die unter sich durch ein schwieriges Gebirge und einen gro- ßen Strom getrennt sind, daß er seine Kräfte wird ver- einigen und vielleicht die militairisch-wichtigen Punkte an der Grenze verschanzen müssen; denn, wenn ich es für wahrscheinlich halte, daß Jbrahim-Pascha, um gegen Konstantinopel vorzubringen, die Operationslinie über Ko- nieh jeder andern vorziehen werde, so setze ich dabei als unerläßlich voraus, daß er sich zuvor durch eine kurze, kräftige Offensive gegen uns Luft mache, ohne welche ein Unternehmen auf Konstantinopel unausführbar wäre. Auf einen solchen plötzlichen Angriff muß Hafiß-Pa- scha nunmehr gefaßt sein.
Es wurde vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen, ob es nicht möglich sein sollte, eine Anzahl Armenier in das türkische Heer einzustellen. Vom Standpunkte des Rechts, oder wenigstens der Billigkeit, dürfte, glaube ich, gegen diese Maaßregel nichts einzuwenden sein. Als die Türken das Land in Besitz nahmen, lag ihnen auch natürlich allein die Behauptung desselben ob; sie übernahmen sie als eine damals leicht zu erfüllende Verbindlichkeit, und belasteten dafür die Rajahs mit Frohnen und Abgaben. Jm Laufe der Zeit hat sich dies Verhältniß wesentlich geändert: die Muselmänner, welche ursprünglich nur mit dem Ertrage der Timare belehnt waren, sind gegenwärtig wirkliche Grund- besitzer geworden, und tragen als solche alle die Lasten, welche an dem Besitz haften; den später eingeführten indi- rekten Abgaben sind sie nicht weniger unterworfen, als die Rajahs, und diese (wenn man von ungesetzlichen Vexatio- nen absieht) zahlen nicht mehr, als die Osmanli, außer dem Haradsch, eine Abgabe, deren realer Werth durch die allgemeine Münzverschlechterung auf noch nicht zwei Tha- ler preuß. Cour. jährlich herabgesunken, in eben der Zeit, wo die Conscription zu einer unerträglichen Last herange- wachsen; denn mit einer an Erschöpfung grenzenden An- strengung unterhält die Pforte ein Heer, welches keines- wegs ausreicht, um das Land von der persischen bis zur
die unter ſich durch ein ſchwieriges Gebirge und einen gro- ßen Strom getrennt ſind, daß er ſeine Kraͤfte wird ver- einigen und vielleicht die militairiſch-wichtigen Punkte an der Grenze verſchanzen muͤſſen; denn, wenn ich es fuͤr wahrſcheinlich halte, daß Jbrahim-Paſcha, um gegen Konſtantinopel vorzubringen, die Operationslinie uͤber Ko- nieh jeder andern vorziehen werde, ſo ſetze ich dabei als unerlaͤßlich voraus, daß er ſich zuvor durch eine kurze, kraͤftige Offenſive gegen uns Luft mache, ohne welche ein Unternehmen auf Konſtantinopel unausfuͤhrbar waͤre. Auf einen ſolchen ploͤtzlichen Angriff muß Hafiß-Pa- ſcha nunmehr gefaßt ſein.
Es wurde vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen, ob es nicht moͤglich ſein ſollte, eine Anzahl Armenier in das tuͤrkiſche Heer einzuſtellen. Vom Standpunkte des Rechts, oder wenigſtens der Billigkeit, duͤrfte, glaube ich, gegen dieſe Maaßregel nichts einzuwenden ſein. Als die Tuͤrken das Land in Beſitz nahmen, lag ihnen auch natuͤrlich allein die Behauptung deſſelben ob; ſie uͤbernahmen ſie als eine damals leicht zu erfuͤllende Verbindlichkeit, und belaſteten dafuͤr die Rajahs mit Frohnen und Abgaben. Jm Laufe der Zeit hat ſich dies Verhaͤltniß weſentlich geaͤndert: die Muſelmaͤnner, welche urſpruͤnglich nur mit dem Ertrage der Timare belehnt waren, ſind gegenwaͤrtig wirkliche Grund- beſitzer geworden, und tragen als ſolche alle die Laſten, welche an dem Beſitz haften; den ſpaͤter eingefuͤhrten indi- rekten Abgaben ſind ſie nicht weniger unterworfen, als die Rajahs, und dieſe (wenn man von ungeſetzlichen Vexatio- nen abſieht) zahlen nicht mehr, als die Osmanli, außer dem Haradſch, eine Abgabe, deren realer Werth durch die allgemeine Muͤnzverſchlechterung auf noch nicht zwei Tha- ler preuß. Cour. jaͤhrlich herabgeſunken, in eben der Zeit, wo die Conſcription zu einer unertraͤglichen Laſt herange- wachſen; denn mit einer an Erſchoͤpfung grenzenden An- ſtrengung unterhaͤlt die Pforte ein Heer, welches keines- wegs ausreicht, um das Land von der perſiſchen bis zur
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0365"n="355"/>
die unter ſich durch ein ſchwieriges Gebirge und einen gro-<lb/>
ßen Strom getrennt ſind, daß er ſeine Kraͤfte wird ver-<lb/>
einigen und vielleicht die militairiſch-wichtigen Punkte an<lb/>
