die Kalkwände glühten, kein Baum, kein Busch gewährte Schatten und alle Vegetation schien abgestorben; aber ich werde nie die köstliche Quelle vergessen, die wir bald nach Mittag erreichten. Unter einer Felsmauer brach das Was- ser von allen Seiten sprudelnd hervor und bildete ein gro- ßes Becken von unbeschreiblicher Klarheit; riesenhaftes Schilf und Schlingstauden, mannshohes Gras und blü- hende Hyazinthen, der reichste Pflanzenwuchs und das üppigste Grün faßten die Quellen ein, welche rings von starren Felsen und Steingeröllen umgeben waren. Wir sprengten frohlockend mit unsern schweißtriefenden Rossen in die kühle Flut und ließen uns gern von oben bis unten durchnässen; die Pferde, denen des Tags über jeder Trunk versagt bleibt, schlugen mit den Vorderfüßen, um sich zu benetzen und zu erfrischen, und sprangen vor Freude. Mir fiel der Spruch aus dem Koran ein: min el mai küllun u. s. w. "von dem Wasser ist alles Ding lebendig."
Gegen Abend, also nach fast vierundzwanzigstündigem Ritte, erreichten wir abermals einen köstlichen Gebirgs- strom; längs seiner Ufer hinaufsteigend, wandten wir uns rechts in das Gebirge hinein und erblickten die zierliche Moschee, und das freundliche Städtchen Hasru auf einem Hügel umgeben von Weinfeldern und überschattet von Pla- tanen, Nußbäumen und Pappeln.
Die Pappel ist hier im Orient ein äußerst nützlicher Baum, und für den Häuserbau unentbehrlich. Die Wände der Wohnungen sind zwar meist nur aus rohen Steinen und Luftziegeln, sie werden aber mit einer Balkenlage über- deckt, zu welcher sich die schlanke gerade Pappel ganz be- sonders eignet. Die Balken werden dann mit dünnem Reisig belegt und darauf 1 Fuß dick Lehm und Kies ge- stampft. Für den milden Himmel Asiens reicht dies Dach aus, welches während der Nachtkühle zum Schlafgemach dient; diese horizontalen Terrassen, "Dam", finden sich je- doch nur auf dem Südabhange des Antitaurus, über Egin und Tokat hinaus fangen schon die flachen Ziegeldächer an.
die Kalkwaͤnde gluͤhten, kein Baum, kein Buſch gewaͤhrte Schatten und alle Vegetation ſchien abgeſtorben; aber ich werde nie die koͤſtliche Quelle vergeſſen, die wir bald nach Mittag erreichten. Unter einer Felsmauer brach das Waſ- ſer von allen Seiten ſprudelnd hervor und bildete ein gro- ßes Becken von unbeſchreiblicher Klarheit; rieſenhaftes Schilf und Schlingſtauden, mannshohes Gras und bluͤ- hende Hyazinthen, der reichſte Pflanzenwuchs und das uͤppigſte Gruͤn faßten die Quellen ein, welche rings von ſtarren Felſen und Steingeroͤllen umgeben waren. Wir ſprengten frohlockend mit unſern ſchweißtriefenden Roſſen in die kuͤhle Flut und ließen uns gern von oben bis unten durchnaͤſſen; die Pferde, denen des Tags uͤber jeder Trunk verſagt bleibt, ſchlugen mit den Vorderfuͤßen, um ſich zu benetzen und zu erfriſchen, und ſprangen vor Freude. Mir fiel der Spruch aus dem Koran ein: min el mai küllun u. ſ. w. „von dem Waſſer iſt alles Ding lebendig.“
Gegen Abend, alſo nach faſt vierundzwanzigſtuͤndigem Ritte, erreichten wir abermals einen koͤſtlichen Gebirgs- ſtrom; laͤngs ſeiner Ufer hinaufſteigend, wandten wir uns rechts in das Gebirge hinein und erblickten die zierliche Moſchee, und das freundliche Staͤdtchen Haſru auf einem Huͤgel umgeben von Weinfeldern und uͤberſchattet von Pla- tanen, Nußbaͤumen und Pappeln.
