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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Tage gedauert, führten wir ein Manöver mit 9 Bataillo-
nen, 6 Escadrons und 4 Geschützen aus, welches gut ge-
nug gelang, und an dem die Soldaten selbst ihre Freude
hatten. Jch reiste hierauf nach Biradschik ab, und über-
nachtete in demselben Backofen zu Tscharmelik, von welchem
ich Dir früher einmal schrieb; ich war nicht wenig erstaunt,
gegen Abend an dreißig Stück Büffel, Ochsen und Maul-
thiere in meinen Salon einpassiren und durch eine Hinter-
thür verschwinden zu sehen. Es befand sich nämlich hin-
ter dem Hause, wenn man es so nennen will, eine geräu-
mige Höhle, die als Stall diente. Jn diesem Lande, wo
es an allem und jedem Baumaterial fehlt, ist es ein Glück,
daß die Natur selbst eine große Menge von Höhlen in dem
Kalk-Sandstein geschaffen.

Der Pascha von Biradschik ist in Orfa, und ich habe
einstweilen Besitz von seinem Konak genommen. Ein Ca-
pitain und Compagnie-Chef, welcher mit meiner Bedienung
beauftragt, steht unablässig mit gekreuzten Händen vor mir
und reicht mir einen Tschibuk nach dem andern, wobei 5
bis 6 Aga's ihm helfen. Anfangs fiel mir diese Höflich-
keit entsetzlich lästig, aber man muß sich daran gewöhnen;
auch kann ich keinen Schritt aus dem Hause gehen, ohne
den Tschausch oder Sergeanten auf den Fersen zu haben,
welcher als Ordonnanz kommandirt ist; vergebens suche ich
ihn abzustreifen, er folgt wie mein Schatten; da ich nun
gern und schnell spazieren gehe, und von der Topographie
her lange Schritte mache, so kommt der arme Mensch bei
dieser Fatigue ganz von Kräften. Die Türken begreifen
überhaupt nicht, wie Jemand, der ein Pferd oder einen
Esel hat, zu Fuße gehen kann; sie stehen still und sehen
nach: "Jürür" -- er wandert -- sagen sie erstaunt. Aber
allein spazieren gehen ist noch ein größerer Verstoß gegen
die Sitte, als Gehen überhaupt, und man muß schon
sehr miserabel sein, um nicht wenigstens einen Faullenzer
hinter sich drein zu haben, der die Pfeife trägt. Jn Ma-
latia begegnete mir eines Tages ein Eseltreiber, der mit

Tage gedauert, fuͤhrten wir ein Manoͤver mit 9 Bataillo-
nen, 6 Escadrons und 4 Geſchuͤtzen aus, welches gut ge-
nug gelang, und an dem die Soldaten ſelbſt ihre Freude
hatten. Jch reiſte hierauf nach Biradſchik ab, und uͤber-
nachtete in demſelben Backofen zu Tſcharmelik, von welchem
ich Dir fruͤher einmal ſchrieb; ich war nicht wenig erſtaunt,
gegen Abend an dreißig Stuͤck Buͤffel, Ochſen und Maul-
thiere in meinen Salon einpaſſiren und durch eine Hinter-
thuͤr verſchwinden zu ſehen. Es befand ſich naͤmlich hin-
ter dem Hauſe, wenn man es ſo nennen will, eine geraͤu-
mige Hoͤhle, die als Stall diente. Jn dieſem Lande, wo
es an allem und jedem Baumaterial fehlt, iſt es ein Gluͤck,
daß die Natur ſelbſt eine große Menge von Hoͤhlen in dem
Kalk-Sandſtein geſchaffen.

