Anzug giebt ihm ein stattliches Ansehn, und alle Augenblick sieht man eine Figur, die man zeichnen möchte. Es ist erklärbar, daß man die Türken für die schönsten Leute der Welt gehalten hat, bis man ihnen fränkische Kleider anzog; hätten unsere wohl ausexerzierten Leute türkische Tracht, sie müßten prächtig aussehen.
Du siehst, daß ich Dir eigentlich Neues nicht zu be- richten habe. Der Aufenthalt hier in Malatia ist wie die kleinen Wirbel in einem reißenden Strome, in welchem Strohhälmchen und Blätter einen Augenblick still stehen und dann weiter schießen. Während des Rests der Sommer- hitze lasse ich es mir schon gefallen; wohin dann, weiß ich nicht, denn wir erfahren hier nur, was der nächste Tag bringt.
51. Desertionen.
Asbusu bei Malatia, den 23. September 1838.
Vorgestern Abends traf ein Aga Heyder-Pascha's beim Pascha ein, der ihm eilig auf Tscherkessisch eine Mel- dung machte, deren Eindruck der Alte nicht ganz verbergen konnte; er blieb jedoch sitzen, bis die Anwesenden sich zu- rückgezogen. Da ich hörte, daß der Pascha sein Pferd for- derte, so ließ ich sogleich auch satteln und begleitete den Herrn; unterwegs sagte er mir, daß 180 Mann von den Marascher Rediffs oder Landwehr desertirt seien, daß meh- rere Offiziere mitgegangen, und daß die Leute die Gewehre mitgenommen. Es wurde nun sogleich Befehl zum Auf- sitzen an die gesammte Cavallerie in die Dörfer geschickt, wo sie cantonniret, ein halber Beutel für jeden Gefange- nen zugesagt, und da die Flüchtlinge ihre Richtung auf die Bey-Daghler genommen, so machten wir selbst eine Reco- gnoscirung in jener Richtung. Es war Neumond, aber die Sterne leuchten hier so hell, daß man ziemlich weit
Anzug giebt ihm ein ſtattliches Anſehn, und alle Augenblick ſieht man eine Figur, die man zeichnen moͤchte. Es iſt erklaͤrbar, daß man die Tuͤrken fuͤr die ſchoͤnſten Leute der Welt gehalten hat, bis man ihnen fraͤnkiſche Kleider anzog; haͤtten unſere wohl ausexerzierten Leute tuͤrkiſche Tracht, ſie muͤßten praͤchtig ausſehen.
Du ſiehſt, daß ich Dir eigentlich Neues nicht zu be- richten habe. Der Aufenthalt hier in Malatia iſt wie die kleinen Wirbel in einem reißenden Strome, in welchem Strohhaͤlmchen und Blaͤtter einen Augenblick ſtill ſtehen und dann weiter ſchießen. Waͤhrend des Reſts der Sommer- hitze laſſe ich es mir ſchon gefallen; wohin dann, weiß ich nicht, denn wir erfahren hier nur, was der naͤchſte Tag bringt.
51. Deſertionen.
Asbuſu bei Malatia, den 23. September 1838.
Vorgeſtern Abends traf ein Aga Heyder-Paſcha's beim Paſcha ein, der ihm eilig auf Tſcherkeſſiſch eine Mel- dung machte, deren Eindruck der Alte nicht ganz verbergen konnte; er blieb jedoch ſitzen, bis die Anweſenden ſich zu- ruͤckgezogen. Da ich hoͤrte, daß der Paſcha ſein Pferd for- derte, ſo ließ ich ſogleich auch ſatteln und begleitete den Herrn; unterwegs ſagte er mir, daß 180 Mann von den Maraſcher Rediffs oder Landwehr deſertirt ſeien, daß meh- rere Offiziere mitgegangen, und daß die Leute die Gewehre mitgenommen. Es wurde nun ſogleich Befehl zum Auf- ſitzen an die geſammte Cavallerie in die Doͤrfer geſchickt, wo ſie cantonniret, ein halber Beutel fuͤr jeden Gefange- nen zugeſagt, und da die Fluͤchtlinge ihre Richtung auf die Bey-Daghler genommen, ſo machten wir ſelbſt eine Reco- gnoſcirung in jener Richtung. Es war Neumond, aber die Sterne leuchten hier ſo hell, daß man ziemlich weit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0319"n="309"/>
Anzug giebt ihm ein ſtattliches Anſehn, und alle Augenblick<lb/>ſieht man eine Figur, die man zeichnen moͤchte. Es iſt<lb/>
erklaͤrbar, daß man die Tuͤrken fuͤr die ſchoͤnſten Leute der<lb/>
