ich am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang abritt, hatte ich Mühe, Jemand zu finden, der mir mein Trinkgeld ab- nehmen wollte.
Abends traf ich in Gögsyn ein, wo Suleiman-Pa- scha lagerte, und da es schon dunkel war, so schickte er mir einige seiner Aga's mit Fackeln entgegen. Die Auf- nahme war die freundlichste; am folgenden Morgen früh kam mir der Pascha schon mit seinem Besuche zuvor, er hielt mich für diesen Tag fest und schenkte mir ein schönes turkmanisches Pferd zum Abschied; ich revangirte mich mit einem Paar Pistolen.
Die bisher vorhandenen Karten von Kleinasien vermö- gen durchaus keine Vorstellung von der wirklichen Beschaf- fenheit des Landes zu geben; ich hatte erwartet, von Ekrek aus über lauter hohe Gebirge fortzuziehen, und war nicht wenig überrascht, eine weite Ebene zwischen schnee- bedeckten Bergen in der Richtung von Westen nach Osten zu finden, eine Oeffnung in diesem Hochgebirge, als ob die Natur selbst den Menschen einen Durchgang bahnen wollte. So geht es bis Albistan oder El-bostan fort, einem sehr hübschen Städtchen mit prächtigen Pappeln und Obstbäu- men in einer Ebene, die mit zahlreichen Dörfern und Fel- dern bedeckt ist. Hinter dem Städtchen erhebt sich schroff der schöne Scherr-Dagh, an dessen schwarzen Wänden die weißen Minarehs und Kuppeln sich abzeichnen; ich glaube jedoch nicht, daß Albistan, sondern vielmehr das Dorf Jar- puß, drei Stunden westlicher, die Stelle des alten Germa- nicia bezeichnet, dort finden sich auch eine sehr große Menge von Fundamenten, Säulenschäften und schön gearbeiteten Steinen vor. Dicht bei Albistan liegt die gewaltige Quelle des Dschehun (das "Weltall"), ein Fluß von 20 Schritt Breite und 2 bis 4 Fuß Tiefe tritt dort auf einmal zu Tage; gleich darauf nimmt er den Zufluß einer fast eben so mächtigen Quelle auf, die an dem Wege von Jarpuß liegt, und außerdem von Osten, Norden und Westen noch drei Bäche, die stärker als er selbst sind, so daß er vier
ich am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang abritt, hatte ich Muͤhe, Jemand zu finden, der mir mein Trinkgeld ab- nehmen wollte.
Abends traf ich in Goͤgſyn ein, wo Suleiman-Pa- ſcha lagerte, und da es ſchon dunkel war, ſo ſchickte er mir einige ſeiner Aga's mit Fackeln entgegen. Die Auf- nahme war die freundlichſte; am folgenden Morgen fruͤh kam mir der Paſcha ſchon mit ſeinem Beſuche zuvor, er hielt mich fuͤr dieſen Tag feſt und ſchenkte mir ein ſchoͤnes turkmaniſches Pferd zum Abſchied; ich revangirte mich mit einem Paar Piſtolen.
Die bisher vorhandenen Karten von Kleinaſien vermoͤ- gen durchaus keine Vorſtellung von der wirklichen Beſchaf- fenheit des Landes zu geben; ich hatte erwartet, von Ekrek aus uͤber lauter hohe Gebirge fortzuziehen, und war nicht wenig uͤberraſcht, eine weite Ebene zwiſchen ſchnee- bedeckten Bergen in der Richtung von Weſten nach Oſten zu finden, eine Oeffnung in dieſem Hochgebirge, als ob die Natur ſelbſt den Menſchen einen Durchgang bahnen wollte. So geht es bis Albiſtan oder El-boſtan fort, einem ſehr huͤbſchen Staͤdtchen mit praͤchtigen Pappeln und Obſtbaͤu- men in einer Ebene, die mit zahlreichen Doͤrfern und Fel- dern bedeckt iſt. Hinter dem Staͤdtchen erhebt ſich ſchroff der ſchoͤne Scherr-Dagh, an deſſen ſchwarzen Waͤnden die weißen Minarehs und Kuppeln ſich abzeichnen; ich glaube jedoch nicht, daß Albiſtan, ſondern vielmehr das Dorf Jar- puß, drei Stunden weſtlicher, die Stelle des alten Germa- nicia bezeichnet, dort finden ſich auch eine ſehr große Menge von Fundamenten, Saͤulenſchaͤften und ſchoͤn gearbeiteten Steinen vor. Dicht bei Albiſtan liegt die gewaltige Quelle des Dſchehun (das „Weltall“), ein Fluß von 20 Schritt Breite und 2 bis 4 Fuß Tiefe tritt dort auf einmal zu Tage; gleich darauf nimmt er den Zufluß einer faſt eben ſo maͤchtigen Quelle auf, die an dem Wege von Jarpuß liegt, und außerdem von Oſten, Norden und Weſten noch drei Baͤche, die ſtaͤrker als er ſelbſt ſind, ſo daß er vier
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0340"n="330"/>
ich am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang abritt, hatte<lb/>
ich Muͤhe, Jemand zu finden, der mir mein Trinkgeld ab-<lb/>
