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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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sie in der gestreckten Carriere hinfliegen, das Pferd in klei-
nen Volten plötzlich herum werfen oder kurz pariren sieht,
so sollte man nicht denken, daß das Thier oft das halbe
oder ganze Vermögen des Reiters ausmacht. Die Gesell-
schaft theilt sich ohne weitere Anordnung in zwei Partheien,
eine der andern gegenüber; wer will, sprengt hervor, so-
bald er umdreht, jagt ihm ein Anderer nach, sucht ihn ein-
zuholen, und schleudert, hoch in den kurzen Bügeln aufgerich-
tet, den Dscherid mit aller Gewalt ihm nach. Der Dscherid
ist ein Wurfspieß, dem die Spitze fehlt, ein drei Fuß lan-
ger Stock, der fingerdick, auch wohl etwas dicker ist; es
giebt daher oft tüchtige Puffe, von einem Unglück aber hört
man fast nie. Obwohl man stets nur im Verfolgen wirft,
so wird die Gefahr, das Auge des Gegners zu treffen, da-
durch nicht ganz beseitigt, denn der Verfolgte sieht sich
um, dem Wurf auszuweichen oder den Djerid mit der Hand
seitwärts zu schleudern; Viele fangen den Stab und schik-
ken ihn ihrem Verfolger zurück. Jch habe aber bemerkt,
daß der Niedere gegen den Vornehmern seinen Wurf sehr
mäßigt und gewissermaßen nur markirt. Die Pferde schei-
nen ein eben so großes Vergnügen an diesem Spiele zu
nehmen, als der Reiter; da ich ein Pferd des Pascha's
ritt, welches ich noch nicht kannte, so nahm ich Anstand,
mich in die Melee zu mischen, das Thier stampfte und wie-
herte, und als ich ihm die Zügel schießen ließ, jagte es
mit solcher Gewalt und zeigte sich doch so folgsam gegen
Zügel und Schenkel, daß der schlechteste Reiter mit Ehren
hätte bestehen können.

Die ganze bewegte Scene an dem Fuße eines alten
grauen Castells, die unbegrenzte Wüste im Hintergrunde,
gab ein schönes und charakteristisches Bild.

Gestern besuchte ich die Höhlen, welche sich auf dem
Gipfel eines Berges nahe an der Stadt befinden. Es
scheint, daß man alle die Steine zur Mauer, zu den Mo-
scheen, Caravanserajen und Bädern hier geschnitten hat;
die Höhlen, welche dadurch entstanden, sind von außeror-

ſie in der geſtreckten Carriere hinfliegen, das Pferd in klei-
nen Volten ploͤtzlich herum werfen oder kurz pariren ſieht,
ſo ſollte man nicht denken, daß das Thier oft das halbe
oder ganze Vermoͤgen des Reiters ausmacht. Die Geſell-
ſchaft theilt ſich ohne weitere Anordnung in zwei Partheien,
eine der andern gegenuͤber; wer will, ſprengt hervor, ſo-
bald er umdreht, jagt ihm ein Anderer nach, ſucht ihn ein-
zuholen, und ſchleudert, hoch in den kurzen Buͤgeln aufgerich-
tet, den Dſcherid mit aller Gewalt ihm nach. Der Dſcherid
iſt ein Wurfſpieß, dem die Spitze fehlt, ein drei Fuß lan-
ger Stock, der fingerdick, auch wohl etwas dicker iſt; es
giebt daher oft tuͤchtige Puffe, von einem Ungluͤck aber hoͤrt
man faſt nie. Obwohl man ſtets nur im Verfolgen wirft,
ſo wird die Gefahr, das Auge des Gegners zu treffen, da-
durch nicht ganz beſeitigt, denn der Verfolgte ſieht ſich
um, dem Wurf auszuweichen oder den Djerid mit der Hand
ſeitwaͤrts zu ſchleudern; Viele fangen den Stab und ſchik-
ken ihn ihrem Verfolger zuruͤck. Jch habe aber bemerkt,
daß der Niedere gegen den Vornehmern ſeinen Wurf ſehr
maͤßigt und gewiſſermaßen nur markirt. Die Pferde ſchei-
nen ein eben ſo großes Vergnuͤgen an dieſem Spiele zu
nehmen, als der Reiter; da ich ein Pferd des Paſcha's
ritt, welches ich noch nicht kannte, ſo nahm ich Anſtand,
mich in die Melee zu miſchen, das Thier ſtampfte und wie-
herte, und als ich ihm die Zuͤgel ſchießen ließ, jagte es
mit ſolcher Gewalt und zeigte ſich doch ſo folgſam gegen
Zuͤgel und Schenkel, daß der ſchlechteſte Reiter mit Ehren
haͤtte beſtehen koͤnnen.

