eines Esels, steigen langsam die Berge hinab, hoch auf dem vordersten sitzt ein Araber, der auf zwei Pauken verkündet, daß er uns Mehl, Zwieback und Reis zuführt; kleine Flotten von Flößen aus Hammel- fellen eilen den Strom hinab, um Holz, Stroh und andere Bedürfnisse zu bringen; zahlreiche Heerden von Schaafen und Ziegen hüpfen an den Thalhängen, und tausende von Pferden stehen angefesselt in den Gerstenfeldern. Die Ba- jonnette, die Lanzen und Kanonen blitzen in der Sonne, und von allen Seiten erschallen Trommeln und Hörner; dort zerren hunderte von Soldaten einen uralten 36-Pfünder, welcher einst Bagdad beschossen, den Hügel hinan, hier schaufeln und hacken andere hunderte in der harten Erde, um Schanzen aufzuwerfen. Vor den Zelten wimmelt es von Menschen: der Eine backt Brot, wie man bei uns Eierkuchen macht, indem er einen dünnen Fladen auf einer Scheibe von Eisenblech über einem Feuer von Kameelmist breitet, der Andere wäscht seine Hemden, dieser putzt sein Gewehr, jener flickt seine Schuhe, und Alle rauchen den
mit unſerm ganzen Corps hier im Lager ſtehen, daß ich ge- ſund und wohl, bei ſehr ſtarkem Appetit und etwas abgeriſ- ſenen Kleidern und Stiefeln bin, denn wir haben einen be- ſchwerlichen Marſch durch den Taurus gehabt. Hoher Schnee, tiefer Koth, ein neun und zwanzigtaͤgiger Regen und beſchwerliche Gebirgswege haben uns viel zu ſchaffen gemacht; jetzt wollen wir uns hier ein wenig ausruhen und uns die Zeit mit Exerzieren und Manoͤvriren vertreiben. Von der Hoͤhe unſerer Verſchanzungen habe ich eine praͤch- tige Ausſicht; unten im Thale am Euphrat haben wir eine Stadt gebaut aus 4000 Zelten, die vorderſte ſchnurgerade Straße iſt eine Viertelmeile lang, der gewaltig angeſchwol- lene Strom kruͤmmt ſich um drei Seiten unſers Lagers, und jenſeits erhebt ſich an der weißen Felswand Biradſchik mit ſeinen Mauern und Thuͤrmen, Moſcheen und Gaͤrten, und uͤber Alles ragt das ſeltſame alte Schloß Kalai-Beda empor. Hunderte von beladenen Kameelen, je fuͤnf und zwanzig unter dem Vortritt eines Eſels, ſteigen langſam die Berge hinab, hoch auf dem vorderſten ſitzt ein Araber, der auf zwei Pauken verkuͤndet, daß er uns Mehl, Zwieback und Reis zufuͤhrt; kleine Flotten von Floͤßen aus Hammel- fellen eilen den Strom hinab, um Holz, Stroh und andere Beduͤrfniſſe zu bringen; zahlreiche Heerden von Schaafen und Ziegen huͤpfen an den Thalhaͤngen, und tauſende von Pferden ſtehen angefeſſelt in den Gerſtenfeldern. Die Ba- jonnette, die Lanzen und Kanonen blitzen in der Sonne, und von allen Seiten erſchallen Trommeln und Hoͤrner; dort zerren hunderte von Soldaten einen uralten 36-Pfuͤnder, welcher einſt Bagdad beſchoſſen, den Huͤgel hinan, hier ſchaufeln und hacken andere hunderte in der harten Erde, um Schanzen aufzuwerfen. Vor den Zelten wimmelt es von Menſchen: der Eine backt Brot, wie man bei uns Eierkuchen macht, indem er einen duͤnnen Fladen auf einer Scheibe von Eiſenblech uͤber einem Feuer von Kameelmiſt breitet, der Andere waͤſcht ſeine Hemden, dieſer putzt ſein Gewehr, jener flickt ſeine Schuhe, und Alle rauchen den
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mit unſerm ganzen Corps hier im Lager ſtehen, daß ich ge-
ſund und wohl, bei ſehr ſtarkem Appetit und etwas abgeriſ-
ſenen Kleidern und Stiefeln bin, denn wir haben einen be-
ſchwerlichen Marſch durch den Taurus gehabt. Hoher
Schnee, tiefer Koth, ein neun und zwanzigtaͤgiger Regen
und beſchwerliche Gebirgswege haben uns viel zu ſchaffen
gemacht; jetzt wollen wir uns hier ein wenig ausruhen und
uns die Zeit mit Exerzieren und Manoͤvriren vertreiben.
Von der Hoͤhe unſerer Verſchanzungen habe ich eine praͤch-
tige Ausſicht; unten im Thale am Euphrat haben wir eine
Stadt gebaut aus 4000 Zelten, die vorderſte ſchnurgerade
Straße iſt eine Viertelmeile lang, der gewaltig angeſchwol-
lene Strom kruͤmmt ſich um drei Seiten unſers Lagers,
und jenſeits erhebt ſich an der weißen Felswand Biradſchik
mit ſeinen Mauern und Thuͤrmen, Moſcheen und Gaͤrten,
und uͤber Alles ragt das ſeltſame alte Schloß Kalai-Beda
empor. Hunderte von beladenen Kameelen, je fuͤnf und
zwanzig unter dem Vortritt eines Eſels, ſteigen langſam die
Berge hinab, hoch auf dem vorderſten ſitzt ein Araber, der
auf zwei Pauken verkuͤndet, daß er uns Mehl, Zwieback
und Reis zufuͤhrt; kleine Flotten von Floͤßen aus Hammel-
fellen eilen den Strom hinab, um Holz, Stroh und andere
Beduͤrfniſſe zu bringen; zahlreiche Heerden von Schaafen
und Ziegen huͤpfen an den Thalhaͤngen, und tauſende von
Pferden ſtehen angefeſſelt in den Gerſtenfeldern. Die Ba-
jonnette, die Lanzen und Kanonen blitzen in der Sonne, und
von allen Seiten erſchallen Trommeln und Hoͤrner; dort
zerren hunderte von Soldaten einen uralten 36-Pfuͤnder,
welcher einſt Bagdad beſchoſſen, den Huͤgel hinan, hier
ſchaufeln und hacken andere hunderte in der harten Erde,
um Schanzen aufzuwerfen. Vor den Zelten wimmelt es
von Menſchen: der Eine backt Brot, wie man bei uns
Eierkuchen macht, indem er einen duͤnnen Fladen auf einer
Scheibe von Eiſenblech uͤber einem Feuer von Kameelmiſt
breitet, der Andere waͤſcht ſeine Hemden, dieſer putzt ſein
Gewehr, jener flickt ſeine Schuhe, und Alle rauchen den
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/387>, abgerufen am 25.11.2024.
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