Welt gehalten hat, bis man ihnen fraͤnkiſche Kleider anzog;<lb/>
haͤtten unſere wohl ausexerzierten Leute tuͤrkiſche Tracht, ſie<lb/>
muͤßten praͤchtig ausſehen.</p><lb/><p>Du ſiehſt, daß ich Dir eigentlich Neues nicht zu be-<lb/>
richten habe. Der Aufenthalt hier in Malatia iſt wie die<lb/>
kleinen Wirbel in einem reißenden Strome, in welchem<lb/>
Strohhaͤlmchen und Blaͤtter einen Augenblick ſtill ſtehen und<lb/>
dann weiter ſchießen. Waͤhrend des Reſts der Sommer-<lb/>
hitze laſſe ich es mir ſchon gefallen; wohin dann, weiß ich<lb/>
nicht, denn wir erfahren hier nur, was der naͤchſte Tag<lb/>
bringt.</p></div><lb/><divn="1"><head>51.<lb/><hirendition="#b">Deſertionen.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Asbuſu bei Malatia, den 23. September 1838.</hi></dateline><lb/><p>Vorgeſtern Abends traf ein Aga <hirendition="#g">Heyder-Paſcha's</hi><lb/>
beim Paſcha ein, der ihm eilig auf Tſcherkeſſiſch eine Mel-<lb/>
dung machte, deren Eindruck der Alte nicht ganz verbergen<lb/>
konnte; er blieb jedoch ſitzen, bis die Anweſenden ſich zu-<lb/>
ruͤckgezogen. Da ich hoͤrte, daß der Paſcha ſein Pferd for-<lb/>
derte, ſo ließ ich ſogleich auch ſatteln und begleitete den<lb/>
Herrn; unterwegs ſagte er mir, daß 180 Mann von den<lb/>
Maraſcher Rediffs oder Landwehr deſertirt ſeien, daß meh-<lb/>
rere Offiziere mitgegangen, und daß die Leute die Gewehre<lb/>
mitgenommen. Es wurde nun ſogleich Befehl zum Auf-<lb/>ſitzen an die geſammte Cavallerie in die Doͤrfer geſchickt,<lb/>
wo ſie cantonniret, ein halber Beutel fuͤr jeden Gefange-<lb/>
nen zugeſagt, und da die Fluͤchtlinge ihre Richtung auf die<lb/>
Bey-Daghler genommen, ſo machten wir ſelbſt eine Reco-<lb/>
gnoſcirung in jener Richtung. Es war Neumond, aber<lb/>
die Sterne leuchten hier ſo hell, daß man ziemlich weit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[309/0319]
Anzug giebt ihm ein ſtattliches Anſehn, und alle Augenblick
ſieht man eine Figur, die man zeichnen moͤchte. Es iſt
erklaͤrbar, daß man die Tuͤrken fuͤr die ſchoͤnſten Leute der
Welt gehalten hat, bis man ihnen fraͤnkiſche Kleider anzog;
haͤtten unſere wohl ausexerzierten Leute tuͤrkiſche Tracht, ſie
muͤßten praͤchtig ausſehen.
Du ſiehſt, daß ich Dir eigentlich Neues nicht zu be-
richten habe. Der Aufenthalt hier in Malatia iſt wie die
kleinen Wirbel in einem reißenden Strome, in welchem
Strohhaͤlmchen und Blaͤtter einen Augenblick ſtill ſtehen und
dann weiter ſchießen. Waͤhrend des Reſts der Sommer-
hitze laſſe ich es mir ſchon gefallen; wohin dann, weiß ich
nicht, denn wir erfahren hier nur, was der naͤchſte Tag
bringt.
51.
Deſertionen.
Asbuſu bei Malatia, den 23. September 1838.
Vorgeſtern Abends traf ein Aga Heyder-Paſcha's
beim Paſcha ein, der ihm eilig auf Tſcherkeſſiſch eine Mel-
dung machte, deren Eindruck der Alte nicht ganz verbergen
konnte; er blieb jedoch ſitzen, bis die Anweſenden ſich zu-
ruͤckgezogen. Da ich hoͤrte, daß der Paſcha ſein Pferd for-
derte, ſo ließ ich ſogleich auch ſatteln und begleitete den
Herrn; unterwegs ſagte er mir, daß 180 Mann von den
Maraſcher Rediffs oder Landwehr deſertirt ſeien, daß meh-
rere Offiziere mitgegangen, und daß die Leute die Gewehre
mitgenommen. Es wurde nun ſogleich Befehl zum Auf-
ſitzen an die geſammte Cavallerie in die Doͤrfer geſchickt,
wo ſie cantonniret, ein halber Beutel fuͤr jeden Gefange-
nen zugeſagt, und da die Fluͤchtlinge ihre Richtung auf die
Bey-Daghler genommen, ſo machten wir ſelbſt eine Reco-
gnoſcirung in jener Richtung. Es war Neumond, aber
die Sterne leuchten hier ſo hell, daß man ziemlich weit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/319>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.