Die ganze bewegte Scene an dem Fuße eines alten
grauen Caſtells, die unbegrenzte Wuͤſte im Hintergrunde,
gab ein ſchoͤnes und charakteriſtiſches Bild.

Geſtern beſuchte ich die Hoͤhlen, welche ſich auf dem
Gipfel eines Berges nahe an der Stadt befinden. Es
ſcheint, daß man alle die Steine zur Mauer, zu den Mo-
ſcheen, Caravanſerajen und Baͤdern hier geſchnitten hat;
die Hoͤhlen, welche dadurch entſtanden, ſind von außeror-

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[342/0352] ſie in der geſtreckten Carriere hinfliegen, das Pferd in klei- nen Volten ploͤtzlich herum werfen oder kurz pariren ſieht, ſo ſollte man nicht denken, daß das Thier oft das halbe oder ganze Vermoͤgen des Reiters ausmacht. Die Geſell- ſchaft theilt ſich ohne weitere Anordnung in zwei Partheien, eine der andern gegenuͤber; wer will, ſprengt hervor, ſo- bald er umdreht, jagt ihm ein Anderer nach, ſucht ihn ein- zuholen, und ſchleudert, hoch in den kurzen Buͤgeln aufgerich- tet, den Dſcherid mit aller Gewalt ihm nach. Der Dſcherid iſt ein Wurfſpieß, dem die Spitze fehlt, ein drei Fuß lan- ger Stock, der fingerdick, auch wohl etwas dicker iſt; es giebt daher oft tuͤchtige Puffe, von einem Ungluͤck aber hoͤrt man faſt nie. Obwohl man ſtets nur im Verfolgen wirft, ſo wird die Gefahr, das Auge des Gegners zu treffen, da- durch nicht ganz beſeitigt, denn der Verfolgte ſieht ſich um, dem Wurf auszuweichen oder den Djerid mit der Hand ſeitwaͤrts zu ſchleudern; Viele fangen den Stab und ſchik- ken ihn ihrem Verfolger zuruͤck. Jch habe aber bemerkt, daß der Niedere gegen den Vornehmern ſeinen Wurf ſehr maͤßigt und gewiſſermaßen nur markirt. Die Pferde ſchei- nen ein eben ſo großes Vergnuͤgen an dieſem Spiele zu nehmen, als der Reiter; da ich ein Pferd des Paſcha's ritt, welches ich noch nicht kannte, ſo nahm ich Anſtand, mich in die Melee zu miſchen, das Thier ſtampfte und wie- herte, und als ich ihm die Zuͤgel ſchießen ließ, jagte es mit ſolcher Gewalt und zeigte ſich doch ſo folgſam gegen Zuͤgel und Schenkel, daß der ſchlechteſte Reiter mit Ehren haͤtte beſtehen koͤnnen. Die ganze bewegte Scene an dem Fuße eines alten grauen Caſtells, die unbegrenzte Wuͤſte im Hintergrunde, gab ein ſchoͤnes und charakteriſtiſches Bild. Geſtern beſuchte ich die Hoͤhlen, welche ſich auf dem Gipfel eines Berges nahe an der Stadt befinden. Es ſcheint, daß man alle die Steine zur Mauer, zu den Mo- ſcheen, Caravanſerajen und Baͤdern hier geſchnitten hat; die Hoͤhlen, welche dadurch entſtanden, ſind von außeror-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/352>, abgerufen am 25.11.2024.