nehmen wollte.</p><lb/><p>Abends traf ich in Goͤgſyn ein, wo <hirendition="#g">Suleiman-Pa-<lb/>ſcha</hi> lagerte, und da es ſchon dunkel war, ſo ſchickte er<lb/>
mir einige ſeiner Aga's mit Fackeln entgegen. Die Auf-<lb/>
nahme war die freundlichſte; am folgenden Morgen fruͤh<lb/>
kam mir der Paſcha ſchon mit ſeinem Beſuche zuvor, er<lb/>
hielt mich fuͤr dieſen Tag feſt und ſchenkte mir ein ſchoͤnes<lb/>
turkmaniſches Pferd zum Abſchied; ich revangirte mich mit<lb/>
einem Paar Piſtolen.</p><lb/><p>Die bisher vorhandenen Karten von Kleinaſien vermoͤ-<lb/>
gen durchaus keine Vorſtellung von der wirklichen Beſchaf-<lb/>
fenheit des Landes zu geben; ich hatte erwartet, von<lb/>
Ekrek aus uͤber lauter hohe Gebirge fortzuziehen, und war<lb/>
nicht wenig uͤberraſcht, eine weite Ebene zwiſchen ſchnee-<lb/>
bedeckten Bergen in der Richtung von Weſten nach Oſten<lb/>
zu finden, eine Oeffnung in dieſem Hochgebirge, als ob die<lb/>
Natur ſelbſt den Menſchen einen Durchgang bahnen wollte.<lb/>
So geht es bis Albiſtan oder El-boſtan fort, einem ſehr<lb/>
huͤbſchen Staͤdtchen mit praͤchtigen Pappeln und Obſtbaͤu-<lb/>
men in einer Ebene, die mit zahlreichen Doͤrfern und Fel-<lb/>
dern bedeckt iſt. Hinter dem Staͤdtchen erhebt ſich ſchroff<lb/>
der ſchoͤne Scherr-Dagh, an deſſen ſchwarzen Waͤnden die<lb/>
weißen Minarehs und Kuppeln ſich abzeichnen; ich glaube<lb/>
jedoch nicht, daß Albiſtan, ſondern vielmehr das Dorf Jar-<lb/>
puß, drei Stunden weſtlicher, die Stelle des alten Germa-<lb/>
nicia bezeichnet, dort finden ſich auch eine ſehr große Menge<lb/>
von Fundamenten, Saͤulenſchaͤften und ſchoͤn gearbeiteten<lb/>
Steinen vor. Dicht bei Albiſtan liegt die gewaltige Quelle<lb/>
des Dſchehun (das „Weltall“), ein Fluß von 20 Schritt<lb/>
Breite und 2 bis 4 Fuß Tiefe tritt dort auf einmal zu<lb/>
Tage; gleich darauf nimmt er den Zufluß einer faſt eben<lb/>ſo maͤchtigen Quelle auf, die an dem Wege von Jarpuß<lb/>
liegt, und außerdem von Oſten, Norden und Weſten noch<lb/>
drei Baͤche, die ſtaͤrker als er ſelbſt ſind, ſo daß er vier<lb/></p></div></body></text></TEI>
[330/0340]
ich am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang abritt, hatte
ich Muͤhe, Jemand zu finden, der mir mein Trinkgeld ab-
nehmen wollte.
Abends traf ich in Goͤgſyn ein, wo Suleiman-Pa-
ſcha lagerte, und da es ſchon dunkel war, ſo ſchickte er
mir einige ſeiner Aga's mit Fackeln entgegen. Die Auf-
nahme war die freundlichſte; am folgenden Morgen fruͤh
kam mir der Paſcha ſchon mit ſeinem Beſuche zuvor, er
hielt mich fuͤr dieſen Tag feſt und ſchenkte mir ein ſchoͤnes
turkmaniſches Pferd zum Abſchied; ich revangirte mich mit
einem Paar Piſtolen.
Die bisher vorhandenen Karten von Kleinaſien vermoͤ-
gen durchaus keine Vorſtellung von der wirklichen Beſchaf-
fenheit des Landes zu geben; ich hatte erwartet, von
Ekrek aus uͤber lauter hohe Gebirge fortzuziehen, und war
nicht wenig uͤberraſcht, eine weite Ebene zwiſchen ſchnee-
bedeckten Bergen in der Richtung von Weſten nach Oſten
zu finden, eine Oeffnung in dieſem Hochgebirge, als ob die
Natur ſelbſt den Menſchen einen Durchgang bahnen wollte.
So geht es bis Albiſtan oder El-boſtan fort, einem ſehr
huͤbſchen Staͤdtchen mit praͤchtigen Pappeln und Obſtbaͤu-
men in einer Ebene, die mit zahlreichen Doͤrfern und Fel-
dern bedeckt iſt. Hinter dem Staͤdtchen erhebt ſich ſchroff
der ſchoͤne Scherr-Dagh, an deſſen ſchwarzen Waͤnden die
weißen Minarehs und Kuppeln ſich abzeichnen; ich glaube
jedoch nicht, daß Albiſtan, ſondern vielmehr das Dorf Jar-
puß, drei Stunden weſtlicher, die Stelle des alten Germa-
nicia bezeichnet, dort finden ſich auch eine ſehr große Menge
von Fundamenten, Saͤulenſchaͤften und ſchoͤn gearbeiteten
Steinen vor. Dicht bei Albiſtan liegt die gewaltige Quelle
des Dſchehun (das „Weltall“), ein Fluß von 20 Schritt
Breite und 2 bis 4 Fuß Tiefe tritt dort auf einmal zu
Tage; gleich darauf nimmt er den Zufluß einer faſt eben
ſo maͤchtigen Quelle auf, die an dem Wege von Jarpuß
liegt, und außerdem von Oſten, Norden und Weſten noch
drei Baͤche, die ſtaͤrker als er ſelbſt ſind, ſo daß er vier
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/340>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.