der Grenze verſchanzen muͤſſen; denn, wenn ich es fuͤr<lb/>
wahrſcheinlich halte, daß <hirendition="#g">Jbrahim-Paſcha,</hi> um gegen<lb/>
Konſtantinopel vorzubringen, die Operationslinie uͤber Ko-<lb/>
nieh jeder andern vorziehen werde, ſo ſetze ich dabei als<lb/>
unerlaͤßlich voraus, daß er ſich zuvor durch eine kurze,<lb/>
kraͤftige Offenſive gegen uns Luft mache, ohne welche ein<lb/>
Unternehmen auf Konſtantinopel unausfuͤhrbar waͤre. <hirendition="#g">Auf<lb/>
einen ſolchen ploͤtzlichen Angriff muß Hafiß-Pa-<lb/>ſcha nunmehr gefaßt ſein.</hi></p><lb/><p>Es wurde vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen, ob<lb/>
es nicht moͤglich ſein ſollte, eine Anzahl Armenier in das<lb/>
tuͤrkiſche Heer einzuſtellen. Vom Standpunkte des Rechts,<lb/>
oder wenigſtens der Billigkeit, duͤrfte, glaube ich, gegen<lb/>
dieſe Maaßregel nichts einzuwenden ſein. Als die Tuͤrken<lb/>
das Land in Beſitz nahmen, lag ihnen auch natuͤrlich allein<lb/>
die Behauptung deſſelben ob; ſie uͤbernahmen ſie als eine<lb/>
damals leicht zu erfuͤllende Verbindlichkeit, und belaſteten<lb/>
dafuͤr die Rajahs mit Frohnen und Abgaben. Jm Laufe<lb/>
der Zeit hat ſich dies Verhaͤltniß weſentlich geaͤndert: die<lb/>
Muſelmaͤnner, welche urſpruͤnglich nur mit dem Ertrage<lb/>
der Timare belehnt waren, ſind gegenwaͤrtig wirkliche Grund-<lb/>
beſitzer geworden, und tragen als ſolche alle die Laſten,<lb/>
welche an dem Beſitz haften; den ſpaͤter eingefuͤhrten indi-<lb/>
rekten Abgaben ſind ſie nicht weniger unterworfen, als die<lb/>
Rajahs, und dieſe (wenn man von ungeſetzlichen Vexatio-<lb/>
nen abſieht) zahlen nicht mehr, als die Osmanli, außer<lb/>
dem Haradſch, eine Abgabe, deren realer Werth durch die<lb/>
allgemeine Muͤnzverſchlechterung auf noch nicht zwei Tha-<lb/>
ler preuß. Cour. jaͤhrlich herabgeſunken, in eben der Zeit,<lb/>
wo die Conſcription zu einer unertraͤglichen Laſt herange-<lb/>
wachſen; denn mit einer an Erſchoͤpfung grenzenden An-<lb/>ſtrengung unterhaͤlt die Pforte ein Heer, welches keines-<lb/>
wegs ausreicht, um das Land von der perſiſchen bis zur<lb/></p></div></body></text></TEI>
[355/0365]
die unter ſich durch ein ſchwieriges Gebirge und einen gro-
ßen Strom getrennt ſind, daß er ſeine Kraͤfte wird ver-
einigen und vielleicht die militairiſch-wichtigen Punkte an
der Grenze verſchanzen muͤſſen; denn, wenn ich es fuͤr
wahrſcheinlich halte, daß Jbrahim-Paſcha, um gegen
Konſtantinopel vorzubringen, die Operationslinie uͤber Ko-
nieh jeder andern vorziehen werde, ſo ſetze ich dabei als
unerlaͤßlich voraus, daß er ſich zuvor durch eine kurze,
kraͤftige Offenſive gegen uns Luft mache, ohne welche ein
Unternehmen auf Konſtantinopel unausfuͤhrbar waͤre. Auf
einen ſolchen ploͤtzlichen Angriff muß Hafiß-Pa-
ſcha nunmehr gefaßt ſein.
Es wurde vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen, ob
es nicht moͤglich ſein ſollte, eine Anzahl Armenier in das
tuͤrkiſche Heer einzuſtellen. Vom Standpunkte des Rechts,
oder wenigſtens der Billigkeit, duͤrfte, glaube ich, gegen
dieſe Maaßregel nichts einzuwenden ſein. Als die Tuͤrken
das Land in Beſitz nahmen, lag ihnen auch natuͤrlich allein
die Behauptung deſſelben ob; ſie uͤbernahmen ſie als eine
damals leicht zu erfuͤllende Verbindlichkeit, und belaſteten
dafuͤr die Rajahs mit Frohnen und Abgaben. Jm Laufe
der Zeit hat ſich dies Verhaͤltniß weſentlich geaͤndert: die
Muſelmaͤnner, welche urſpruͤnglich nur mit dem Ertrage
der Timare belehnt waren, ſind gegenwaͤrtig wirkliche Grund-
beſitzer geworden, und tragen als ſolche alle die Laſten,
welche an dem Beſitz haften; den ſpaͤter eingefuͤhrten indi-
rekten Abgaben ſind ſie nicht weniger unterworfen, als die
Rajahs, und dieſe (wenn man von ungeſetzlichen Vexatio-
nen abſieht) zahlen nicht mehr, als die Osmanli, außer
dem Haradſch, eine Abgabe, deren realer Werth durch die
allgemeine Muͤnzverſchlechterung auf noch nicht zwei Tha-
ler preuß. Cour. jaͤhrlich herabgeſunken, in eben der Zeit,
wo die Conſcription zu einer unertraͤglichen Laſt herange-
wachſen; denn mit einer an Erſchoͤpfung grenzenden An-
ſtrengung unterhaͤlt die Pforte ein Heer, welches keines-
wegs ausreicht, um das Land von der perſiſchen bis zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/365>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.