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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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kurz das ganze Heer alter Mißbräuche neu wieder ein, so
ist jeder Tropfen Bluts zu bedauern, der für eine solche
Sache verspritzt werden wird. Jn einem zur Empörung
ohnehin so geneigten Lande werden partielle Auflehnungen
dann nicht auf sich warten lassen, man wird genöthigt
sein, eine beträchtliche Heeresmacht fortwährend in Syrien
zu unterhalten; dadurch wird die Last der Abgaben und die
Conscription gesteigert und das Uebel nur vermehrt werden.

Eine gute Verwaltung hingegen wird den Besitz von
Syrien besser, als 40,000 Mann sichern. Wenn in einem
so reichen Lande die Abgaben in jeder Commune von den
Aeltesten eingesammelt und direkt an die Staatskassen ab-
geliefert würden, wenn an die Stelle rein persönlicher, col-
legialische Behörden treten, wenn die Beamten vom Staate
besoldet, und wo möglich reich besoldet, und streng beauf-
sichtigt würden, so müßten die Syrier sehr verblendet sein,
wenn sie einen solchen Zustand nicht gegen den gegen-
wärtigen beispiellosen Druck vertauschen wollten.

Der Augenblick, wo etwa ein Krieg beschlossen würde,
scheint der günstigste, um die Minister der Pforte auf diese
Gegenstände aufmerksam zu machen. Ein Manifest des
Großherrn, welches eine solche Administration in Aussicht
stellt, Sicherheit des Eigenthums, strenge Mannszucht im
Heer und Amnestie für die, welche sich unterwerfen, ver-
heißt, müßte, glaub' ich, beim Ausbruch eines Krieges
einen sehr günstigen Eindruck machen. --


So wenig ist bis jetzt von Seiten unsers Corps ein
herausfordernder Schritt geschehen, daß vielmehr die in
Malatia concentrirt gewesenen Truppen zur Hälfte in die
rückwärts gelegenen Cantonnirungen Diarbekir und Suve-
rek dislocirt worden sind.

Man darf indeß aus dieser anscheinend friedfertigen
Maaßregel nicht auf eine größere Stabilität der Verhält-

kurz das ganze Heer alter Mißbraͤuche neu wieder ein, ſo
iſt jeder Tropfen Bluts zu bedauern, der fuͤr eine ſolche
Sache verſpritzt werden wird. Jn einem zur Empoͤrung
ohnehin ſo geneigten Lande werden partielle Auflehnungen
dann nicht auf ſich warten laſſen, man wird genoͤthigt
ſein, eine betraͤchtliche Heeresmacht fortwaͤhrend in Syrien
zu unterhalten; dadurch wird die Laſt der Abgaben und die
Conſcription geſteigert und das Uebel nur vermehrt werden.

Eine gute Verwaltung hingegen wird den Beſitz von
Syrien beſſer, als 40,000 Mann ſichern. Wenn in einem
ſo reichen Lande die Abgaben in jeder Commune von den
Aelteſten eingeſammelt und direkt an die Staatskaſſen ab-
geliefert wuͤrden, wenn an die Stelle rein perſoͤnlicher, col-
legialiſche Behoͤrden treten, wenn die Beamten vom Staate
beſoldet, und wo moͤglich reich beſoldet, und ſtreng beauf-
ſichtigt wuͤrden, ſo muͤßten die Syrier ſehr verblendet ſein,
wenn ſie einen ſolchen Zuſtand nicht gegen den gegen-
waͤrtigen beiſpielloſen Druck vertauſchen wollten.

Der Augenblick, wo etwa ein Krieg beſchloſſen wuͤrde,
ſcheint der guͤnſtigſte, um die Miniſter der Pforte auf dieſe
Gegenſtaͤnde aufmerkſam zu machen. Ein Manifeſt des
Großherrn, welches eine ſolche Adminiſtration in Ausſicht
ſtellt, Sicherheit des Eigenthums, ſtrenge Mannszucht im
Heer und Amneſtie fuͤr die, welche ſich unterwerfen, ver-
heißt, muͤßte, glaub' ich, beim Ausbruch eines Krieges
einen ſehr guͤnſtigen Eindruck machen. —


So wenig iſt bis jetzt von Seiten unſers Corps ein
herausfordernder Schritt geſchehen, daß vielmehr die in
Malatia concentrirt geweſenen Truppen zur Haͤlfte in die
ruͤckwaͤrts gelegenen Cantonnirungen Diarbekir und Suve-
rek dislocirt worden ſind.

Man darf indeß aus dieſer anſcheinend friedfertigen
Maaßregel nicht auf eine groͤßere Stabilitaͤt der Verhaͤlt-

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[348/0358] kurz das ganze Heer alter Mißbraͤuche neu wieder ein, ſo iſt jeder Tropfen Bluts zu bedauern, der fuͤr eine ſolche Sache verſpritzt werden wird. Jn einem zur Empoͤrung ohnehin ſo geneigten Lande werden partielle Auflehnungen dann nicht auf ſich warten laſſen, man wird genoͤthigt ſein, eine betraͤchtliche Heeresmacht fortwaͤhrend in Syrien zu unterhalten; dadurch wird die Laſt der Abgaben und die Conſcription geſteigert und das Uebel nur vermehrt werden. Eine gute Verwaltung hingegen wird den Beſitz von Syrien beſſer, als 40,000 Mann ſichern. Wenn in einem ſo reichen Lande die Abgaben in jeder Commune von den Aelteſten eingeſammelt und direkt an die Staatskaſſen ab- geliefert wuͤrden, wenn an die Stelle rein perſoͤnlicher, col- legialiſche Behoͤrden treten, wenn die Beamten vom Staate beſoldet, und wo moͤglich reich beſoldet, und ſtreng beauf- ſichtigt wuͤrden, ſo muͤßten die Syrier ſehr verblendet ſein, wenn ſie einen ſolchen Zuſtand nicht gegen den gegen- waͤrtigen beiſpielloſen Druck vertauſchen wollten. Der Augenblick, wo etwa ein Krieg beſchloſſen wuͤrde, ſcheint der guͤnſtigſte, um die Miniſter der Pforte auf dieſe Gegenſtaͤnde aufmerkſam zu machen. Ein Manifeſt des Großherrn, welches eine ſolche Adminiſtration in Ausſicht ſtellt, Sicherheit des Eigenthums, ſtrenge Mannszucht im Heer und Amneſtie fuͤr die, welche ſich unterwerfen, ver- heißt, muͤßte, glaub' ich, beim Ausbruch eines Krieges einen ſehr guͤnſtigen Eindruck machen. — Malatia, den 25. Februar 1839. So wenig iſt bis jetzt von Seiten unſers Corps ein herausfordernder Schritt geſchehen, daß vielmehr die in Malatia concentrirt geweſenen Truppen zur Haͤlfte in die ruͤckwaͤrts gelegenen Cantonnirungen Diarbekir und Suve- rek dislocirt worden ſind. Man darf indeß aus dieſer anſcheinend friedfertigen Maaßregel nicht auf eine groͤßere Stabilitaͤt der Verhaͤlt-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/358>, abgerufen am 22.11.2024.