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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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unter Wasser. Aber die Hammelhäute arbeiteten sich be-
ständig wieder empor, und die Gefahr war nur, bei dem
steilen Auf- und Absteigen über die hohen kurzen Wellen
umzuschlagen; an ein Rudern war gar nicht zu denken;
zwei der Kelektschi fielen über Bord, sie waren aber mit
Stricken festgebunden; unter der übrigen Equipage herrschte
die größte Bestürzung, und das Kelek ging wohl eine drit-
tel Wegstunde istedi gibi -- "nach Gutdünken" -- so fort,
bis Allah uns in einen Strudel seitwärts führte und uns
dort ein Dutzend Mal um und um drehte, aber doch et-
was wieder zur Besinnung kommen ließ. Die Ruder wur-
den nun mit aller Anstrengung gebraucht, aber es schien
eine Zeitlang zweifelhaft, ob wir das Ufer erreichen, oder,
von dem Strome gefaßt, einem neuen Wasserfall zugeführt
werden würden. Die Stangen, aus welchen das Floß ge-
fügt, sind 11/2 bis 2 Zoll dick, es waren davon drei mitten
durchgebrochen, vier der Schläuche geplatzt, zwei davon ge-
schwommen; indeß näherten wir uns glücklicherweise dem
Ufer. Suleiman-Tschausch, um sich der Lage zu entzie-
hen, in welcher er sich befand, machte mit augenscheinlich-
ster Lebensgefahr, wie Wilhelm Tell, einen Satz aus dem
schwankenden Fahrzeuge auf eine Felsklippe, dort fiel er
nieder, wendete sich nach der Kaaba und erhob die Hände
zum Gebet; Aly-Aga gelobte, ein Lamm als Kurban zu
schlachten.

Jch hatte bei der ganzen Geschichte eigentlich die Ueber-
zeugung gewonnen, daß man wahrscheinlich doch durchkom-
men würde, denn ein zäheres Wesen als diese Keleks giebt
es nicht; freilich muß man sich darein finden, complett im
Wasser zu sitzen, was zur Zeit der Schneeschmelze nicht er-
freulich ist; aber so wie die Sache einmal eingeleitet war,
hatte ich ein großes Jnteresse, sie zu Ende zu bringen, viel
ärger konnt' es nicht mehr kommen. Jch beschloß daher,
den "Kalabalyk" zurück zu schicken, und bot zweien der
Kelektschi's einen Beutel, wenn sie mit mir allein noch
einen Versuch wagen wollten, denn gegen Mittag konnten

unter Waſſer. Aber die Hammelhaͤute arbeiteten ſich be-
ſtaͤndig wieder empor, und die Gefahr war nur, bei dem
ſteilen Auf- und Abſteigen uͤber die hohen kurzen Wellen
umzuſchlagen; an ein Rudern war gar nicht zu denken;
zwei der Kelektſchi fielen uͤber Bord, ſie waren aber mit
Stricken feſtgebunden; unter der uͤbrigen Equipage herrſchte
die groͤßte Beſtuͤrzung, und das Kelek ging wohl eine drit-
tel Wegſtunde istedi gibi — „nach Gutduͤnken“ — ſo fort,
bis Allah uns in einen Strudel ſeitwaͤrts fuͤhrte und uns
dort ein Dutzend Mal um und um drehte, aber doch et-
was wieder zur Beſinnung kommen ließ. Die Ruder wur-
den nun mit aller Anſtrengung gebraucht, aber es ſchien
eine Zeitlang zweifelhaft, ob wir das Ufer erreichen, oder,
von dem Strome gefaßt, einem neuen Waſſerfall zugefuͤhrt
werden wuͤrden. Die Stangen, aus welchen das Floß ge-
fuͤgt, ſind 1½ bis 2 Zoll dick, es waren davon drei mitten
durchgebrochen, vier der Schlaͤuche geplatzt, zwei davon ge-
ſchwommen; indeß naͤherten wir uns gluͤcklicherweiſe dem
Ufer. Suleiman-Tſchauſch, um ſich der Lage zu entzie-
hen, in welcher er ſich befand, machte mit augenſcheinlich-
ſter Lebensgefahr, wie Wilhelm Tell, einen Satz aus dem
ſchwankenden Fahrzeuge auf eine Felsklippe, dort fiel er
nieder, wendete ſich nach der Kaaba und erhob die Haͤnde
zum Gebet; Aly-Aga gelobte, ein Lamm als Kurban zu
ſchlachten.

