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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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nisse schließen, ich muß vielmehr ausdrücklich hinzusetzen,
daß die Dinge hier weit kriegerischer und drohender aus-
sehen, als dies in Constantinopel bis Ende Januars der Fall
gewesen zu sein scheint.

Es ist im verflossenen Jahre mit großer Thätigkeit
hier gearbeitet worden, das Corps Hafiß-Pascha's steht
vollkommen gerüstet da, und kann auf den ersten Befehl
aufbrechen. Andererseits macht Jbrahim starke Sendun-
gen von Munition nach der nördlichen Grenze Syriens.

Die Gründe, welche Hauptmann F. für die Verschie-
bung des nahe drohenden Conflikts bis zum Herbst an-
führt, sind vollkommen richtig; es ist nur die Frage, ob
es noch möglich sein wird, dem Ausbruch vorzubeugen.
Jch möchte fast glauben, daß Se. Hoheit nur dann auf
eine Verlängerung des status quo eingehen wird, wenn
ein wirklicher Friede, ein Zustand in Aussicht gestellt wer-
den kann, welcher nicht, wie der jetzige, nöthig macht, in
dem entferntesten Winkel des Landes ein Heer beisammen
zu halten, das die Kräfte des Staats erschöpft und die
Provinz zu Grunde richtet. Jener Zustand setzt aber die
Entwaffnung Mehmet-Aly's voraus, und wie weit diese
im Bereich des Wollens und des Könnens der europäischen
Cabinette liegt, kann ich nicht beurtheilen.

Es bleibt mir noch übrig, hinzuzufügen, daß, so weit
ich die Verhältnisse hier kenne und nach meiner vollsten
Ueberzeugung, im Fall eines Krieges die strategische Lage,
die Stärke der Streitmacht und die Stimmung des Lan-
des zu Gunsten der Pforte sind; verbürgen kann den
Ausgang jedoch Niemand, und ich wünsche aufrichtig, daß
das Einschreiten der Diplomatie den Ausbruch dieses Sturms
verhindern möge.


Seit meinem letzten Briefe vom 25. Februar sind hier
in der Lage der Dinge keine Veränderungen eingetreten.

niſſe ſchließen, ich muß vielmehr ausdruͤcklich hinzuſetzen,
daß die Dinge hier weit kriegeriſcher und drohender aus-
ſehen, als dies in Conſtantinopel bis Ende Januars der Fall
geweſen zu ſein ſcheint.

Es iſt im verfloſſenen Jahre mit großer Thaͤtigkeit
hier gearbeitet worden, das Corps Hafiß-Paſcha's ſteht
vollkommen geruͤſtet da, und kann auf den erſten Befehl
aufbrechen. Andererſeits macht Jbrahim ſtarke Sendun-
gen von Munition nach der noͤrdlichen Grenze Syriens.

Die Gruͤnde, welche Hauptmann F. fuͤr die Verſchie-
bung des nahe drohenden Conflikts bis zum Herbſt an-
fuͤhrt, ſind vollkommen richtig; es iſt nur die Frage, ob
es noch moͤglich ſein wird, dem Ausbruch vorzubeugen.
Jch moͤchte faſt glauben, daß Se. Hoheit nur dann auf
eine Verlaͤngerung des status quo eingehen wird, wenn
ein wirklicher Friede, ein Zuſtand in Ausſicht geſtellt wer-
den kann, welcher nicht, wie der jetzige, noͤthig macht, in
dem entfernteſten Winkel des Landes ein Heer beiſammen
zu halten, das die Kraͤfte des Staats erſchoͤpft und die
Provinz zu Grunde richtet. Jener Zuſtand ſetzt aber die
Entwaffnung Mehmet-Aly's voraus, und wie weit dieſe
im Bereich des Wollens und des Koͤnnens der europaͤiſchen
Cabinette liegt, kann ich nicht beurtheilen.

Es bleibt mir noch uͤbrig, hinzuzufuͤgen, daß, ſo weit
ich die Verhaͤltniſſe hier kenne und nach meiner vollſten
Ueberzeugung, im Fall eines Krieges die ſtrategiſche Lage,
die Staͤrke der Streitmacht und die Stimmung des Lan-
des zu Gunſten der Pforte ſind; verbuͤrgen kann den
Ausgang jedoch Niemand, und ich wuͤnſche aufrichtig, daß
das Einſchreiten der Diplomatie den Ausbruch dieſes Sturms
verhindern moͤge.


Seit meinem letzten Briefe vom 25. Februar ſind hier
in der Lage der Dinge keine Veraͤnderungen eingetreten.

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[349/0359] niſſe ſchließen, ich muß vielmehr ausdruͤcklich hinzuſetzen, daß die Dinge hier weit kriegeriſcher und drohender aus- ſehen, als dies in Conſtantinopel bis Ende Januars der Fall geweſen zu ſein ſcheint. Es iſt im verfloſſenen Jahre mit großer Thaͤtigkeit hier gearbeitet worden, das Corps Hafiß-Paſcha's ſteht vollkommen geruͤſtet da, und kann auf den erſten Befehl aufbrechen. Andererſeits macht Jbrahim ſtarke Sendun- gen von Munition nach der noͤrdlichen Grenze Syriens. Die Gruͤnde, welche Hauptmann F. fuͤr die Verſchie- bung des nahe drohenden Conflikts bis zum Herbſt an- fuͤhrt, ſind vollkommen richtig; es iſt nur die Frage, ob es noch moͤglich ſein wird, dem Ausbruch vorzubeugen. Jch moͤchte faſt glauben, daß Se. Hoheit nur dann auf eine Verlaͤngerung des status quo eingehen wird, wenn ein wirklicher Friede, ein Zuſtand in Ausſicht geſtellt wer- den kann, welcher nicht, wie der jetzige, noͤthig macht, in dem entfernteſten Winkel des Landes ein Heer beiſammen zu halten, das die Kraͤfte des Staats erſchoͤpft und die Provinz zu Grunde richtet. Jener Zuſtand ſetzt aber die Entwaffnung Mehmet-Aly's voraus, und wie weit dieſe im Bereich des Wollens und des Koͤnnens der europaͤiſchen Cabinette liegt, kann ich nicht beurtheilen. Es bleibt mir noch uͤbrig, hinzuzufuͤgen, daß, ſo weit ich die Verhaͤltniſſe hier kenne und nach meiner vollſten Ueberzeugung, im Fall eines Krieges die ſtrategiſche Lage, die Staͤrke der Streitmacht und die Stimmung des Lan- des zu Gunſten der Pforte ſind; verbuͤrgen kann den Ausgang jedoch Niemand, und ich wuͤnſche aufrichtig, daß das Einſchreiten der Diplomatie den Ausbruch dieſes Sturms verhindern moͤge. Malatia, den 23. Maͤrz 1839. Seit meinem letzten Briefe vom 25. Februar ſind hier in der Lage der Dinge keine Veraͤnderungen eingetreten.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/359>, abgerufen am 25.11.2024.