Der Paſcha von Biradſchik iſt in Orfa, und ich habe
einſtweilen Beſitz von ſeinem Konak genommen. Ein Ca-
pitain und Compagnie-Chef, welcher mit meiner Bedienung
beauftragt, ſteht unablaͤſſig mit gekreuzten Haͤnden vor mir
und reicht mir einen Tſchibuk nach dem andern, wobei 5
bis 6 Aga's ihm helfen. Anfangs fiel mir dieſe Hoͤflich-
keit entſetzlich laͤſtig, aber man muß ſich daran gewoͤhnen;
auch kann ich keinen Schritt aus dem Hauſe gehen, ohne
den Tſchauſch oder Sergeanten auf den Ferſen zu haben,
welcher als Ordonnanz kommandirt iſt; vergebens ſuche ich
ihn abzuſtreifen, er folgt wie mein Schatten; da ich nun
gern und ſchnell ſpazieren gehe, und von der Topographie
her lange Schritte mache, ſo kommt der arme Menſch bei
dieſer Fatigue ganz von Kraͤften. Die Tuͤrken begreifen
uͤberhaupt nicht, wie Jemand, der ein Pferd oder einen
Eſel hat, zu Fuße gehen kann; ſie ſtehen ſtill und ſehen
nach: „Juͤruͤr“ — er wandert — ſagen ſie erſtaunt. Aber
allein ſpazieren gehen iſt noch ein groͤßerer Verſtoß gegen
die Sitte, als Gehen uͤberhaupt, und man muß ſchon
ſehr miſerabel ſein, um nicht wenigſtens einen Faullenzer
hinter ſich drein zu haben, der die Pfeife traͤgt. Jn Ma-
latia begegnete mir eines Tages ein Eſeltreiber, der mit

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[344/0354] Tage gedauert, fuͤhrten wir ein Manoͤver mit 9 Bataillo- nen, 6 Escadrons und 4 Geſchuͤtzen aus, welches gut ge- nug gelang, und an dem die Soldaten ſelbſt ihre Freude hatten. Jch reiſte hierauf nach Biradſchik ab, und uͤber- nachtete in demſelben Backofen zu Tſcharmelik, von welchem ich Dir fruͤher einmal ſchrieb; ich war nicht wenig erſtaunt, gegen Abend an dreißig Stuͤck Buͤffel, Ochſen und Maul- thiere in meinen Salon einpaſſiren und durch eine Hinter- thuͤr verſchwinden zu ſehen. Es befand ſich naͤmlich hin- ter dem Hauſe, wenn man es ſo nennen will, eine geraͤu- mige Hoͤhle, die als Stall diente. Jn dieſem Lande, wo es an allem und jedem Baumaterial fehlt, iſt es ein Gluͤck, daß die Natur ſelbſt eine große Menge von Hoͤhlen in dem Kalk-Sandſtein geſchaffen. Der Paſcha von Biradſchik iſt in Orfa, und ich habe einſtweilen Beſitz von ſeinem Konak genommen. Ein Ca- pitain und Compagnie-Chef, welcher mit meiner Bedienung beauftragt, ſteht unablaͤſſig mit gekreuzten Haͤnden vor mir und reicht mir einen Tſchibuk nach dem andern, wobei 5 bis 6 Aga's ihm helfen. Anfangs fiel mir dieſe Hoͤflich- keit entſetzlich laͤſtig, aber man muß ſich daran gewoͤhnen; auch kann ich keinen Schritt aus dem Hauſe gehen, ohne den Tſchauſch oder Sergeanten auf den Ferſen zu haben, welcher als Ordonnanz kommandirt iſt; vergebens ſuche ich ihn abzuſtreifen, er folgt wie mein Schatten; da ich nun gern und ſchnell ſpazieren gehe, und von der Topographie her lange Schritte mache, ſo kommt der arme Menſch bei dieſer Fatigue ganz von Kraͤften. Die Tuͤrken begreifen uͤberhaupt nicht, wie Jemand, der ein Pferd oder einen Eſel hat, zu Fuße gehen kann; ſie ſtehen ſtill und ſehen nach: „Juͤruͤr“ — er wandert — ſagen ſie erſtaunt. Aber allein ſpazieren gehen iſt noch ein groͤßerer Verſtoß gegen die Sitte, als Gehen uͤberhaupt, und man muß ſchon ſehr miſerabel ſein, um nicht wenigſtens einen Faullenzer hinter ſich drein zu haben, der die Pfeife traͤgt. Jn Ma- latia begegnete mir eines Tages ein Eſeltreiber, der mit

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/354>, abgerufen am 22.11.2024.