Die Pappel iſt hier im Orient ein aͤußerſt nuͤtzlicher Baum, und fuͤr den Haͤuſerbau unentbehrlich. Die Waͤnde der Wohnungen ſind zwar meiſt nur aus rohen Steinen und Luftziegeln, ſie werden aber mit einer Balkenlage uͤber- deckt, zu welcher ſich die ſchlanke gerade Pappel ganz be- ſonders eignet. Die Balken werden dann mit duͤnnem Reiſig belegt und darauf 1 Fuß dick Lehm und Kies ge- ſtampft. Fuͤr den milden Himmel Aſiens reicht dies Dach aus, welches waͤhrend der Nachtkuͤhle zum Schlafgemach dient; dieſe horizontalen Terraſſen, „Dam“, finden ſich je- doch nur auf dem Suͤdabhange des Antitaurus, uͤber Egin und Tokat hinaus fangen ſchon die flachen Ziegeldaͤcher an.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0298"n="288"/>
die Kalkwaͤnde gluͤhten, kein Baum, kein Buſch gewaͤhrte<lb/>
Schatten und alle Vegetation ſchien abgeſtorben; aber ich<lb/>
werde nie die koͤſtliche Quelle vergeſſen, die wir bald nach<lb/>
Mittag erreichten. Unter einer Felsmauer brach das Waſ-<lb/>ſer von allen Seiten ſprudelnd hervor und bildete ein gro-<lb/>
ßes Becken von unbeſchreiblicher Klarheit; rieſenhaftes<lb/>
Schilf und Schlingſtauden, mannshohes Gras und bluͤ-<lb/>
hende Hyazinthen, der reichſte Pflanzenwuchs und das<lb/>
uͤppigſte Gruͤn faßten die Quellen ein, welche rings von<lb/>ſtarren Felſen und Steingeroͤllen umgeben waren. Wir<lb/>ſprengten frohlockend mit unſern ſchweißtriefenden Roſſen<lb/>
in die kuͤhle Flut und ließen uns gern von oben bis unten<lb/>
durchnaͤſſen; die Pferde, denen des Tags uͤber jeder Trunk<lb/>
verſagt bleibt, ſchlugen mit den Vorderfuͤßen, um ſich zu<lb/>
benetzen und zu erfriſchen, und ſprangen vor Freude. Mir<lb/>
fiel der Spruch aus dem Koran ein: <hirendition="#aq">min el mai küllun</hi><lb/>
u. ſ. w. „von dem Waſſer iſt alles Ding lebendig.“</p><lb/><p>Gegen Abend, alſo nach faſt vierundzwanzigſtuͤndigem<lb/>
Ritte, erreichten wir abermals einen koͤſtlichen Gebirgs-<lb/>ſtrom; laͤngs ſeiner Ufer hinaufſteigend, wandten wir uns<lb/>
rechts in das Gebirge hinein und erblickten die zierliche<lb/>
Moſchee, und das freundliche Staͤdtchen Haſru auf einem<lb/>
Huͤgel umgeben von Weinfeldern und uͤberſchattet von Pla-<lb/>
tanen, Nußbaͤumen und Pappeln.</p><lb/><p>Die Pappel iſt hier im Orient ein aͤußerſt nuͤtzlicher<lb/>
Baum, und fuͤr den Haͤuſerbau unentbehrlich. Die Waͤnde<lb/>
der Wohnungen ſind zwar meiſt nur aus rohen Steinen<lb/>
und Luftziegeln, ſie werden aber mit einer Balkenlage uͤber-<lb/>
deckt, zu welcher ſich die ſchlanke gerade Pappel ganz be-<lb/>ſonders eignet. Die Balken werden dann mit duͤnnem<lb/>
Reiſig belegt und darauf 1 Fuß dick Lehm und Kies ge-<lb/>ſtampft. Fuͤr den milden Himmel Aſiens reicht dies Dach<lb/>
aus, welches waͤhrend der Nachtkuͤhle zum Schlafgemach<lb/>
dient; dieſe horizontalen Terraſſen, „Dam“, finden ſich je-<lb/>
doch nur auf dem Suͤdabhange des Antitaurus, uͤber Egin<lb/>
und Tokat hinaus fangen ſchon die flachen Ziegeldaͤcher an.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[288/0298]
die Kalkwaͤnde gluͤhten, kein Baum, kein Buſch gewaͤhrte
Schatten und alle Vegetation ſchien abgeſtorben; aber ich
werde nie die koͤſtliche Quelle vergeſſen, die wir bald nach
Mittag erreichten. Unter einer Felsmauer brach das Waſ-
ſer von allen Seiten ſprudelnd hervor und bildete ein gro-
ßes Becken von unbeſchreiblicher Klarheit; rieſenhaftes
Schilf und Schlingſtauden, mannshohes Gras und bluͤ-
hende Hyazinthen, der reichſte Pflanzenwuchs und das
uͤppigſte Gruͤn faßten die Quellen ein, welche rings von
ſtarren Felſen und Steingeroͤllen umgeben waren. Wir
ſprengten frohlockend mit unſern ſchweißtriefenden Roſſen
in die kuͤhle Flut und ließen uns gern von oben bis unten
durchnaͤſſen; die Pferde, denen des Tags uͤber jeder Trunk
verſagt bleibt, ſchlugen mit den Vorderfuͤßen, um ſich zu
benetzen und zu erfriſchen, und ſprangen vor Freude. Mir
fiel der Spruch aus dem Koran ein: min el mai küllun
u. ſ. w. „von dem Waſſer iſt alles Ding lebendig.“
Gegen Abend, alſo nach faſt vierundzwanzigſtuͤndigem
Ritte, erreichten wir abermals einen koͤſtlichen Gebirgs-
ſtrom; laͤngs ſeiner Ufer hinaufſteigend, wandten wir uns
rechts in das Gebirge hinein und erblickten die zierliche
Moſchee, und das freundliche Staͤdtchen Haſru auf einem
Huͤgel umgeben von Weinfeldern und uͤberſchattet von Pla-
tanen, Nußbaͤumen und Pappeln.
Die Pappel iſt hier im Orient ein aͤußerſt nuͤtzlicher
Baum, und fuͤr den Haͤuſerbau unentbehrlich. Die Waͤnde
der Wohnungen ſind zwar meiſt nur aus rohen Steinen
und Luftziegeln, ſie werden aber mit einer Balkenlage uͤber-
deckt, zu welcher ſich die ſchlanke gerade Pappel ganz be-
ſonders eignet. Die Balken werden dann mit duͤnnem
Reiſig belegt und darauf 1 Fuß dick Lehm und Kies ge-
ſtampft. Fuͤr den milden Himmel Aſiens reicht dies Dach
aus, welches waͤhrend der Nachtkuͤhle zum Schlafgemach
dient; dieſe horizontalen Terraſſen, „Dam“, finden ſich je-
doch nur auf dem Suͤdabhange des Antitaurus, uͤber Egin
und Tokat hinaus fangen ſchon die flachen Ziegeldaͤcher an.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/298>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.