Stunden unterhalb seines Ursprungs schon einen mächtigen Strom bildet, der sich durch hohes Gebirge hervordrängt und in die Bucht von Skenderum ergießt. Das Wasser- gebiet des mittelländischen Meeres reicht überhaupt viel weiter nördlich hinauf, als es die Karten angeben, näm- lich bis zum 40sten Breitengrade. Die Quellen entsprin- gen auf dem weiten Plateau des mittlern Kleinasiens am Fuße des Erdschiesch und Hinsere-Dagh; sie fließen dann in flachen Mulden bis an das hohe Gebirge, welches die Grenze von Adana ausmacht; dieses durchbrechen sie, oder vielmehr sie stürzen in die Durchbrüche des Gebirgs hin- ab, als wasserreiche reißende Ströme dem mittelländischen Meere zu.
Die besondern Verhältnisse, unter denen ich reise, schlie- ßen mir Gegenden auf, die zu durchstreifen jedem Europäer bisher unmöglich war; Gegenden, die man noch heute zum Theil nicht ohne militairische Escorte durchziehen, oder, wie den Karsann-Dagh, nur im Gefolge eines Heeres betreten kann. So günstige Umstände vereinigen sich selten, und ich benutze sie gewissenhaft; ich habe jetzt auf mehr als 700 geograph. Meilen dies Land durchkreuzt und von sämmt- lichen die Jtinerairs gezeichnet. Als wirklichen Gewinn rechne ich die Berichtigung der Zuflüsse der Seyhun und Dschehun, und des mittlern Lauf des Murad oder Euphrat. Auf diesem konnte bis jetzt kein Reisender vordringen, da die noch immer sehr mißliche Flößbarkeit erst eben durch Sprengungen möglich gemacht ist.
Von Albistan ging ich einen achtzehnstündigen sehr schwie- rigen Gebirgsweg nach Pullat in der Ebene von Malatia hinab, wo ich bei einem Guß-Regen am 29. Oktober glück- lich wieder eintraf, nachdem ich, den Aufenthalt in Konieh eingerechnet, in sechs und zwanzig Tagen 190 deutsche Mei- len geritten. Der Pascha, welcher mich durchnäßt sah, und doch gern gleich meinen Bericht hören wollte, ließ mir sei- nen Mantel anziehen und einen trocknen Feß aufstülpen, und hielt mich fest bis Mitternacht.
Stunden unterhalb ſeines Urſprungs ſchon einen maͤchtigen Strom bildet, der ſich durch hohes Gebirge hervordraͤngt und in die Bucht von Skenderum ergießt. Das Waſſer- gebiet des mittellaͤndiſchen Meeres reicht uͤberhaupt viel weiter noͤrdlich hinauf, als es die Karten angeben, naͤm- lich bis zum 40ſten Breitengrade. Die Quellen entſprin- gen auf dem weiten Plateau des mittlern Kleinaſiens am Fuße des Erdſchieſch und Hinſere-Dagh; ſie fließen dann in flachen Mulden bis an das hohe Gebirge, welches die Grenze von Adana ausmacht; dieſes durchbrechen ſie, oder vielmehr ſie ſtuͤrzen in die Durchbruͤche des Gebirgs hin- ab, als waſſerreiche reißende Stroͤme dem mittellaͤndiſchen Meere zu.
Die beſondern Verhaͤltniſſe, unter denen ich reiſe, ſchlie- ßen mir Gegenden auf, die zu durchſtreifen jedem Europaͤer bisher unmoͤglich war; Gegenden, die man noch heute zum Theil nicht ohne militairiſche Escorte durchziehen, oder, wie den Karſann-Dagh, nur im Gefolge eines Heeres betreten kann. So guͤnſtige Umſtaͤnde vereinigen ſich ſelten, und ich benutze ſie gewiſſenhaft; ich habe jetzt auf mehr als 700 geograph. Meilen dies Land durchkreuzt und von ſaͤmmt- lichen die Jtinerairs gezeichnet. Als wirklichen Gewinn rechne ich die Berichtigung der Zufluͤſſe der Seyhun und Dſchehun, und des mittlern Lauf des Murad oder Euphrat. Auf dieſem konnte bis jetzt kein Reiſender vordringen, da die noch immer ſehr mißliche Floͤßbarkeit erſt eben durch Sprengungen moͤglich gemacht iſt.
Von Albiſtan ging ich einen achtzehnſtuͤndigen ſehr ſchwie- rigen Gebirgsweg nach Pullat in der Ebene von Malatia hinab, wo ich bei einem Guß-Regen am 29. Oktober gluͤck- lich wieder eintraf, nachdem ich, den Aufenthalt in Konieh eingerechnet, in ſechs und zwanzig Tagen 190 deutſche Mei- len geritten. Der Paſcha, welcher mich durchnaͤßt ſah, und doch gern gleich meinen Bericht hoͤren wollte, ließ mir ſei- nen Mantel anziehen und einen trocknen Feß aufſtuͤlpen, und hielt mich feſt bis Mitternacht.
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Stunden unterhalb ſeines Urſprungs ſchon einen maͤchtigen
Strom bildet, der ſich durch hohes Gebirge hervordraͤngt
und in die Bucht von Skenderum ergießt. Das Waſſer-
gebiet des mittellaͤndiſchen Meeres reicht uͤberhaupt viel
weiter noͤrdlich hinauf, als es die Karten angeben, naͤm-
lich bis zum 40ſten Breitengrade. Die Quellen entſprin-
gen auf dem weiten Plateau des mittlern Kleinaſiens am
Fuße des Erdſchieſch und Hinſere-Dagh; ſie fließen dann
in flachen Mulden bis an das hohe Gebirge, welches die
Grenze von Adana ausmacht; dieſes durchbrechen ſie, oder
vielmehr ſie ſtuͤrzen in die Durchbruͤche des Gebirgs hin-
ab, als waſſerreiche reißende Stroͤme dem mittellaͤndiſchen
Meere zu.
Die beſondern Verhaͤltniſſe, unter denen ich reiſe, ſchlie-
ßen mir Gegenden auf, die zu durchſtreifen jedem Europaͤer
bisher unmoͤglich war; Gegenden, die man noch heute zum
Theil nicht ohne militairiſche Escorte durchziehen, oder, wie
den Karſann-Dagh, nur im Gefolge eines Heeres betreten
kann. So guͤnſtige Umſtaͤnde vereinigen ſich ſelten, und ich
benutze ſie gewiſſenhaft; ich habe jetzt auf mehr als 700
geograph. Meilen dies Land durchkreuzt und von ſaͤmmt-
lichen die Jtinerairs gezeichnet. Als wirklichen Gewinn
rechne ich die Berichtigung der Zufluͤſſe der Seyhun und
Dſchehun, und des mittlern Lauf des Murad oder Euphrat.
Auf dieſem konnte bis jetzt kein Reiſender vordringen, da
die noch immer ſehr mißliche Floͤßbarkeit erſt eben durch
Sprengungen moͤglich gemacht iſt.
Von Albiſtan ging ich einen achtzehnſtuͤndigen ſehr ſchwie-
rigen Gebirgsweg nach Pullat in der Ebene von Malatia
hinab, wo ich bei einem Guß-Regen am 29. Oktober gluͤck-
lich wieder eintraf, nachdem ich, den Aufenthalt in Konieh
eingerechnet, in ſechs und zwanzig Tagen 190 deutſche Mei-
len geritten. Der Paſcha, welcher mich durchnaͤßt ſah, und
doch gern gleich meinen Bericht hoͤren wollte, ließ mir ſei-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/341>, abgerufen am 25.11.2024.
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