Jch hatte bei der ganzen Geſchichte eigentlich die Ueber-
zeugung gewonnen, daß man wahrſcheinlich doch durchkom-
men wuͤrde, denn ein zaͤheres Weſen als dieſe Keleks giebt
es nicht; freilich muß man ſich darein finden, complett im
Waſſer zu ſitzen, was zur Zeit der Schneeſchmelze nicht er-
freulich iſt; aber ſo wie die Sache einmal eingeleitet war,
hatte ich ein großes Jntereſſe, ſie zu Ende zu bringen, viel
aͤrger konnt' es nicht mehr kommen. Jch beſchloß daher,
den „Kalabalyk“ zuruͤck zu ſchicken, und bot zweien der
Kelektſchi's einen Beutel, wenn ſie mit mir allein noch
einen Verſuch wagen wollten, denn gegen Mittag konnten

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[363/0373] unter Waſſer. Aber die Hammelhaͤute arbeiteten ſich be- ſtaͤndig wieder empor, und die Gefahr war nur, bei dem ſteilen Auf- und Abſteigen uͤber die hohen kurzen Wellen umzuſchlagen; an ein Rudern war gar nicht zu denken; zwei der Kelektſchi fielen uͤber Bord, ſie waren aber mit Stricken feſtgebunden; unter der uͤbrigen Equipage herrſchte die groͤßte Beſtuͤrzung, und das Kelek ging wohl eine drit- tel Wegſtunde istedi gibi — „nach Gutduͤnken“ — ſo fort, bis Allah uns in einen Strudel ſeitwaͤrts fuͤhrte und uns dort ein Dutzend Mal um und um drehte, aber doch et- was wieder zur Beſinnung kommen ließ. Die Ruder wur- den nun mit aller Anſtrengung gebraucht, aber es ſchien eine Zeitlang zweifelhaft, ob wir das Ufer erreichen, oder, von dem Strome gefaßt, einem neuen Waſſerfall zugefuͤhrt werden wuͤrden. Die Stangen, aus welchen das Floß ge- fuͤgt, ſind 1½ bis 2 Zoll dick, es waren davon drei mitten durchgebrochen, vier der Schlaͤuche geplatzt, zwei davon ge- ſchwommen; indeß naͤherten wir uns gluͤcklicherweiſe dem Ufer. Suleiman-Tſchauſch, um ſich der Lage zu entzie- hen, in welcher er ſich befand, machte mit augenſcheinlich- ſter Lebensgefahr, wie Wilhelm Tell, einen Satz aus dem ſchwankenden Fahrzeuge auf eine Felsklippe, dort fiel er nieder, wendete ſich nach der Kaaba und erhob die Haͤnde zum Gebet; Aly-Aga gelobte, ein Lamm als Kurban zu ſchlachten. Jch hatte bei der ganzen Geſchichte eigentlich die Ueber- zeugung gewonnen, daß man wahrſcheinlich doch durchkom- men wuͤrde, denn ein zaͤheres Weſen als dieſe Keleks giebt es nicht; freilich muß man ſich darein finden, complett im Waſſer zu ſitzen, was zur Zeit der Schneeſchmelze nicht er- freulich iſt; aber ſo wie die Sache einmal eingeleitet war, hatte ich ein großes Jntereſſe, ſie zu Ende zu bringen, viel aͤrger konnt' es nicht mehr kommen. Jch beſchloß daher, den „Kalabalyk“ zuruͤck zu ſchicken, und bot zweien der Kelektſchi's einen Beutel, wenn ſie mit mir allein noch einen Verſuch wagen wollten, denn gegen Mittag konnten

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/373>, abgerufen am 22.11.2024.